Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Karl Hofer (1878–1955)
Die Bocciabahn (Tessin), um 1925

Öl auf Leinwand
92,3 x 74 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1962 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 20.000 DM

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Die Bocciabahn (Im Tessin) / Tennisplatz; Bocciabahn im Tessin

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unten links, Monogramm: CH.

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 547
Inventar Land Berlin: 547

Werkverzeichnis-Nummer
Wohlert/Eisenbeis WV 666

Provenienz
ab um 1925 Oskar Reinhart, Winterthur, erworben vom Künstler
1962 Anna Maria Bänninger, Berlin, Kaufvermittlung aus dem Familienbesitz Reinhart Q3 Q4
1962 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben von Anna Maria Bänninger Q1 Q3 Q4
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Zwischen Karl Hofer und der in Winterthur ansässigen Familie Reinhart bestanden enge Verbindungen. Der Schweizer Kaufmann Theodor Reinhart (1849–1919), der den Familienbetrieb der Gebrüder Volkart zu einem lukrativen internationalen Handelsunternehmen ausgebaut hatte, war ein Kunstkenner und Mäzen junger Künstler aus Deutschland und der Schweiz. Für Hofer, den er 1901 über den Karlsruher Freund Georg Meurer kennengelernt hatte, stellte Reinhart zwischen 1902 und 1919 den wichtigsten Förderer und einen „väterlichen Freund“ dar (S. 125).L9 Im Dezember 1903 schlossen beide einen „Kontrakt“, der festlegte, dass Reinhart den Künstler für fünf Jahre finanzieren und im Gegenzug jährlich alle von Hofer geschaffenen Ölbilder zur Ansicht geschickt bekommen sollte, von denen er jeweils drei (später vier) behalten dürfe (S. 73).L7 Im Jahr 1912 besaß Reinhart bereits fast drei Dutzend Gemälde Hofers, die er in seinen Wohnräumen präsentierte: „Im ganzen hängen im Rychenberg 31 und auf der Fluh 34 Bilder von Ihnen“ (S. 318).L7 Im Jahr 1917 war die Anzahl von Hofer-Werken in seinem Besitz auf 64 angestiegen (S. 39).L6.

Von Theodor Reinharts fünf Kindern sammelten Georg (1877–1955) und Oskar (1885–1965), mit denen Hofer 1910 und 1911 Reisen unternahm, ebenfalls Kunst. Nach Theodor Reinharts Tod 1919 blieb vor allem Oskar Reinhart ein wichtiger Ansprechpartner für Hofer, da er die an die Kinder vererbte Kunstsammlung des Vaters fortführte und ab den 1920er-Jahren stark ausbaute. Schon während des Ersten Weltkriegs trafen sich exilierte und in der Schweiz ansässige Künstler regelmäßig in der Zürcher Wohnung von Oskar Reinhart und auf dem reinhartschen Landsitz Am Römerholz. Neben Chichio Haller, Ernesto de Fiori und anderen gehörte auch Hofer weiterhin zu diesem Kreis. Wenngleich Oskars Leidenschaft für Hofers Kunst weniger intensiv war als die seines Vaters, kaufte auch er einige seiner Werke. Als er sich in den 1920er-Jahren auf dem Gelände seiner Tessiner Villa neben dem Schwimmbad eine private Bocciabahn anlegen ließ, porträtierte Hofer selbige in einem Gemälde, das danach augenscheinlich in Reinharts Besitz überging und bis 1962 bei ihm verblieb.

Anna Maria Bänninger, die als private Kunsthändlerin in Berlin tätig war, vermittelte „Die Bocciabahn“ (das mancherorts fälschlich unter dem Titel „Tennisplatz“ aufscheint)L4 L5 an die Galerie des 20. Jahrhunderts. Bereits in früheren Jahren hatte Bänninger mit den Reinharts in Kontakt gestanden: 1958 hatte sie Hofers „Grablegung“ (Inv.-Nr. 357) aus der Familiensammlung an die Galerie des 20. Jahrhunderts vermittelt. Auch Hofers „Schlafende Menschen“ (Inv.-Nr. 505) und „Badende am Strand“ von Ernst Ludwig Kirchner (Inv.-Nr. 133), das ebenfalls aus einer Schweizer Privatsammlung stammte, kamen über Bänninger in die Galerie. Auch nach 1962 taucht Bänninger in Deutschland als Kaufvermittlerin für Werke aus der Sammlung Reinhart auf.Q5

Recherche: CT | Text: CT

Keilrahmen oben links: Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts
auf Keilrahmen und Leinwand: mehrere Zollstempel, Schweiz

Rückansicht

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 6.4.1962

Q2 Protokoll der Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen aus den Verwaltungs- und Ausstellungsräumen der Galerie], 5.6.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, S. 1

Q3 Korrespondenz zwischen Anna Maria Bänninger, Berlin, und Adolf Jannasch [inklusive Rechnung und Lieferschein], April 1962, Bildakte Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q4 Protokoll der Ankaufskommission, 28.3.1962, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1893

Q5 Korrespondenz zwischen Heinz Keller und Anna Maria Bänninger, 1965, freundliche Auskunft von Dieter Schwarz, Kunstmuseum Winterthur, 29.9.2011

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 98

L2 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 96

L3 Karl Wohlert und Markus Eisenbeis, Karl Hofer. Werkverzeichnis der Gemälde, Bonn 2008, Nr. 666

L4 Ausstellung von Gemälden jüngerer Künstler aus Deutschland, England, Frankreich und den Vereinigten Staaten, Ausst.-Kat. Nationalgalerie Berlin 1926, Nr. 24 („Karl Hofer Tennisplatz“, ohne Besitzerangabe)

L5 Karl Hofer, Ausst.-Kat. Galerie Alfred Flechtheim Berlin 1931, Nr. 4 („Tennisplatz“, ohne Besitzerangabe)

L6 Dieter Schwarz (Hrsg.), Die Sammlung Georg Reinhart, Winterthur 1998

L7 Ursula und Günter Feist, Karl Hofer – Theodor Reinhart. Maler und Mäzen. Ein Briefwechsel in Auswahl, Berlin 1989

L8 www.roemerholz.ch, letzter Zugang 22.1.2016

L9 Karl Hofer, Erinnerungen eines Malers, Berlin 1953

L10 Mariantonia Reinhard-Felice (Hrsg.), Sammlung Oskar Reinhart „Am Römerholz“ Winterthur. Gesamtkatalog, Basel 2003