Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Georg Kolbe (1877–1947)
Ferruccio Busoni, 1925

Bronze

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1955 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 1.380 DM

Weitere Werkdaten

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unten links, Monogramm: GK

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 72/10
Inventar Land Berlin: 989
Hauptverzeichnis Senat: 72/10

Foto: © VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Provenienz
bis 1955 Herbert Kiper, Berlin Q6
1955 Auktionshaus Leo Spik, Berlin, Auktion 405, 20./21.5.1955 L5 Q1 Q6
1955 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben aus Mitteln der Deutschen Klassenlotterie beim Auktionshaus Leo Spik Q1 Q6
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
„Aufgrund des Beschlusses des Aufsichtsrates der Berliner Zahlenlotterie habe ich auf der Auktion bei Leo Spik die Bronzebüste von Georg Kolbe ‚Kopf des Ferruccio Busoni‘ für 1.200,- DM zuzügl. 15 % Aufgeld 180,- DM, also insgesamt 1.380,- DM erworben“, schrieb Adolf Jannasch im Mai 1955.Q3 Im Hauptverzeichnis für Kunst in Senatsbesitz, in dem die Bronze daraufhin eingetragen wurde, findet sich einen Monat später ein zweiter Eintrag: ein Gipsabguss (Inv.-Nr. 72/9) der gerade erworbenen Bronzeskulptur inklusive Holzsockel, erworben für 100 DM von der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin.Q7 Laut Jahresbericht 1955 schenkte das Land Berlin diese Gipsvariante noch im selben Jahr der Georg-Kolbe-Stiftung; sie befindet sich bis heute im Georg-Kolbe-Museum, Berlin.

Im Katalog der Auktion bei Leo Spik ist die Bronzeskulptur abgebildet, allerdings ohne Holzsockel. Der heute extrem fest mit dem Bronzekopf verbundene Sockel wurde also im Zuge der Auktion oder nach Ankauf durch die Galerie des 20. Jahrhunderts angebracht. Ob die in den Akten erwähnte Gussmarke „GUSS H. NOACK, BERLIN“ sich tatsächlich auf der Bronze unter dem Sockelholz verbirgt, lässt sich deshalb nicht verifizieren. Da die Gießerei Noack nur bei vor dem Krieg angefertigten Güssen ihrer Marke den Zusatz „FRIEDENAU“ beifügte, könnte dies theoretisch auf einen Nachguss hinweisen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es sich bei dem Kopf aus der Galerie des 20. Jahrhunderts um eines der beiden nachweisbaren Exemplare von 1925 handelt, von denen eines (mit einem kleinen Steinsockel) der Universität der Künste in Berlin gehört. Das andere, das sich seinerzeit im Besitz der Familie Busoni befand und danach als verschollen galt, wäre in dem Fall unser Exemplar (freundliche von Auskunft Ursel Berger, ehemals Georg-Kolbe-Museum, Berlin, 10.2.2011).

Der mit dieser Büste porträtierte Ferruccio Busoni (Florenz 1866–1924 Berlin) war Klaviermusiker, Sohn eines italienischen Klarinettisten und einer deutschstämmigen Pianistin. In den 1880er-Jahren lehrte er an den Konservatorien in Leipzig und Helsinki, in den 1890er-Jahren in Moskau und Boston. Seit 1891 verheiratet mit Gerda Sjöstrand (1862–1956), Tochter eines schwedischen Bildhauers, ließ sich Busoni 1894 mit seiner Familie in Berlin-Schöneberg nieder; bis zu seinem Tod 1924 unterrichtete er an der Berliner Akademie der Künste Komposition. Sein Ehrengrab auf dem Friedhof Berlin-Friedenau wurde von Georg Kolbe in Form eines „Genius“ gestaltet. Im Jahr nach Busonis Tod entstand auch die Porträtbüste, vermutlich im Auftrag der Familie.

Als Einlieferer des Bronzekopfs beim Auktionshaus Spik 1955 konnte Herbert Kiper identifiziert werden, ebenfalls ansässig in Berlin-Schöneberg.Q6 Kiper (fälschlich oft Kieper, Wiesbaden 1897–1978 Berlin) war Schauspieler, Sänger und Bühnenautor. Ab 1914 war er an den Meinhard-Bernauer-Bühnen in Berlin engagiert und wirkte in einigen Stummfilmproduktionen mit. Nachdem er während der NS-Zeit Auftrittsverbot unterlegen hatte, konnte er seine Bühnen- und Filmkarriere nach 1945 fortsetzen. Als eine Art „Gelegenheitssammler“ besaß Kiper eine ausgewählte Anzahl von Kunstwerken, darunter neben der Kolbe-Büste auch die große Skulptur „Stehender Mann“ von Arno Breker. Herbert Kiper lebte bis zu seinem Tod in der Heylstraße 29 in Berlin-Schöneberg; er hatte zwei Kinder, Inge und Gerd Kiper. Inge heiratete Herbert Klewer, einen Antiquitätenhändler, über den Herbert Kiper möglicherweise auch Kunst erwarb oder verkaufte (freundliche Auskünfte von Mona Kiper, Martin Kiper und Michael Klewer, Februar 2013). Kiper und Busoni lebten in derselben Nachbarschaft und waren in der klassischen Berliner Musikszene zu Hause – es ist also gut möglich, dass sie sich persönlich begegneten oder dass Busoni zeitweise Kipers Klavier- oder Gesangslehrer war.

Recherche: CT | Text: CT

Bronzekopf, Gussmarke: GUSS H. NOACK, BERLIN
Holzsockel: runder Stempel mit Wappen [Berliner Bär?; vermutlich Berliner Zollstempel nach 1950] und Bezeichnung [unleserlich]

Rückansicht

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, erworben 1955 [nachinventarisiert]

Q2 Liste der Kunstwerke, die am 6.6.1968 aus dem Depot der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz übergeben wurden, o. D., Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Bl. 4

Q3 Finanzierungsantrag Adolf Jannasch, 27.5.1955, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0700-22-085

Q4 Liste der von der Galerie des 20. Jahrhunderts übernommenen und dort befindlichen Werke aus HUA B 3000/303 (Werke lebender Künstler), 1.4.1959, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0300-00-001

Q5 Aufstellung über nicht auffindbare Gegenstände, 1959, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0300-00-005.6

Q6 Geschäftsbücher des Auktionshauses Leo Spik, Berlin, freundliche Auskunft von Herrn Arndt, Auktionshaus Spik, 18.2.2013

Q7 Hauptverzeichnis für Kunstwerke B 3000/303, Senator für Volksbildung, Berlin, Referat Bildende Kunst [Inventar 1949–1958], Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0300-00-001, 72/10, lfd. Nr. 640a

Q8 Karteikarte Senat, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1958, Nr. 210

L2 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1960, Nr. 233

L3 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 278

L4 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 351

L5 Auktion 405, 20./21.5.1955, Aukt.-Kat. Leo Spik Berlin 1955, S. 32, Nr. 380, Taf. 9 („Kopf, Bronze, 1924“, ohne Angabe zu Besitzer oder Exemplar; der hier abgebildete Bronzekopf ohne Sockel)

L6 Berliner Bildnisse aus drei Jahrhunderten, Ausst.-Kat. Städtische Galerie München, Berlin 1962, Nr. 132