Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Henri Laurens (1885–1954)
Liegende Frau, 1921

Bronze

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1952 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 2.000 EUR

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Femme couchée

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unbezeichnet

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 60/12
Inventar Land Berlin: 991
Hauptverzeichnis Senat: 60/12

Foto: März, Roman / © VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Provenienz
bis 1952 Galerie Louise Leiris, Paris Q8 L5
1952 Galerie Rudolf Springer, Berlin, wohl vermittelt für die Galerie Leiris Q1 Q9 L5
1952 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben bei der Galerie Springer Q1 Q9 Q6
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Die Bronzeskulptur „Liegende Frau“ von Henri Laurens, Exemplar drei aus einer Auflage von acht, wurde 1952 aus dem Etat erworben, den der Senat für Kunstankäufe außerhalb des Galerie-Rahmens bereitstellte, und im Hauptverzeichnis der Senatskunstbestände verzeichnet.Q9 Erst 1970 wurde sie im „Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie“ (ehemals das Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts) nachgetragen.Q1 Adolf Jannasch hatte die Skulptur bei der Galerie Rudolf Springer in Berlin gekauft.Q6

Rudolf Springer (1909–2009) gehörte zu den wenigen Galeristen, die bereits in der direkten Nachkriegsphase in Berlin aktiv waren. Er hatte 1947/48 in der Galerie von Gerd Rosen gearbeitet, zuletzt als Geschäftsführer, und sich nach Rosens Zerwürfnis mit seinen Künstlern 1948 als Kunsthändler in Berlin selbstständig gemacht. Springer unterhielt intensive Verbindungen nach Frankreich: Als gelernter technischer Kaufmann hatte er von 1932 bis 1934 bei Siemens in Paris gearbeitet, seinen Kriegsdienst zuletzt in Frankreich abgeleistet und war bis 1948 mit der Französin Suzanne Mahenc liiert. Er reiste auch in den späteren 1940er-Jahren regelmäßig zwischen Berlin und Paris hin und her und pflegte sehr gute Kontakte zu französischen Künstlern und anderen Kulturschaffenden: „Ich hatte damals glänzende Verbindungen zu allen möglichen bekannten Leuten in Paris“ (Rudolf Springer. Marchand d’art, né 1909 [Rudolf Springer im Interview mit Claus-Dieter Fröhlich], Publikation Contemporary Fine Arts, Berlin 2007, S. 8) – darunter Henri Laurens, Hans Arp, Joan Miró, Jean Cocteau und André Breton. In Berlin wohnte Springer von 1950 bis Anfang 1953 im neu errichteten Maison de France, wo er auch einen eigenen Galerieraum betrieb.

Im April 1953 (als er bereits nicht mehr im Maison de France ansässig war, sondern ohne festen Galeriestandort arbeitete) veranstaltete Springer eine Gastausstellung zu Henri Laurens im Maison de France. Monografisch ausgelegt und mit 12 Skulpturen sowie 40 Graphiken, Collagen, Gouachen und Zeichnungen bestückt, war dies die erste Laurens-Ausstellung in Berlin. Die präsentierten Werke waren laut Katalog Leihgaben von Daniel-Henry Kahnweiler in Paris: „Die Ausstellung wird von der Galerie Louise Leiris zur Verfügung gestellt. Wir sprechen dem Inhaber der Galerie, Herrn Daniel-Henry Kahnweiler, dem Entdecker und langjährigen Förderer Henri Laurens’, unseren Dank aus.“L5 Der Ankauf der Bronzeskulptur „Liegende Frau“ durch die Galerie des 20. Jahrhunderts 1952 fiel zusammen mit Springers Vorbereitungsphase der Laurens-Ausstellung – es ist gut denkbar, dass hier eine direkte Verbindung bestand, da Springer mit Jannasch regelmäßig in Kontakt war. Die Skulptur wurde auf Springers Ausstellung 1953 gezeigt.L5

Seine persönliche Bekanntschaft mit Laurens unterstrich Springer auch in einem Interview 1999: „Kennst du Laurens? Wie ich bei ihm war, da hat er gerade seine riesigen, ich kann nur sagen: weibliche Klöße geformt. Er hat ja so Formen gemacht, die man sonst nur von Frauen kennt. […] Und das entsprach ihm auch. Im Ersten Weltkrieg hatte er ein Bein verloren“ (zit. n.: Johannes Gachnang und Rebeka Ewa Wolfowski [Hrsg.], Das Loch. Hommage à Rudolf Springer, Bern und Berlin 1999, S. 44).

Es ist anzunehmen das der Vorbesitzer der Skulptur auch der Erstbesitzer war: Daniel-Henry Kahnweiler gehörte zu den wichtigsten Förderern und Sammlern von Laurens. Seit er sich 1907 als Galerist in Paris selbstständig gemacht hatte, war er der wichtigste Vertreter der Kubisten. Er hatte Exklusivverträge mit André Derain, Georges Braque und Maurice de Vlaminck, später kamen Fernand Léger, Henri Laurens, Juan Gris, André Masson, Paul Klee und andere hinzu. Von 1907 bis 1920 firmierte er als Galerie Kahnweiler, von 1920 bis 1940 unter dem Namen Galerie Simon, ab 1940 bis 1979 unter dem Namen seiner Schwägerin, Louise Leiris. Die Bestände der Galerie konnte er über den Zweiten Weltkrieg durch Verlagerungen sichern. Der Kontakt zu Laurens war 1920 zustande gekommen: Nachdem Kahnweiler während des Ersten Weltkriegs einen Bericht über dessen Kunst gelesen hatte, suchte er ihn bei Rückkehr nach Paris umgehend auf. Im selben Jahr wechselte Laurens von der Galerie Léonce Rosenberg zu einer Vertretung bei Kahnweiler (Galerie Simon); es entstand eine Freundschaft zwischen Händler und Künstler. Kahnweiler kaufte Laurens’ Werke, veranstaltete jedoch bis 1945 keine Laurens-Ausstellung (vgl. z. B. Die Sammlung Kahnweiler. Von Gris, Braque, Léger und Klee bis Picasso, hrsg. von Hans Albert Peters, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Düsseldorf, München 1994, S. 182 ff.).

Daniel-Henry Kahnweiler besaß auch eine beachtliche private Kunstsammlung, darunter viele Geschenke von Künstlern und kleinformatige Werke. Anders als andere Kunsthändler trennte er Privatsammlung und Galerieware recht klar: „Wenn ich mich aber einmal für ein Bild entschieden habe, trenne ich mich nicht mehr davon, um nichts auf der Welt“ (Daniel-Henry Kahnweiler, Meine Maler – meine Galerien, Köln 1961, S. 75 f.). In einem Katalog, der die Sammlung Daniel-Henry Kahnweiler rekonstruiert (vgl. Ausst.-Kat. Düsseldorf 1994), ist „Liegende Frau“ nicht aufgeführt – es ist also anzunehmen, dass das Werk zum Galeriebestand gehörte.

Recherche: CT | Text: CT

hinten rechts an der Seitenwand der Plinthe, Monogramm: HL
hinten rechts auf der Plinthe, Gussmarke: Cire feroue, L. VALSUANI
hinten links auf der Plinthe: 3/8

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, erworben am 27.7.1952 [nachinventarisiert 1953 ]

Q2 Protokoll der Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen aus den Verwaltungs- und Ausstellungsräumen der Galerie], 5.6.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, S. 4

Q3 Liste der von der Galerie des 20. Jahrhunderts übernommenen und dort befindlichen Werke aus HUA B 3000/303 (Werke lebender Künstler), 1.4.1959, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0300-00-001

Q4 Liste Platten – Kasten I, Galerie A–K, 25.7.1957, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 02-0204-02-040.1 bis -040.3, Nr. 43

Q5 Protokoll der Ankaufskommission, 27.7.1953, Landesarchiv Berlin, B Rep. 002-11248

Q6 Rechnung Galerie Springer an die Galerie des 20. Jahrhunderts, 28.7.1953, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1361

Q7 Vorschläge für die Ankaufskommission, 27.7.1953, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1361

Q8 Will Grohmann, Der Bildhauer Henri Laurens, in: Die Neue Zeitung, Berliner Ausgabe, 15.4.1953

Q9 Hauptverzeichnis für Kunstwerke B 3000/303, Senator für Volksbildung, Berlin, Referat Bildende Kunst [Inventar 1949–1958], Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0300-00-001, 60/12, lfd. Nr. 452

Q10 Karteikarte Senat, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin

Q11 Zahlungsanweisung Vbildg V/B2 (Senatsabteilung Volksbildung) an Vbildg IC (Senatsabteilung Volksbildung), 5.8.1953, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1360

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1958, Nr. 216

L2 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1960, Nr. 239

L3 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 284

L4 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 353

L5 Henri Laurens, Ausst.-Kat. Galerie Springer, Maison de France, Berlin 1953, Nr. 3