Ernst Wilhelm Nay (1902–1968)
Stürmische Wellen, 1935
Öl auf Leinwand
80,5 x 100,5 cm
Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin
1949 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 750 DM
Abweichende Titel
Wellen
Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unten links: E.W.NAY.35.
Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 5/1
Inventar Land Berlin: 963
Hauptverzeichnis Senat: 5/1
Werkverzeichnis-Nummer
Scheibler WV 184
spätestens 1949 Alexandra von Reitzenstein, Berlin Q1 Q7
1949 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben von Alexandra von Reitzenstein Q1 Q7
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Da sein Werk in der NS-Zeit als „entartet“ verfemt wurde, entfloh Ernst Wilhelm Nay 1935 und 1936 dem tristen Alltag in der Großstadt Berlin, indem er mit seiner Frau Elly die Sommermonate in Vietzkerstrand (heute Wicko Morskie, Polen) an der Ostsee verbrachte. Die Aufenthalte inspirierten ihn zu zahlreichen Dünen- und Fischerbildern, die vor Ort oder später im Atelier entstanden. 1937 wohnte Nay zeitweise als Gast von Edvard Munch in Norwegen, wo er, wie erneut im Folgejahr, die Nordmeerinseln besuchte, deren Eindrücke sich in den sogenannten Lofotenbildern niederschlugen. In diese Jahre fallen Nays Gemälde „Stürmische Wellen“ (Inv.-Nr. 963) und „Ostseefischer“ (Inv.-Nr. 63) aus der Galerie des 20. Jahrhunderts. Nach einer Studienreise in Bulgarien 1939 verbrachte der Künstler die Kriegsjahre 1940 bis 1945 als Kartenzeichner im französischen Le Mans. Zu seiner Rückkehr vermittelte Hanna Bekker vom Rath ihm Atelier und Wohnung in Hofheim im Taunus, wo er bis zu seinem Umzug nach Köln 1951 blieb. In jener Zeit etablierte er sich mit zahlreichen Ausstellungen, Galerievertretungen und Verkäufen zu einem der erfolgreichsten zeitgenössischen Maler Deutschlands.
„Stürmische Wellen“ von 1935 überstand den Krieg vermutlich in Deutschland. Während der NS-Zeit verkaufte Nay wenig, die meisten Bilder lagerten in seinem Studio, wie Elly Nay sich erinnerte: „Einige seiner schönsten Arbeiten, auch die großen Ostseefischer-Bilder, sind in diesem [Berliner] Atelier entstanden. […] außerdem die berühmten Lofotenbilder, die während der Hitlerzeit auf dem Dachboden in die innere Emigration gingen“ (S. 57).L7 Mithilfe seiner Frau gelang es auch, Nays Kunst vor der Kriegszerstörung zu bewahren. Elly Nay (geb. Helene Kirchner, 1901–1986) hatte folgende Auslagerungen initiiert: zwei Kisten mit Fischer- und Lofotenbildern im Keller des Hauses von Ernst Wilhelms Onkel, Kreispfarrer in Muskau/Niederlausitz; eine Kiste mit Fischerzeichnungen und kleinen Ölbildern in der Villa des Kunsthistorikers Erich Meyer in Berlin-Frohnau; einzelne Aquarelle bei dem Kunsthändler Günther Franke in Seeshaupt am Starnberger See sowie eine Anzahl von Werken bei Verwandten in Berlin-Schmargendorf und in Langensalza/Thüringen (S. 115 f., 140).L7 Am 12. September 1943 konnte Nay somit an Günther Franke schreiben: „Bin in Berlin für einige Tage – ausgebombt. Die Wohnung ist hin, Bilder und Möbel vollständig gerettet“ (S. 174).L8
Aus welchem dieser ausgelagerten Teilbestände die Kunsthändlerin Alexandra von Reitzenstein (geb. von Gernet, 1900–1965) „Stürmische Wellen“ erwarb, ist nicht genau zu ermitteln. Es ist auch nicht auszuschließen, dass der Künstler es bereits vor Kriegsende an sie veräußerte. Als Adolf Jannasch das Werk 1949 von ihr kaufte, hatte sie gerade die Galerie Reitzenstein & Co. in Berlin gegründet, wo Eberhard Seel für sie arbeitete, der später ihr Mann und Geschäftspartner wurde. Seel war seit 1934 befreundet mit Ernst Wilhelm und Elly Nay und hatte 1947 begonnen, eine private Sammlung von Arbeiten Nays zusammenzutragen (S. 69).L7 Er könnte den persönlichen Kontakt zu von Reitzenstein hergestellt haben. Zudem hatten die ersten Ausstellungen Nays nach dem Krieg – auf Betreiben von Elly Nay – in Berlin stattgefunden: 1946 bei Karl Buchholz, im selben Jahr bei Gerd Rosen und 1947 sowie 1948 bei der Galerie Franz. Es bestand also reichlich Möglichkeit, Nay und sein Werk kennenzulernen.
Recherche: CT | Text: CT
Leinwand hellblau übermalt; oben links: 1935
Keilrahmen oben Mitte, Bleistift: NAY „Wellen“ 1935
Keilrahmen rechts Mitte, Aufkleber Werkbezeichnung mit Etikett: 52
Aufkleberspuren auf dem Rahmen
Keilrahmen unten rechts: Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts
Keilrahmen unten links: Aufkleber der Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin
Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, erworben 1949 [nachinventarisiert]
Q2 Protokoll der Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen aus den Verwaltungs- und Ausstellungsräumen der Galerie], 5.6.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, S. 3
Q3 Liste der von der Galerie des 20. Jahrhunderts übernommenen und dort befindlichen Werke aus HUA B 3000/303 (Werke lebender Künstler), 1.4.1959, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0300-00-001
Q4 Ankaufsbestätigung Adolf Jannasch an die Galerie Reitzenstein, 9.7.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1445
Q5 Zahlungsanweisung (Rate) an Frau von Reitzenstein, 5.10.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446
Q6 Protokoll der Ankaufskommission, 23.8.1950, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446
Q7 Hauptverzeichnis für Kunstwerke B 3000/303, Senator für Volksbildung, Berlin, Referat Bildende Kunst [Inventar 1949–1958], Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0300-00-001, 5/1, lfd. Nr. 53
Q8 Karteikarte Senat, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin
L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1958, Nr. 137
L2 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1960, Nr. 150
L3 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 175
L4 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 163
L5 Aurel Scheibler, Ernst Wilhelm Nay [Werkverzeichnis], Köln 1990, Nr. 184
L6 Ernst Wilhelm Nay, Lesebuch. Selbstzeugnisse und Schriften 1931–1968, Köln 2002
L7 Elly Nay, Ein strahlendes Weiß, Berlin und Köln 1984
L8 Doris Schmidt (Hrsg.), Briefe an Günther Franke, Köln 1970