Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Edvard Munch (1863–1944)
Aasgaardstrand, 1906/07

Tempera auf Leinwand
91 x 157,5 cm; 120,5 x 222,5 x 22,5 cm (Trapo)

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1966 erworben mit Unterstützung des Landes Berlin
Ankaufspreis: 1.700.000 DM (Preis für alle acht Tafeln des Reinhardt-Frieses, NG 17/66 bis NG 24/66)

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Reinhardt-Fries; Mondschein auf dem Meer; Mond; Untergehende Sonne; Sonnenuntergang

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unbezeichnet

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: NG 17/66
Inventar Land Berlin: 1030

Werkverzeichnis-Nummer
Woll WV 725

Foto: Anders, Jörg P. / CC BY-NC-SA
Provenienz
1907 bis 1912 Deutsches Theater, Kammerspiele, Berlin L3
1914 bis 1916 Galerie Fritz Gurlitt, Berlin L3 L6 L7 Q13 Q14 Q15 Q16
27.3.1916 Kunstsalon Paul Cassirer, Berlin L3 Q14
1916 bis wohl 1925 A. C. Nielsen, Skandinavien L3
Januar 1925 bis 1951 Heinrich C. Hudtwalcker, Hamburg-Blankenese, erworben durch Vermittlung des norwegischen Malers Ludvig O. Ravensberg Q4 L3
1951 Galerie Rudolf Hoffmann, Hamburg Q4
1951 bis 1965 Sammlung Ragnar Moltzau, Oslo L3 Q3 Q4 L10
1965/66 Galerie Beyeler, Basel L3 Q7 Q11 L14
1966 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben bei der Galerie Beyeler aus Mitteln der Deutschen Klassenlotterie und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Bildende Kunst
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
1966 erwarb Adolf Jannasch für die Galerie des 20. Jahrhunderts in der Baseler Galerie Beyeler acht Bilder des ursprünglich zwölfteiligen „Lebensfrieses“, den Edvard Munch 1906/07 für die Kammerspiele des Deutschen Theaters in Berlin geschaffen hatte. Der immense Kaufpreis von 1,7 Millionen DM konnte nur durch eine Mischfinanzierung aufgebracht werden, an der sich das Land Berlin mit Mitteln der Deutschen Klassenlotterie, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die Deutsche Gesellschaft für Bildende Kunst beteiligten.Q6 Q7

1906 hatte Munch von Max Reinhardt den Auftrag erhalten, für das Foyer der Kammerspiele des Deutschen Theaters in der Schumannstraße, das der Regisseur 1905 in sein wachsendes Berliner Theater-Imperium übernommen hatte, einen Bilderfries zu schaffen. Im Dezember 1907 schloss Munch die Arbeit daran ab. Schon 1912 jedoch wurde anlässlich eines Umbaus des Theaters der Fries wieder abgenommen und wenig später von Reinhardt der Berliner Galerie Fritz Gurlitt zum Verkauf übergeben. Munch berichtet seinem Freund Albert Kollmann im Februar 1914 von diesem Ereignis: „Die Kammerspiel Fries hat […] Hr Gurlitt fur 5 fach verdobbelte Preise von Reinhardt gekauft“ [sic].Q13 Auch mit dem Kunsthändler Hugo Perls tauschte sich Munch zu diesem Thema aus: „Ihr Fries ist nun leider nicht in gute Hände gekommen“, berichtete ihm Perls, „denn nach allerlei listigen Ränken von Curt und Elsa Glaser hat Herr Gurlitt ihn gekauft und ihn bereits durch den Verkauf zweier Bilder an Frau Glasers Vater zerrissen und zerstückelt. Ich finde das enorm unrecht, wenn Menschen, die vorgeben, Ihre Kunst zu lieben, um Kunsthändlern einen pekuniären Vorteil zu verschaffen, hintenherum verhindern, dass Ihr herrlicher Fries in guten Händen zusammenblieb. Der Kunst ist damit kein guter Dienst getan, – vielleicht Herrn Gurlitt.“Q16 Insgesamt vier Bilder gelangten über Fritz Gurlitt in die Sammlung Glaser. Die verbleibenden acht wurden 1916 über den Kunstsalon Paul Cassirer an den Skandinavier A. C. Nielsen verkauft.L3 Q10 Q14 Noch im selben Jahr wurden sie in der Nya Konstgalleriet Stockholm und in der Interior Kunst og antikvitetsforretning in Kristiania (heute Oslo) ausgestellt. Der mit Munch persönlich bekannte Osloer Maler Ludvig O. Ravensberg (1871–1958) vermittelte und unterstützte schließlich neun Jahre später den Rückverkauf nach Deutschland.Q4 L3

Im Januar 1925 erwarb der Hamburger Kaufmann Heinrich Christian Hudtwalcker (1880–1952) die acht Bilder.L5 Geschäftsreisen führten ihn regelmäßig nach Oslo, wo eine Zweigniederlassung der im Handel mit Wal-Tran tätigen Hamburger Firma Hudtwalcker & Co. ansässig war. In Oslo hatte Hudtwalcker schon vor dem Ersten Weltkrieg Munch persönlich kennengelernt und erste Werke von ihm erworben. Über die Jahre vergrößerte er seine Sammlung auf mehr als dreißig Munch-Gemälde und eine große druckgraphische Kollektion. Diese Kunst seines favorisierten Malers galt jedoch in der NS-Zeit als „entartet“. Durch die Verfemungspropaganda verunsichert, verbarg Hudtwalcker die Kunstwerke zunächst im Keller seines Wohnhauses an der Elbchaussee. Als die zunehmenden Luftangriffe dieses Depot als nicht mehr sicher genug erschienen ließen, musste er feststellen, dass moderne Kunst nicht in die offiziellen Schutzbunker übernommen wurde. So lagerte er die Werke teilweise in Banktresoren und teilweise im Keller der Hamburger Kunsthalle ein. In jenem Museumskeller überstanden auch die acht Tafeln des Reinhardt-Frieses, abgesehen von einem Feuchtigkeitsschaden, die Kriegsjahre.L4 L8 Luise Schiefler berichtete Munch im Dezember 1943: „Hudtwalckers sind seit einigen Monaten unsere Nachbarn. Sie wissen doch, daß ihre große Fabrik erledigt ist u. infolgedessen das Contor nach der Elbchaussee verlegt werden musste.“Q17 Nach der Zerbombung der Hamburger Firma war Hudtwalcker zwar aus finanziellen Gründen zu ersten Verkäufen gezwungen, von dem „Lebensfries“ jedoch trennte er sich erst nach dem Krieg, wie sein Sohn Olaf Hudtwalcker 1979 der Nationalgalerie in Berlin mitteilte: „Mein Vater verkaufte den Fries erst nach dem letzten Kriege, wahrscheinlich über den Hamburger Kunsthändler Hoffmann an Moltzau, von dem er dann zu Ihnen nach Berlin gelangte.“Q4

Rudolf Hoffmann war mit seiner Galerie bis Mitte der 1960er-Jahre in der Großen Bleichen 5 in Hamburg ansässig. Er stellte in den teilweise zu einer Galerie umfunktionierten Räumen eines Modesalons seit 1946 überwiegend Werke von zuvor diffamierten Künstlern aus. Zudem war er Mitglied im „Fachausschuss für Bildende Kunst Nr. 7“, der im Februar 1946 gegründet wurde und zur Entnazifizierung im Kultursektor beitragen sollte.L8 L15 L16 Hoffmann verkaufte 1951 den „Lebensfries“ an Ragnar Moltzau, den Inhaber der Moltzau-Tankreederei in Oslo, der bei seinem Sammlungsaufbau durch Marlborough Fine Art, London, beraten wurde.L3 Q3 Q4 L10 50 Werke Munchs nannte er sein Eigen, als er 1960 den größten Teil seiner Sammlung für zehn Millionen DM an die Staatsgalerie Stuttgart veräußerte.L13 Die acht „Lebensfries“-Tafeln jedoch standen 1966 in der Baseler Galerie Beyeler zum Verkauf,L3 Q7 Q8 Q9 Q11 Q12 L14 wo Jannasch sie mittels einer konzertierten Finanzierungsaktion erwerben konnte.

Recherche: HS | Text: HS

unbezeichnet

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, erworben 1966

Q2 Verwaltungsvereinbarung zur Eigentumsregelung des Munch-Frieses, 25.9./8.11.1970, Bildakte Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q3 Brief Reidar Revold an Peter Krieger, 17.9.1965, Bildakte Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q4 Brief Olaf Hudtwalcker an Peter Krieger, 12.8.1979, mit Kopie eines Briefes von Heinrich C. Hudtwalcker an Ludvig O. Ravensberg, Bildakte Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q5 Ankaufsgutachten, Korrespondenz zwischen der Galerie Beyeler und der Nationalgalerie, Transportpapiere, Bildakte Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q6 Kostenaufstellung für Munchs Lebensfries, Februar 1969, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-98

Q7 Liste der Erwerbungen der Deutschen Gesellschaft für Bildende Kunst für öffentliche Kunstinstitutionen des Landes Berlin, o. D., Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-79

Q8 Rechnung Galerie Beyeler, 14.12.1965, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-79

Q9 Jahresbericht 1965/66 der Deutschen Gesellschaft für Bildende Kunst, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-79

Q10 Manuskript „Neuerwerbung für die Nationalgalerie“, o. D., Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-79

Q11 Brief Will Grohmann an Senator Arndt, 2.8.1965, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-79

Q12 Angebot der Galerie Beyeler an Senator Arndt, 3.6.1965, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-79

Q13 Brief Edvard Munch an Albert Kollmann, 3.2.1914, Munch-Museet Oslo, NM N 3224

Q14 Einkaufsbuch 3, Paul Cassirer, Archiv der Galerie Cassirer, Walter Feilchenfeldt, Zürich

Q15 Brief Eberhard Grisebach an Helene Spengler, 25.2.1914, publiziert in: Lothar Grisebach (Hrsg.), Maler des Expressionismus im Briefwechsel mit Eberhard Grisebach, Hamburg 1962, S. 42

Q16 Brief Hugo Perls an Edvard Munch, o. D. [vor Oktober 1914], Munch-Museet Oslo, NM K 3019-2021

Q17 Brief Luise Schiefler an Edvard Munch, 3.12.1943, publiziert in: Arne Eggum (Hrsg.), Edvard Munch – Gustav Schiefler. Briefwechsel, Bd. 2: 1915–1935/43 (Veröffentlichungen des Vereins für Hamburgische Geschichte, 36), Hamburg 1990, Nr. 903

L1 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 162 f.

L2 Edvard Munch, Ausst.-Kat. Nationalgalerie Berlin 1927, Nr. 109 und 110

L3 Gerd Woll, Edvard Munch. Complete Paintings. Catalogue Raisonné, 4 Bde., London und New York 2009, Nr. 732

L4 Maike Bruhns, Hamburger Sammlungen im Dritten Reich, in: Private Schätze. Über das Sammeln von Kunst in Hamburg bis 1933, hrsg. von Ulrich Luckhardt und Uwe M. Schneede, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Hamburg 2001, S. 86–90, hier S. 87

L5 Ulrich Luckhardt, Kleines Lexikon der Hamburger Kunstsammler, in: Private Schätze. Über das Sammeln von Kunst in Hamburg bis 1933, hrsg. von Ulrich Luckhardt und Uwe M. Schneede, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Hamburg 2001, S. 214–253, hier S. 230

L6 Dorothee Hansen, Der Reinhardt-Fries 1906/07, in: Munch und Deutschland, Ausst.-Kat. Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München; Hamburger Kunsthalle; Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, Stuttgart 1994, S. 206 f.

L7 Edvard Munch, Ausst.-Kat. Kunst-Salon Fritz Gurlitt Berlin 1914

L8 Maike Bruhns, Kunst in der Krise, Bd. 1: Hamburger Kunst im „Dritten Reich“, Hamburg 2001, S. 232, 242 f.

L9 Ulrich Bischoff, Die Rolle Edvard Munchs beim Einzug der Moderne in die deutschen Museen. Anmerkungen zu acht Bildern aus einer norwegischen Privatsammlung, in: Pantheon 43/1985, S. 126–140

L10 Erhard Göpel, Ein grosser norwegischer Sammler. Die Sammlung Ragnar Moltzau im Zürcher Kunsthaus ausgestellt, in: Weltkunst 27/1957, S. 5 f.

L11 Maike Bruhns, Kunst in der Krise, Bd. 1: Hamburger Kunst im „Dritten Reich“, Hamburg 2001, S. 472, 483

L12 Heinrich Wigand Petzet, Wiederbegegnung mit Munch. Eine Ausstellung bei Beyeler in Basel, in: Weltkunst, Jg. 35, Nr. 21, November 1965, S. 1023

L13 Trio mit Fifi, in: Der Spiegel 50/1963, S. 95–98

L14 Edvard Munch, Ausst.-Kat. Galerie Beyeler Basel 1965, Nr. 23

L15 Die neuen Räume der Galerie Rudolf Hoffmann in Hamburg, in: Weltkunst, Jg. 24, Nr. 15, August 1954, S. 6, 10

L16 H. Müller-Feldmann, Galerie Rudolf Hoffmann, in: Weltkunst, Jg. 20, Nr. 11, Juni 1950, S. 8