Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Alexej von Jawlensky (1864–1941)
Frauenkopf, 1912

Öl auf Pappe
61 x 51 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1959 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 25.000 DM

Weitere Werkdaten

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
rechts Mitte unten: A. Jawlensky / 12.

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 439
Inventar Land Berlin: 439
Weitere Nummern: 439/34

Werkverzeichnis-Nummer
Jawlensky WV 438

Foto: Anders, Jörg P. / CC BY-NC-SA
Provenienz
bis 1919 im Besitz des Künstlers Q11
1919 bis 1959 Nicola Moufang, Karlsruhe, Berlin und Heidelberg, erworben vom Künstler Q5 Q8 Q9 Q10 Q11 L6
1959 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben von Nicola Moufang Q1 Q3 Q4 Q5
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Seit 1919 befand sich der „Frauenkopf“ von Alexej von Jawlensky „in Heidelberger Privatbesitz, vom Künstler selbst erworben“, wusste Lucius Grisebach 1986 zu berichten.Q11 Auch der „Tagesspiegel“ hatte von Adolf Jannasch diese Information zugespielt bekommen für einen Artikel, der im Januar 1960 über die Neuerwerbung berichtete: „Das farbstarke Bildnis des russischen, nach Deutschland emigrierten Malers erwarb die Galerie des 20. Jahrhunderts dieser Tage aus eigenen Mitteln aus Süddeutschem Privatbesitz. Es wurde 1912, in Jawlenskys fruchtbarster Schaffenszeit, gemalt und bisher noch nie öffentlich ausgestellt.“L6

Wer sich hinter diesem Heidelberger Privatbesitz verbarg, offenbart die Korrespondenz, die Jannasch anlässlich des Ankaufs mit dem Vorbesitzer führte: Nicola Moufang bedankte sich im November 1959 für den Kauf seines Jawlensky-Bildes: „Es freut mich, dass der Jawlensky, der mich 40 Jahre lang erfreut hat, gerade in Ihre Galerie kommt, die Sie so erfolgreich aufgebaut haben“.Q8 Als Moufang dreieinhalb Jahre später mit Jannasch in anderer Sache korrespondierte, nannte er ihm anlässlich eines Kaufgesuches eines nicht benannten Museums auch seine Gründe, die ihn zum sukzessiven Verkauf seiner Kollektion motivierten: „Das andere Museuum [sic] möchte meinen Gesamtkunstbesitz auf einen Schlag erwerben und mir dafür eine Rente bezahlen bzw. den Kaufpreis von insgesamt rd. DM 200.000.- in monatlichen Raten von je DM 1.000,-- an mich bezahlen. Dieser Vorschlag des Museums kam für mich überraschend, da ich bisher nur daran gedacht hatte, meinen Kunstbesitz, von dem ich leben muß, nach und nach je nach Bedarf in Einzelstücken zu veräußern, was bis jetzt, bei den steigenden Preisen auf dem Kunstmarkt, wohl das Richtige war. Der Gedanke an eine Art Lebensrente will mir aber ebenfalls nicht ganz unmöglich erscheinen, wenn dieselbe währungsmäßig gesichert ist.“Q9 Der Heidelberger Rechtsanwalt verfügte also offenbar über eine veritable Sammlung von musealer Qualität, die Jannasch in einem Gutachten für das Kurpfälzische Museum Heidelberg wie folgt beurteilte: „Die Sammlung von Dr. Moufang wurde gleich nach dem ersten Weltkrieg mit sehr großem Geschick und guter Auswahl erworben, so daß sie zu den kleinen, aber früh erworbenen bedeutenden Sammlungen des Expressionismus zählt.“Q6

Nicola Moufang (1886–1967) war von 1921 bis 1925 Direktor der Großherzoglichen Majolika-Manufaktur in Karlsruhe und wurde 1925 mit der Leitung der Königlichen Porzellan-Manufaktur in Berlin betraut. Von 1929 bis 1942 saß er im Vorstand der Vereinigten Werkstätten Berlin. 1943 wurde die Wohnung der Familie Moufang in Berlin ausgebombt. 1962 berichtete Moufang Jannasch in Zusammenhang mit einem Bild von Paul Klee, er habe es noch rechtzeitig „zusammen mit anderem Kunstgut nach Schloß Metzelthin des Herrn von Buch bei Neustadt a. d. Dosse ausgelagert, um es vor Bombenangriffen auf Berlin sicherzustellen. Nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 und der darauffolgenden Besetzung durch die Russen waren all meine Bemühungen, etwas über den Verbleib meines Eigentums in Erfahrung zu bringen, bisher erfolglos.“Q10 Er mutmaßte hierzu, „daß Schloß Metzelthin von unberufener Seite ausgeräubert worden ist“. Jawlenskys „Frauenkopf“ jedoch kann sich in jenem von Moufang noch 1962 vermissten Sammlungsteil nicht befunden haben, da der Verkauf an die Galerie des 20. Jahrhunderts schon drei Jahre zuvor abgewickelt worden war.

Nach der Ausbombung kehrte Moufang, mit einer bis mindestens 1947 währenden Zwischenstation in Ratzeburg,Q13 Q14 nach Heidelberg zurück, wo Eugen und Franz Moufang, zwei seiner insgesamt vier Brüder, lebten. Ihre Eltern waren der Heidelberger Rechtsanwalt Wilhelm Moufang und seine Ehefrau Julie (geb. Stutzmann). Auch der Jurist Franz Moufang (1893–1984) sammelte Kunst. Aus dessen Besitz erwarb Jannasch 1963 für die Galerie des 20. Jahrhunderts Heinrich Campendonks „Hirtin“ (Inv.-Nr. 596).

Recherche: HS | Text: HS

Rückseitenbild in Öl: Brustbild eines Mannes, um 1910
Rahmen oben links: Aufkleber der Staatlichen Museen zu Berlin
Rahmen oben Mitte links: Aufkleber Montreal Museum of Fine Arts; darüber Nummer, schwarz: (31/2)
Rahmen oben Mitte rechts: Aufkleber Lenbachhaus
Rahmen oben rechts, Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts mit Inv.-Nr.: 439/34
Rahmen oben rechts: Aufkleber der Kunsthalle Baden-Baden 1983

Rückseite
Foto: Kilger, Andres
Rückseite
Foto: Kilger, Andres

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 10.12.1959

Q2 Protokoll der Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen aus den Verwaltungs- und Ausstellungsräumen der Galerie], 5.6.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, S. 3

Q3 Protokoll der Ankaufskommission, 6.11.1959, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II/VA 6754, Bl. 79, und Landesarchiv Berlin, B Rep. 002-11248

Q4 Rechnung Spedition G. Ditscher, Heidelberg, Bergheimer Str. 95, 9.12.1959, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II/VA 6754, Bl. 144

Q5 Rechnung Nicola Moufang, 10.12.1959, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II/VA 6754, Bl. 146

Q6 Gutachten Adolf Jannasch für das Kurpfälzische Museum Heidelberg, 18.9.1962, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal03-0302-01-058.1 bis -058.6

Q7 Aufstellung Haushaltsmittel 1959, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 10-0302-04-234

Q8 Ankaufskorrespondenz zwischen Nicola Moufang und Adolf Jannasch, Oktober bis Dezember 1959, Bildakte Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q9 Brief Nicola Moufang an Adolf Jannasch, 22.6.1962, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 03-0406-01-039

Q10 Brief Nicola Moufang an Adolf Jannasch, 30.1.1962, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 03-0406-01-040

Q11 Anlage zu einem Brief von Lucius Grisebach an das Alexej-von-Jawlensky-Archiv, Locarno, 15.12.1986, Bildakte Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q12 Sammler-Notizbuch Adolf Jannasch, Privatbesitz

Q13 Postkarte Nicola Moufang an Georg Kolbe, Ratzeburg, 4.12.1945, Archiv Georg-Kolbe-Museum, Berlin, GK. 240

Q14 Brief Nicola Moufang an Georg Kolbe, Ratzeburg, 10.4.1947, Archiv Georg-Kolbe-Museum, Berlin, GK. 240

Q15 Bruno E. Werner, Bilder von Jawlensky. Die Ausstellungen in München und Mannheim, in: Die Neue Zeitung, 26.2.1948, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Jawlensky, Alexej, II,B-4

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1960, Nr. 98

L2 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 117

L3 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 102

L4 Erster Deutscher Herbstsalon, Ausst.-Kat. Galerie Der Sturm Berlin 1913, Nr. 179

L5 Maria Jawlensky, Lucia Pieroni-Jawlensky und Angelica Jawlensky, Alexej von Jawlensky. Catalogue Raisonné of the Oil Paintings, 4 Bde., München 1991–1994, Nr. 328

L6 Alexej von Jawlenski, Frauenkopf, in: Der Tagesspiegel, 9.1.1960, Nr. 4356, S. 4

L7 Moufang, Nicola, in: Georg Wenzel (Hrsg.), Deutscher Wirtschaftsführer. Lebensgänge deutscher Wirtschaftspersönlichkeiten. Ein Nachschlagebuch über 1.300 Wirtschaftspersönlichkeiten unserer Zeit, Hamburg 1929