Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


zurück

Otto Dix (1891–1969)
Alarmposten vor dem Stollen, 1916

schwarze Kreide auf gelblichem Papier
Blattmaß 28,5 x 21,7 cm

Standort
Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin

1955 erworben durch das Land Berlin

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Im Unterstand

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
oben links: DIX 16

Inventarnummern
Weitere Nummern: 584/W

Werkverzeichnis-Nummer
Lorenz WV WK 5.1.20

Foto: Anders, Jörg P. / © VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Provenienz
wohl bis nach 1945 im Besitz des Künstlers, wahrscheinlich bis 1919 zur Aufbewahrung bei Helene Jakob, Dresden L2 L3
wohl in den frühen 1950er-Jahren in einem Kunstantiquariat in der Dresdner Südvorstadt
bis 1955 Dieter Hoffmann, Dresden, erworben in einem Kunstantiquariat in der Dresdner Südvorstadt
1955 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben von Dieter Hoffmann
1968 bis 1986 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (Sammlung der Zeichnungen)
seit 1986 (mit Übergabe der Sammlung der Zeichnungen) als Dauerleihgabe des Landes Berlin im Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Während seiner Zeit im Fronteinsatz schuf Otto Dix zwischen 1915 und 1918 über 600 Grabenkriegsblätter, die er aus dem Feld stoßweise zur Verwahrung an seine Freundin Helene Jakob nach Dresden schickte. Dix hatte Jakob 1910 kennengelernt: Sie war die dritte Tochter des Hausverwalters der Dresdner Kunstgewerbeschule und arbeitete dort später als Telefonistin und Kanzleiassistentin. Nachdem Jakob die Zeichnungen Dix 1919 zurückgegeben hatte, verlief sich der Kontakt. Dix hütete fortan dieses „Schützengraben“-Konvolut, zu denen die fünf Zeichnungen aus der Galerie des 20. Jahrhunderts aller Wahrscheinlichkeit nach gehört haben dürften, bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in den Graphikschränken seines Ateliers, das er im Laufe der Jahre von Dresden über Düsseldorf und Berlin nach Hemmenhofen verlegte.Q8 L2 L3

Der Berliner Senat erwarb 1955 die fünf Kriegsblätter zunächst als Wandschmuck für die Büroräume. Aus diesem Grund fanden sie keine Aufnahme im Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts, wenngleich sie später dem Museum überwiesen wurden. Als späterer Galeriebestand sind sie über verschiedene Übergabelisten nachweisbar, die jedoch keinerlei Informationen über den Verkäufer enthalten.Q1 Q3 Q5 Der Hinweis darauf, dass Dieter Hoffmann aus Dresden (1934–2012) ihr Vorbesitzer war, ist einzig Holger Peter Saupe (Kunstsammlung Gera) und seiner intensiven Dix-Forschung zu verdanken. Er stand in persönlichem Kontakt mit Hoffmann und konnte aus dem Fundus der Erinnerungen des Zeitzeugen schöpfen. Hoffmann sei 1955 nach West-Berlin gereist, um die Dix-Zeichnungen gegen West-Geld zu verkaufen. In einer Galerie habe er schließlich den Hinweis erhalten, dass Adolf Jannasch ein Interessent sein könne. Jener nahm ihm tatsächlich die fünf Kriegszeichnungen ab (freundliche Mitteilung von Holger Peter Saupe, Kunstsammlung Gera, 19.12.2012, basierend auf den Erinnerungen von Dieter Hoffmann), deren Erwerb er aus dem Etat für Wandschmuck finanzierte.Q3

Dieter Hoffmann war ein deutscher Schriftsteller, Lyriker und Essayist. Er lebte zunächst in Dresden, übersiedelte jedoch 1957 in die Bundesrepublik, nachdem ihm in der DDR ein Berufsverbot auferlegt worden war. Seit 1961 war er als Feuilletonredakteur in Stuttgart und anschließend in gleicher Position bei der „Frankfurter Neuen Presse“ beschäftigt. Als freier Journalist schrieb er ab 1979 unter dem Pseudonym Anton Thormüller auch für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Von 1974 bis 1981 war er Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz sowie noch 1998 Dozent für Poetik an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz.

Über seine persönliche Bekanntschaft mit dem Künstler berichtete Hoffmann in einer 2011 gehaltenen Festrede: „Ich muß sagen, daß ich bis Ende 1957 in Dresden lebte, wohin es Dix jedes Jahr vom Bodensee wieder zog, von Hemmenhofen, das ihm nach seiner innerdeutschen Emigration von 1933 eine zweite, etwas ländliche Heimat geworden war. 1956 besuchte ich ihn auf der Brühlschen Terrasse, wo er beim Akademiedrucker Erhardt lithographierte.“Q10 Die fünf Kriegszeichnungen jedoch habe Hoffmann, so erinnerte er sich, nicht vom Künstler direkt, sondern in einem Kunstantiquariat in der Dresdner Südvorstadt erworben (freundliche Mitteilung von Holger Peter Saupe, Kunstsammlung Gera, 19.12.2012, basierend auf den Erinnerungen von Dieter Hoffmann).

1966 trat Hoffmann noch einmal mit Jannasch in Verbindung und bot ihm eine (letztlich nicht zustande gekommene) Schenkung von mehreren Gemälden Max Ackermanns an, dem der Literat besonders nahe stand.Q9 Schon früh hatte er zu namhaften zeitgenössischen Dresdner Malern Kontakte geknüpft, mit denen er künstlerisch zusammenarbeitete: In bibliophilen Werken fließen Hoffmanns Texte mit Originalgraphik von Hans Jüchser, Helmut Schmidt-Kirstein, Albert Wigand, Hans Körnig und Ernst Hassebrauck zusammen.L6

Recherche: HS | Text: HS

oben links, von fremder Hand: Alarmposten / vor dem Stollen

Q1 Liste der Zeichnungen und Aquarelle, die am 5.6.1968 aus dem Bestand der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz übergeben wurden, o. D., Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q2 Liste der Zeichnungen und Aquarelle aus der ehemaligen Galerie des 20. Jahrhunderts, die 1986 aus dem Bestand der Neuen Nationalgalerie (Sammlung der Zeichnungen) an das Kupferstichkabinett (West) übergeben wurden, o. D., Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q3 Liste „In der Galerie befindliche Bilder aus B 3000/301 (Wandschmuck)“, 1959, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0300-00-006.2

Q4 Karteikarte Sammlung der Zeichnungen (West), Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett

Q5 Übergabeliste Kästen Graphik an die Nationalgalerie, 1968, Kasten B 11, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 11-0201-00-047

Q6 Bestandsliste Sammlung der Zeichnungen, 1985/86, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q7 Karteikarte Senat, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin

Q8 Zweite Ausstellung Dresdener Künstler, die im Heeresdienst stehen, Faltblatt zur Ausstellung in der Galerie Arnold, Dresden 1916, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Arnold/Gutbier, I-B, 132

Q9 Brief Adolf Jannasch an Dieter Hoffmann, 7.11.1966, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 03-0403-01-123.1

Q10 Festrede von Dieter Hoffmann in der Galerie Schlichtenmaier auf Schloß Dätzingen, 10.7.2011, www.schlichtenmaier.de/logicio/client/schlichtenmaier/file/2011_07_Hoffmann_Festrede_PDF.pdf [letzter Zugang 24.1.2016]

L1 Ulrike Lorenz, Otto Dix. Das Werkverzeichnis der Zeichnungen und Pastelle, 8 Bde., Weimar 2003, Nr. WK 5.4.5

L2 Otto Conzelmann, Otto Dix. Handzeichnungen, Hannover 1968, S. 17–28: Das Erlebnis des Krieges 1915–1918

L3 Ulrike Rüdiger, Grüsse aus dem Krieg. Die Feldpostkarten der Otto-Dix-Sammlung in der Kunstgalerie Gera, Gera 1991, S. 9

L4 Dieter Hoffmann, Ein einfacher, aber delikater Fraß, in: Das Wort liebt Bilder. Dieter Hoffmann. Arbeit mit Künstlern und Pressen 1955–2005, Ausst.-Kat. Deutsches Buch- und Schriftmuseum/Deutsche Bücherei Leipzig; Deutsche Bibliothek Frankfurt am Main, Leipzig, Frankfurt am Main und Berlin 2005, S. 21 f., hier S. 21

L5 Dieter Hoffmann, Wirkungen von Otto Dix über die Akademie hinaus, in: Nähe und Distanz. Dix-Schüler. Gemälde, Druckgrafiken, Zeichnungen, Ausst.-Kat. Kunstsammlung Gera; Otto-Dix-Haus Hemmenhofen, Gera 1995, S. 47–52

L6 Das Wort liebt Bilder. Dieter Hoffmann. Arbeit mit Künstlern und Pressen 1955–2005, Ausst.-Kat. Deutsches Buch- und Schriftmuseum/Deutsche Bücherei Leipzig; Deutsche Bibliothek Frankfurt am Main, Leipzig, Frankfurt am Main und Berlin 2005