Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Paula Modersohn-Becker (1876–1907)
Mädchen zwischen Birken, um 1904

Öl auf Pappe
50 x 38 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1952 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 1.750 DM

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Sitzendes Mädchen zwischen Birkenstämmen

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unbezeichnet

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 81
Inventar Land Berlin: 81
Weitere Nummern: 16/13

Werkverzeichnis-Nummer
Busch/Werner WV 492

Foto: Anders, Jörg P. / CC BY-NC-SA
Provenienz
um 1904 bis 1907 im Besitz der Künstlerin
1907 bis Dezember 1913 Otto Modersohn, per Erbschaft L6
Dezember 1913 bis 1926 Mathilde Becker, Bremen, überschrieben aus dem Nachlass Paula Modersohn-Becker L6
1926 bis 1951 Tille (Mathilde) Modersohn, per Erbschaft L6
1951/52 Galerie Alex Vömel, Düsseldorf L6
1952 Kunstkabinett Asta von Friedrichs, Berlin, erworben von Alex Vömel Q1
1952 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben beim Kunstkabinett Asta von Friedrichs Q1
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
In den Jahren 1903 bis 1907, als Paula Modersohn-Becker in der Künstlerkolonie Worpswede lebte, malte sie zahlreiche Bilder von Kindern – meist Otto Modersohns Tochter Elsbeth oder Kinder aus dem Kreis ihrer Bekannten – in der kargen, mit Birken bewachsenen Landschaft des niedersächsischen Teufelsmoors. Gemälde mit dem Titel „Mädchen/Kind an/zwischen Birken“ kommen also in vielen Varianten vor, was die Zuordnung in der Provenienzforschung oft nahezu unmöglich macht. Im Falle des Bildes aus der Galerie des 20. Jahrhunderts (West), das bereits 1952 über das Kunstkabinett Asta von Friedrichs in die Sammlung kam, wurde die Provenienz jedoch in Vorbereitung des Werkverzeichnisses von Günter Busch und Wolfgang Werner geklärt.L6

Nach Modersohn-Beckers Tod 1907 überschrieb ihr Witwer Otto Modersohn das Bild 1913 an „Frau Baurat Becker“,L6 die Mutter der Künstlerin. Sämtliche Werke, die sich 1907 im Nachlass befanden, gehörten nach damaligem Erbrecht zu einem Drittel Otto Modersohn und zu zwei Dritteln der Tochter der Künstlerin, Tille (Mathilde) Modersohn (1907–1998), deren Geburt Paula Modersohn-Becker um nur drei Wochen überlebt hatte. Tille wurde zunächst durch einen Bruder ihrer Mutter als Vormund vertreten. Das Gemälde „Mädchen zwischen Birken“ gehört zu rund vierzig Studien, die die Mutter der Künstlerin, Mathilde Becker, im Dezember 1913 aus dem Nachlass erhielt, gemäß Otto Modersohns am 15. Februar 1915 angelegten Buch über die inzwischen eingetretenen Eigentumsveränderungen (dort S. 16, freundliche Auskunft von Wolfgang Werner, Paula-Modersohn-Becker-Stiftung, Bremen, 17.10.2012).

Mathilde Beckers Bezeichnung als „Frau Baurat“ geht darauf zurück, dass ihr Mann, der Ingenieur Carl Becker (1841–1901), seit 1888 einen Bauratsposten in Bremen innehatte. Mathilde, die selbst aus adeligen Kreisen stammte, besaß viele Freunde in künstlerischen Kreisen, sorgte für die musische Erziehung der sieben Kinder und förderte die Kunstneigung ihrer Tochter Paula. Als sie 1926 starb, vererbte sie „Mädchen zwischen Birken“ ihrer Enkelin Tille Modersohn, die es bis in die Nachkriegszeit behielt. Auf der Rückseite des Gemäldes befindet sich die Inschrift „Studie meiner Tochter / Paula Modersohn-Becker“, die Mathilde Becker bei Übernahme des Bildes dort anbrachte. 1951, bei Abgabe des Gemäldes an Alex Vömel in Düsseldorf, setzte Tille Modersohn handschriftlich eine Echtheitsbestätigung darunter. Vömel verkaufte das Bild im Folgejahr an Asta von Friedrichs, die es an Adolf Jannasch vermittelte.Q1

Die private Kunsthandlung von Asta von Friedrichs in Berlin, obgleich wenigen bekannt, spielte eine nicht geringe Rolle beim Aufbau der Galerie des 20. Jahrhunderts: Neun hochkarätige Gemälde der klassischen Moderne gelangten über sie in die Sammlung, darunter neben diesem Werke von Wassily Kandinsky, Maurice Utrillo, Edvard Munch und Max Beckmann. Von Friedrichs führte ihr Kunstkabinett – das ohne Ausstellungsraum auskam – seit mindestens 1948 von ihrer Privatwohnung in der Charlottenburger Nußbaumalle, in der auch Adolf Jannasch lebte. Asta von Friedrichs’ Vorgeschichte ist verknüpft mit der Kunst- und Verlagsanstalt, die Bruno Cassirer gemeinsam mit seinem Cousin Paul Cassirer 1898 in Berlin gegründet hatte. Seit mindestens 1930 bis zur erzwungenen Auflösung des Betriebs 1937 arbeitete von Friedrichs als Verlagsangestellte bei Bruno Cassirer, der auch Ausstellungen moderner Kunst veranstaltete (vgl. Asta Smith, Von der Verlagsarbeit Bruno Cassirers, in: Vom Beruf des Verlegers. Eine Festschrift zum sechzigsten Geburtstag von Bruno Cassirer, Berlin 1932, S. 99). Aus jener Zeit stammten ihre Kontakte zu Kunstsammlern und ihr kunsthändlerisches Grundwissen. Damals trug Asta den Nachnamen Smith, seit 1947 wieder ihren Mädchennamen.

Ob Adolf Jannasch mit dem Erwerb des von Asta von Friedrichs vermittelten skizzenartigen Gemäldes Paula Modersohn-Beckers ein großer Wurf gelungen war, sei dahingestellt. In einem Brief an Leopold Reidemeister, der sich bei der Nationalgalerie nach Werken Modersohn-Beckers erkundigt hatte, schrieb Paul Ortwin Rave 1957 abfällig: „Die Galerie des 20. Jahrhunderts besitzt eine Ölskizze ‚Mädchen zwischen Birken‘, 50 x 38 cm, kein besonders gutes Bild, steht zur Zeit im Depot.“Q5 Tatsächlich war das Jahr 1904, als Modersohn-Becker aus Paris nach Worpswede zurückkehrte, keine sehr produktive oder bedeutende Phase in ihrem Schaffen. Wahrscheinlich teilte Jannasch auch Raves Meinung über den künstlerischen Wert von „Mädchen zwischen Birken“: Er integrierte es nicht in die Dauerausstellung der Galerie und schrieb 1960 an den Kunsthändler Alex Vömel, dass er weiterhin auf der Suche nach einem „wirklich erstklassigen Gemälde“ Modersohn-Beckers sei (Brief Adolf Jannasch an Alex Vömel, 29.6.1960, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II B/Galerie des 20. Jahrhunderts – Land Berlin 2).

Recherche: CT | Text: CT

Papprückwand oben links: Schriftzug in Bleistift, verdeckt von Klebeband
Papprückwand oben Mitte: Aufkleber der Staatlichen Museen zu Berlin
Papprückwand Mitte, Inschrift: Studie meiner Tochter / Paula Modersohn-Becker
Papprückwand Mitte unten, Echtheitszertifikat: Ich bezeuge, dass dieses Bild von / meiner Mutter, Paula Modersohn-Becker / gemalt ist. / Fischerhude, d. 3. März 1951
Außenrahmen rechts Mitte: Aufkleber Rahmenfabrik F. G. Conzen, Düsseldorf
Außenrahmen rechts Mitte, Bleistift: 6315 / [unleserlich] 1704 / PusteMon [?]
Keilrahmen unten Mitte, Bleistift: 6313

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 5.11.1952

Q2 Nachtrag zur Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen], 13.9.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q3 Liste Platten – Kasten III, Galerie M–R, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Ordner B: Vereinigte Kunstsammlungen

Q4 Liste Platten – Kasten I, Galerie A–K, 25.7.1957, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 02-0204-02-040.1 bis -040.3, Nr. 6

Q5 Schreiben Paul Ortwin Rave an Leopold Reidemeister (Wallraff-Richartz-Museum Köln), 6.2.1957, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II/VA 6845

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1953, Nr. 49

L2 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1958, Nr. 125

L3 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1960, Nr. 137

L4 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 161

L5 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 148

L6 Günter Busch und Wolfgang Werner (Hrsg.), Paula Modersohn-Becker 1876–1907. Werkverzeichnis der Gemälde, 2 Bde., München 1998, Nr. 492