Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


zurück

Karl Hofer (1878–1955)
Mädchenkopf, um 1919

Öl auf Leinwand
57 x 49 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1949 erworben durch das Land Berlin

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Frauenkopf; Frauenkopf um 1920; Männerkopf

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unten rechts, Monogramm: CH

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 85
Inventar Land Berlin: 85
Weitere Nummern: 16/23 G

Werkverzeichnis-Nummer
Wohlert/Eisenbeis WV 364

Foto: Reschke, Steffens, Kruse (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Provenienz
bis 1924 im Besitz des Künstlers Q4 Q5
1924 bis 1937 Hamburger Kunsthalle, erworben vom Künstler Q4 Q5
21.8.1937 Deutsches Reich/Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Berlin, als „entartet“ beschlagnahmt in der Hamburger Kunsthalle, Beschlagnahmeinventar-Nr. 4949 Q3 Q8 Q6
1938 Depot Schloss Schönhausen, Berlin, Lagerung „international verwertbarer“ Kunstwerke Q7 Q8
1939 Hildebrand Gurlitt, Hamburg, erworben vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda Q6
1940 Karl Buchholz, Berlin Q9
1949 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin Q1
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Im Jahr 1924 hatte die Hamburger Kunsthalle Karl Hofers Gemälde „Mädchenkopf“ (auch „Frauenkopf“) für ihre Sammlung erworben und unter der Nummer 2232 inventarisiert. Der Ankauf erfolgte direkt beim Künstler, der dem Museum das Bild zusammen mit dem Gemälde „Freundinnen“ (heute Hamburger Kunsthalle, Inv.-Nr. 2832) für 2.500 Mk überließ.Q4 Q5

Im August 1937 fiel Hofers „Mädchenkopf“ der Aktion „Entartete Kunst“ zum Opfer. Es wurde aus der Sammlung der Hamburger Kunsthalle beschlagnahmt und ging in das Eigentum des Deutschen Reichs über.Q3 Q6 Von den rund 17.000 in ganz Deutschland beschlagnahmten und großteils in der Berliner Köpenicker Straße gesammelten Werken wurden viele Hundert als „verwertbar“ (das heißt im Ausland verkaufbar) identifiziert und in ein Depot im Schloss Schönhausen im Norden Berlins verlagert. Dass Hofers „Mädchenkopf“ zu den seit 1938 hier befindlichen Werken gehörte, belegen sowohl ein vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda erstelltes Verzeichnis zum „Bestand in Nieder-Schönhausen“, das heute als Teil des Aktenbestandes zu Hildebrand Gurlitt im Bundesarchiv verwahrt wird,Q8 als auch ein im Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin erhaltenes (spiegelverkehrt abgezogenes) Schwarz-Weiß-Foto, um 1938 aufgenommen in den Depoträumen, das unser Bild auf einer Staffelei zeigt.Q7 Die Nummer 4949, mit der „Mädchenkopf“ im Beschlagnahmeinventar verzeichnet wurde,Q8 prangt rückseitig auf einem Aufkleber auf dem Keilrahmen.(Rückseite)

Auch in der sogenannten Fischerliste, einem vollständigen Inventar der als „entartet“ beschlagnahmten Kunst von 1941, das 1996 aus dem Nachlass des Kunsthändlers Harry Fischer dem Londoner Victoria & Albert Museum übergeben wurde, taucht Hofers „Mädchenkopf“ auf, mit der zusätzlichen Nummer 375.Q6 In dieser Liste ist zudem verzeichnet, dass das Bild „Dr. Gurlitt“ zur „Verwertung“ („V“) überlassen wurde, wohl im Konvolut mit anderen Werken, da die Erwerbssumme mit „0,2 Sfr.“ (wohl also Teil eines größeren Betrages) angegeben ist.Q6 Im April 1940 wird das Gemälde dann in einem Brief erwähnt, den der Berliner Kunsthändler Karl Buchholz an das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda schrieb: „Sehr verehrte Herren, / Im Auftrage eines norwegischen Kunstfreundes, der mit einem Schreiben vom 7. April aus Oslo bestellt, möchte ich hiermit auf folgende Werke der EK-Kunst Ihnen ein Gebot senden unter dem Vorbehalt, dass durch die eingetretenen politischen Ereignisse dieser Besteller nicht von seinem Gebot zurücktritt. Bevor ich ihm den Auftrag bestätige, möchte ich von Ihnen recht rasch eine Mitteilung erhalten, ob ein Zuschlag auf sein Angebot erfolgt: Carl Hofer, ‚Erwachende Gefangene‘, Nr. 16020 / Carl Hofer, ‚Frauenhalbakt‘, Nr. 13226“ / Carl Hofer, ‚Frauenkopf‘, Nr. 4949 / Insgesamt für Norw. Kronen 525.-.“Q9 Zusätzlich war der Kunde an Hofers „Kartenspieler“ (Nr. 9669) und vier Werken von Karl Schmidt-Rottluff („Straße mit Leuchtturm“, „Sommer am Meer“, „Litauisches Dorf“, „Harzlandschaft“) interessiert.

Es ist gut möglich, dass Buchholz die Werke zu dem Zeitpunkt, als er den Brief schrieb, aus dem von Hildebrand Gurlitt übernommenen Kunstbestand angekauft hatte. Gurlitt und Buchholz waren zwei der vier Kunsthändler in Deutschland, die offiziell vom NS-Regime mit der „Verwertung“ der beschlagnahmten Kunstwerke, also ihrer Veräußerung im Ausland zwecks Devisenbeschaffung, beauftragt waren. Es ist bekannt, dass die vier „Verwerter“, zu denen auch Bernhard A. Böhmer in Güstrow und Ferdinand Möller in Berlin zählten, untereinander in Kontakt standen und hier und da mit den übernommenen Beständen handelten. Bekannt ist zwar auch, dass Karl Buchholz relativ wenige der „verwertbaren“ Werke tatsächlich ins Ausland verkaufte und zum Ende der „Verwertungsaktion“ im Frühjahr 1941 nachweislich 426 Kunstwerke unveräußert zurückgab, aber auf den zugehörigen Rückgabelisten ist Hofers „Mädchenkopf“ nicht verzeichnet (S. 355).L7

Fand der Ankauf durch den von Karl Buchholz vertretenen „Osloer Kunstfreund“ also tatsächlich statt? Die Akten im Bundesarchiv geben keine Auskunft darüber. Andere Hinweise zeigen jedoch, dass es sich bei dem Interessenten um Hans H. Ranft – einen in der Schweiz geborenen und nach Norwegen übergesiedelten Uhrenvertreter – handelte und dass die Transaktion zumindest zum Teil vollzogen wurde: Nachweislich vermittelte Buchholz im Rahmen einer Kaufvertrags vom 7. März 1941 elf Werke an Ranft in Oslo, darunter fünf der im zitierten Brief genannten Werke („Erwachende Gefangene“, „Frauenhalbakt“ und „Kartenspieler“ von Hofer sowie „Sommer am Meer“ und „Harzlandschaft“ von Schmidt-Rottluff). Hofers „Mädchenkopf“ lässt sich hier aber nicht nachweisen (S. 143, 157, 273, 296, 355, 400).L7 Es bleibt also vorerst unklar, ob das Werk 1940 in Berlin verblieb oder von Buchholz ins Ausland vermittelt wurde, um von dort den Weg zurück nach Deutschland zu finden.

Wie und von wem Adolf Jannasch das Hofer-Gemälde 1949, kurz nach Neugründung der Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin, für die Sammlung erwarb, ist ebenfalls weiterhin unbekannt. Erst 1952 wurde es, als Nummer 85, nachträglich ins Inventar der Galerie eingetragen – ohne Angaben zu Erwerbungsart, -ort oder -datum. Statt eines Kaufpreises gibt es dort die Notiz: „geschätzter Wert 24.5.54 1.000,-“.Q1 Die Akten der Galerie des 20. Jahrhunderts liefern keinerlei weitere Informationen zum Ankauf des Bildes.

Recherche: CT | Text: CT

Keilrahmen oben links, Aufkleber mit Nummer: 4949 [teil abgerissen; Nummer beschlagnahmter „entarteter Kunst“]
Keilrahmen oben Mitte links, Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts mit Inv.-Nr.: 16/23 G
Keilrahmen unten, kopfstehend: 49-57
diverse Spuren verlorener Etiketten auf dem Keilrahmen

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin [„Männerkopf“ durchgestrichen, ersetzt durch „Frauenkopf“]

Q2 Protokoll der Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen aus den Verwaltungs- und Ausstellungsräumen der Galerie], 5.6.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, S. 1

Q3 Liste der beschlagnahmten Werke (international verwertbar), o. D., Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, I/NG 866, Bl. 70 f. [hier zweimal aufgeführt: „Hofer. Frauenkopf. Hamburg“, ohne weitere Angaben]

Q4 Direktorenkorrespondenz 1924, Archiv der Hamburger Kunsthalle

Q5 Kartothek der ausgeschiedenen und getauschten Bilder, Archiv der Hamburger Kunsthalle, freundliche Auskunft von Ute Haug, Hamburger Kunsthalle, 15.3.2011

Q6 Fischerliste (als „entartet“ beschlagnahmte Werke), um 1941/42, National Art Library, Fischer Collection, Victoria & Albert Museum, London [online: www.vam.ac.uk/content/articles/e/entartete-kunst, letzter Zugang 11.2.2016], Nr. 375 [S. 258]

Q7 Foto aus dem Depot Schloss Schönhausen, Berlin, um 1938, Zentralarchiv, Staatliche Museen zu Berlin

Q8 Verzeichnis „Bestand in Nieder-Schönhausen“ [beschlagnahmte Werke „entarteter“ Kunst], Reichministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Akten Hildebrand Gurlitt, Bundesarchiv Berlin, R 55/21015, Bl. 26 ff. [Frauenkopf, Inv.-Nr. 4949]

Q9 Karl Buchholz an das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, 12.4.1940, Bundesarchiv Berlin, R 55/21017 (Akten Buchholz), Kopie bei den Staatlichen Museen zu Berlin, Zentralarchiv, IV/NL Buchholz Kiste C

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1953, Nr. 29

L2 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1958, Nr. 78

L3 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1960, Nr. 80

L4 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 97

L5 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 96

L6 Karl Wohlert und Markus Eisenbeis, Karl Hofer. Werkverzeichnis der Gemälde, Bonn 2008, Nr. 364 (Roters-Liste Nr. 246)

L7 Anja Tiedemann, Die ‚entartete‘ Moderne und ihr amerikanischer Markt. Karl Buchholz und Carl Valentin als Händler verfemter Kunst, Berlin 2013