Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Ewald Mataré (1887–1965)
Frau mit Rindern, 1930/31

Bronze

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1950 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 3.500 DM

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Frau mit 2 Rindern; Frau und Kuh

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unbezeichnet

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 44
Inventar Land Berlin: 44
Weitere Nummern: 9/5

Werkverzeichnis-Nummer
Schilling WV 70

Foto: Vic Fischbach, imedia, Luxemburg / © VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Provenienz
1931 bis 1933 Erich und Luise Mendelsohn, Berlin Q1 Q9
1950 Galerie Franz, Berlin Q1 Q5
1950 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben bei der Galerie Franz Q1
1963 Vergleich zwischen Luise (Louise) Mendelsohn und dem Land Berlin zum Ausgleich von Restitutionsansprüchen Q1 Q5
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Um 1929 hatte der Architekt Erich Mendelsohn den Bildhauer Ewald Mataré mit einem Kunstwerk für den Neubau der Villa beauftragt, die er 1928 bis 1930 gemeinsam mit seiner Frau, der Cellistin Luise Mendelsohn (geb. Maas), am Rupenhorn 6 in Berlin nach seinen eigenen Plänen bauen ließ. Mataré fertigte ein fast zwei Meter breites Bronzerelief, das einen weiblichen Akt mit zwei liegenden Rindern zeigt und einen Ehrenplatz über dem Sofa im Musikzimmer der Villa Mendelsohn fand. Nicht zuletzt aufgrund seines hohen Gewichts war das Relief fest in der Wand installiert. Als Erich und Luise Mendelsohn, als Juden von den Nationalsozialisten verfolgt, Ende März 1933 die Flucht nach Palästina und England ergriffen, blieb ihr neues Wohnhaus in Grunewald mitsamt großen Teilen der Einrichtung zurück. Auch das Relief von Mataré gehörte – anders als die beweglichen Möbel und die Kunstwerke (von Lyonel Feininger, Max Pechstein, Wassily Kandinsky, Amédée Ozenfant und anderen), deren Nachsendung zur Einlagerung bei Whiteleys Depository in London den Mendelsohns gelang – zu den zurückgelassenen Gegenständen.Q11 Q5

Das Schicksal von „Frau mit Rindern“ in den Jahren zwischen der Emigration des Ehepaares Mendelsohn 1933 und dem Auftauchen des Reliefs bei der Berliner Galerie Franz, bei der Adolf Jannasch es 1950 für die Galerie des 20. Jahrhunderts erwarb, ist nicht genau bekannt. Bis 1936 bewohnten Eduard Duisberg, Regisseur und von 1933 bis 1945 Direktor des Varietétheaters Scala in Berlin (vgl. www.spiegel.de/spiegel/print/d-41960481, letzter Zugang 11.2.2006), und seine Frau Olga, Kostümdesignerin, die Villa am Rupenhorn, ab 1936 der Bergwerksbesitzer Brockhaus (vgl. Berliner Adressbücher, Zentral- und Landesbibliothek Berlin). Wann und von wem das schwere Mataré-Relief demontiert und in wessen Auftrag es in den Kunsthandel gegeben wurde, bleibt offen.

Sicher ist jedoch, dass Jannasch sich bei Erwerb des Werkes 1950 über dessen Provenienz im Klaren war. „Da dieses Relief aus der Auflösung einer Villa stammt, ist es für seine Qualität und Größe besonders preiswert“, ließ er die Ankaufskommission wissen,Q8 die daraufhin den Erwerb bewilligte. Auch Mataré selbst wusste vom Wiederauftauchen des Reliefs: Am 13. März 1952 wurden Schäden am Horn des oberen Rindes unter seiner Mitarbeit durch Hermann Noack in Berlin restauriert.Q1 Dass dem Künstler sehr an dem Werk gelegen war und er dessen Aufnahme in eine öffentliche Sammlung schätzte, verdeutlicht eine Bemerkung von Erich Meyer, der 1952 das Relief als Leihgabe für eine Mataré-Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe bei Adolf Jannasch erbat: „Bei einem Besuch in Büdenich sagte mir Professor Mataré, wieviel ihm daranläge, auf dieser Ausstellung das große Relief (Frau und Kuh) zu zeigen, das sich seinerzeit im Hause Mendelssohn [sic] am Rupenhorn befunden hat und inzwischen in den Besitz der Stadt übergegangen ist.“Q9 Jannasch stellte das Werk als Leihgabe zur Verfügung.

Luise (inzwischen: Louise) Mendelsohn jedoch, die seit 1941 in den USA wohnte, wo Erich Mendelsohn 1953 verstorben war, scheint erst 1958, als sie erstmals wieder Deutschland besuchte, zufällig davon erfahren zu haben, dass das Relief in eine öffentliche Kunstsammlung gelangt war. Sie initiierte mithilfe von Dr. Friedrich Rudolph ein Entschädigungsverfahren gegen das Land Berlin, dessen Bearbeitung sich – trotz grundlegend wohlwollender Absichten seitens des Senats – über fast vier Jahre hinzog. In einer ersten Stellungnahme vom 18. Dezember 1959 erklärte Jannasch den Sachverhalt: „Woher die Galerie Franz das Werk erworben hat, kann ich nicht sagen. Es wird sich auch schwer feststellen lassen, da die Galerie Franz seit vielen Jahren nicht mehr existiert“ (Bl. 14.4.4).Q5 Noch im Dezember 1959 signalisierte der Senator für Volksbildung seine Bereitschaft zu einem Vergleich. Darauf folgte jedoch eine langwierige Diskussion über den aktuellen Wert des Kunstwerkes, das als Unikat mit einer Summe zwischen 20.000 und 30.000 DM beziffert wurde, und die Handhabe einer möglichen Entschädigung. Nachdem der Senator für Finanzen, Wolff, am 8. Dezember 1961 die Zahlung einer einmaligen Entschädigung in Höhe von 10.000 DM abgelehnt und stattdessen die „Herausgabe des Gegenstands“, also die Restitution des Reliefs an Louise Mendelsohn, gefordert hatte (Bl. 14.18.2),Q5 schaltete sich Jannasch – dem der potenzielle Verlust eines solch einmaligen Werkes für die Galerie des 20. Jahrhunderts nicht behagte – mit einem persönlichen Brief ein. Am 22. Januar 1962 fragte er vorsichtig bei Louise Mendelsohn an, ob es für sie infrage käme, dass er „Frau mit Rindern“ nach der Rückgabe an sie „als rechtmäßige Eigentümerin“ für die Galerie zurückerwerben könne (Bl. 14.18.1).Q5 Er erhielt positive Antwort, woraufhin ein neuer Betrag von 11.050 DM ausgehandelt wurde. Nachdem der Fall aber erneut vom Senator für Justiz begutachtet worden war, wurde am 14. Oktober 1963 letztlich doch entschieden, die Sache mit einem Vergleich zu regeln (Bl. 14.8).Q5 Im November 1963 unterzeichneten beide Parteien das Vergleichsdokument, in dem sich der Senator für Wissenschaft und Kunst (zuvor Senator für Volksbildung) zur einmaligen Zahlung von 11.050 DM verpflichtete und Louise Mendelsohn auf jegliche weitere Ansprüche verzichtete (Bl. 14.6).Q5 Das Relief blieb der Galerie des 20. Jahrhunderts erhalten.

1967 kontaktierte Hanna Mataré, die Witwe des Künstlers, Adolf Jannasch mit der Bitte, für einen „Kunstfreund“ einen Abguss von „Frau mit Rindern“ herstellen zu dürfen. Jannasch lehnte ab: „Ich glaube nicht, dass damit dem Werk von Mataré wirklich gedient ist. Jeder Nachguss kann nicht sorgfältig genug überlegt werden und vor allem handelt es sich bei dem Relief um eine einmalige Arbeit für das Haus Mendelsohn in Berlin, also um ein Unikat. In diesem Falle würde die Herstellung eines zweiten Gusses eine Minderung dieses wichtigen Werks von Mataré darstellen, sodass Sie meinen Standpunkt sicher verstehen werden.“Q6

Das Relief „Frau mit Rindern“, 1968 an die Nationalgalerie übergeben, ist seit 1979 als Dauerleihgabe beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg installiert.

Recherche: CT | Text: CT

unbezeichnet

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 21.6.1950

Q2 Liste der Kunstwerke, die am 6.6.1968 aus dem Depot der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz übergeben wurden, o. D., Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Bl. 5 [handschriftlicher Nachtrag]

Q3 Liste Platten – Kasten III, Galerie M–R, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Ordner B: Vereinigte Kunstsammlungen

Q4 Liste Platten – Kasten I, Galerie A–K, 25.7.1957, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 02-0204-02-040.1 bis -040.3, Nr. 48

Q5 Briefwechsel zum Wiedergutmachungsverfahren Louise Mendelsohn, 1959–1964, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 03-0406-01-014

Q6 Anfrage von Hanna Mataré auf Erlaubnis zur Herstellung eines zweiten Gusses des Werkes „Frau mit Rindern“ und Ablehnung von Adolf Jannasch, 22./23.8.1967, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 03-0406-01-015

Q7 Zahlungsanweisung an die Galerie Franz, 21.6.1950, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446

Q8 Protokoll der Ankaufskommission, 21.6.1950, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446

Q9 Leihanfrage des Museums für Kunst und Gewerbe, Hamburg, an Adolf Jannasch, 19.6.1952, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1625

Q10 Brief Erich Meyer (Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg) an Adolf Jannasch, 16.9.1953, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1434

Q11 ema.smb.museum/de/briefe, letzter Zugang 11.2.2016

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1953, Nr. 18

L2 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1958, Nr. 226

L3 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1960, Nr. 250

L4 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 295

L5 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 356

L6 Sabine Maja Schilling, Ewald Mataré. Das plastische Werk, Köln 1994, Nr. 70