Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Alexej von Jawlensky (1864–1941)
Abstrakter Kopf, 1932

Öl auf Papier auf Pappe
34 x 26 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1958 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 8.500 DM

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Kopf

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unten links: A.J.
unten rechts, Datierung: 32

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 245
Inventar Land Berlin: 245
Weitere Nummern: 27/15

Werkverzeichnis-Nummer
Jawlensky WV 1386

Foto: Steinkopf, Walter / CC BY-NC-SA
Provenienz
nach 1932 bis 1944 Lisa Kümmel, Wiesbaden, Schenkung des Künstlers (Widmung)
wohl nach 1945 Verkauf aus dem Nachlass Lisa Kümmel, Wiesbaden L6
1958 Galerie Gerd Rosen, Berlin Q1 Q5
1958 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben bei der Galerie Rosen Q1
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Alexej von Jawlensky versah die Bildrückseite seines „Abstrakten Kopfes“ mit der Widmung „N. 8. A. Jawlensky 1932 / Ich möchte Ihnen damit etwas sagen liebe Lisa [unleserlich durch Streichung] / A. Jawlensky“. Lisa Kümmel (1897–1944), der diese Worte galten, war Jawlensky 1927 begegnet, als sie sich als freischaffende Kunstgewerblerin in Wiesbaden niedergelassen hatte. Zuvor hatte sie nach ihrem Studium an der Kunstgewerbeschule in Wiesbaden, an der Reimann-Schule in Berlin und an der Berliner Kunstgewerbeschule seit 1922 als Lehrerin bei den Wiener Werkstätten gearbeitet. 1924 hatte sie eine Strickfabrik in Frankfurt-Niederrad geleitet und war 1925 in ihre Geburtsstadt Wiesbaden zurückgekehrt. Ihre emotionale Beziehung zu Jawlensky war äußerst eng. Ab 1934 half sie dem Künstler, sein Werk zu ordnen und zu katalogisieren, führte teilweise seine Korrespondenz und zeichnete nach Diktat seine Lebenserinnerungen auf. 1937 erstellte sie das sogenannte Werkstattverzeichnis der Bilder in Jawlenksys Atelier. Im folgenden Jahr gab sie ihre eigene künstlerische Karriere vollends auf, um sich komplett der Pflege des gelähmten Jawlensky zu widmen, der bis zu seinem Tod am 14. März 1941 ans Bett gefesselt war. Nachdem der Künstler verstorben war, betreute sie seinen Nachlass und verdiente ihren Lebensunterhalt in einer Gärtnerei.L6 L7

Im Werkstattverzeichnis Lisa Kümmels ist der „Abstrakte Kopf“ nicht identifizierbar, da insgesamt zwölf Bilder gleichen Titels aus dem Entstehungsjahr 1932 darin verzeichnet sind.Q7 Zudem enthält das Verzeichnis nur Werke, die sich zwischen 1937 und 1939 in Jawlenskys Wiesbadener Atelier befanden. Vermutlich gehörte das Geschenk zu dieser Zeit bereits zu Kümmels Jawlensky-Sammlung, die insgesamt 166 Werke des Künstlers umfasste, darunter eine Reihe weiterer Köpfe und „Meditationen“.L5 L7 Aus Kümmels Wohnung existieren mehrere undatierte Fotografien, die ihre Bildergalerie zeigen. Der „Abstrakte Kopf“ aus der Galerie des 20. Jahrhunderts ist darauf jedoch nicht zu erkennen (freundliche Mitteilung von Bernd Fäthke, 13.12.2012).Q6

Kümmel wurde im November 1944 bei einem Bombenangriff im Haus ihres Bruders verschüttet und erlag kurz darauf ihren Verletzungen. Ihre Jawlensky-Sammlung blieb in ihrer Stadtwohnung jedoch unbeschädigt und wurde nach Kriegsende von ihrem Bruder verkauft. Er war derjenige, der im Zuge der Nachlassveräußerung in mehreren Fällen die ihm als zu persönlich erscheinenden Worte Jawlenskys aus den rückseitigen Widmungen an Lisa Kümmel tilgte.L6 (Rückseite) Über dieses markante Provenienzmerkmal ist der „Abstrakte Kopf“ aus der Galerie des 20. Jahrhunderts jedoch als Teil ihres Nachlasses zu identifizieren. Der weitere Weg des Bildes in die Berliner Galerie Gerd Rosen, in der Adolf Jannasch das Bild 1958 erstand, ist unbekannt.

Recherche: HS | Text: HS

Keilrahmen oben Mitte links: Aufkleber Ausstellung Kunsthalle Baden-Baden 1983
Keilrahmen oben Mitte rechts: Aufkleber Ausstellung Lenbachhaus München
Keilrahmen oben rechts: Aufkleber Ausstellung Espace van Gogh Arles 1993
Keilrahmen unten links: Aufkleber Biennale Venedig, Nr. 186
Bildrückseite oben links, Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts mit Inv.-Nr.: 27/15
Bildrückseite oben rechts, Widmung: N. 8. A. Jawlenksy 1932 / Ich möchte Ihnen damit etwas sagen liebe Lisa [unleserlich durch Streichung] / A. Jawlensky

Rückseite
Foto: Kilger, Andres
Rückseite
Foto: Kilger, Andres
Rückseite
Foto: Kilger, Andres

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 13.3.1958

Q2 Protokoll der Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen aus den Verwaltungs- und Ausstellungsräumen der Galerie], 5.6.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, S. 3

Q3 Protokoll der Ankaufskommission, 6.11.1959, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II/ VA 6754, Bl. 112

Q4 Begleitbrief zur Rechnung, Adolf Jannasch an den Senat, Referat Volksbildung, 13.5.1958, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 10-0302-04-305

Q5 Rechnung der Galerie Gerd Rosen an Adolf Jannasch, 26.1.1958, Bildakte Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q6 Fotografien aus Lisa Kümmels Wiesbadener Wohnung, o. D., Archiv Fäthke-Born, Wiesbaden

Q7 Werkstattverzeichnis der Werke Alexej Jawlenskys, erstellt von Lisa Kümmel, 1937–1939, publiziert in: Clemens Weiler, Jawlensky. Köpfe, Gesichte, Meditationen, Hanau 1970

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1960, Nr. 99

L2 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 118

L3 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 102 f.

L4 Maria Jawlensky, Lucia Pieroni-Jawlensky und Angelica Jawlensky, Alexej von Jawlensky. Catalogue Raisonné of the Oil Paintings, 4 Bde., München 1991–1994, Nr. 1386

L5 Bernd Fäthke, Von Werefkins und Jawlenksys Faible für die japanische Kunst, in: „… Diese zärtlichen, geistvollen Phantasien …“. Die Maler des „Blauen Reiter“ und Japan, Ausst.-Kat. Schloßmuseum Murnau, München 2011, S. 103–132, hier S. 115

L6 Helga Lukowsky, Jawlenskys Abendsonne. Der Maler und die Künstlerin Lisa Kümmel, Königstein/Taunus 2000, S. 76

L7 Ingrid Koszinowski, Wiesbaden 1921–1945. Sammler und Freunde, in: Jawlenksy. Meine liebe Galka, Ausst.-Kat. Museum Wiesbaden 2004, S. 213–271, hier S. 227, Anm. 132