Am 8. Mai 1949, wenige Wochen nach Neugründung der Galerie des 20. Jahrhunderts im Westen Berlins, erkundigte sich Erna von der Marwitz (wohnhaft in der Behlertstraße 29 in Potsdam) bei Adolf Jannasch nach dem Stand der Verhandlungen „über den Ankauf meiner kleinen Plastik von Renée Sintenis“.^Q9 Sie bat darum, „Herrn Dr. Ingerholm darüber Bescheid zu sagen“, und unterzeichnete mit „Erna vdMarwitz, geb. Rust“. Jannasch antwortete ihr am 13. Mai, dass es wohl noch eine Weile dauern werde, er aber glaube, „dass mit dem geplanten Ankauf alles in Ordnung gehen wird“.^Q9 Anfang Juli wurde Sintenis’ kleine Bronzeskulptur „Stehende“ über die Berliner Galerie von der Becke für die städtische Sammlung erworben.^Q3

Bei der Familie von der Marwitz handelt es sich um ein altes brandenburgisches Adelsgeschlecht, das in Zweigen noch heute besteht. Erna von der Marwitz (geb. 1889), geborene Rust (Vater: Ernst Rust, Mutter: Maria, geb. Wolf), war die dritte Ehefrau von Hans-Georg von der Marwitz, Herr auf Groß-Rietz. Sie lebte in dem Rokoko-Schloss derer von Marwitz’ in Groß-Rietz, das sie jedoch 1945 verlassen musste; deshalb zog sie nach Potsdam. Es ist möglich, dass sie die Sintenis-Skulptur als Teil des Schloss-Inventars mitnahm und aus wirtschaftlicher Not einige Jahre später verkaufte, vermutlich infolge der Währungsreform 1948, nach der die Grenzen zwischen den Ost- und Westzonen noch offen waren. Der Groß-Rietzer Zweig der Familie war der Kunst sehr zugewandt: Künstler gingen regelmäßig im Haus ein und aus und Kunst (auch zeitgenössische) gehörte zur Einrichtung (freundliche Auskunft von Friedhelm von der Marwitz, Vorsitzender des Familienverbandes derer von der Marwitz, 25.2.2013).

Der im Werkverzeichnis erwähnte Stempel der Gießerei Noack lässt sich an dem Exemplar aus der Galerie des 20. Jahrhunderts nicht finden.^L6 Die Nationalgalerie bewahrt noch ein weiteres Exemplar der „Stehenden“ von Sintenis (Inv.-Nr. NG 52/81), das aus dem Nachlass Goldmann stammt.

Recherche: CT | Text: CT

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 8.7.1949

Q2 Protokoll der Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen aus den Verwaltungs- und Ausstellungsräumen der Galerie], 5.6.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, S. 3

Q3 Ankaufsbestätigung Adolf Jannasch an die Galerie von der Becke, 9.7.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1445

Q4 Ankaufsbestätigung Adolf Jannasch an Frau von der Marwitz, Potsdam, 1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1445

Q5 Protokoll der Ankaufskommission, 9.7.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446

Q6 Zahlungsanweisung (Dringlichkeitsliste) an die Galerie von der Becke, 8.7.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446

Q7 Zahlungsanweisung (reduzierte Dringlichkeitsliste) an die Galerie von der Becke, 16.8.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446

Q8 Nachweisaufstellung der Zahlungsempfänger 1949 bis 1951, 27.4.1951, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446

Q9 Korrespondenz zwischen Adolf Jannasch und Erna von der Marwitz [2 Briefe], Mai 1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1623