Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


zurück

Christian Rohlfs (1849–1938)
Junges Paar, 1908

Wolle auf Leinwand
100 x 60 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1962 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 5.500 DM

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Das Paar; Adam und Eva

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unten rechts, Monogramm: CR

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 544
Inventar Land Berlin: 544
Weitere Nummern: 40/544

Foto: CC BY-NC-SA
Provenienz
bis November 1909 im Besitz des Künstlers Q4 Q5 Q6
wohl ab 1909 Privatbesitz Weimar Q6
bis 1962 Wolfgang Rohde/Goldstein, Berlin Q1 Q3
1962 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben von Wolfgang Rohde Q1
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
1962 ließ Adolf Jannasch 5.500 DM für den Wandteppich „Junges Paar“ von Christian Rohlfs an einen Herrn Wolfgang Rohde in Berlin überweisen.Q1 Q3 Nach aufwendigem Aktenstudium stellte sich heraus, dass Wolfgang Rohde identisch ist mit Wolfgang Goldstein (geb. am 27.7.1917 in Berlin-Charlottenburg), nach den „Nürnberger Rassengesetzen“ eingestuft als „Mischling Ersten Grades“ und nach dem Krieg als „rassisch Verfolgter“ anerkannt.Q11 Den Mädchennamen seiner Mutter (Rohde) hatte er, polizeilich beurkundet, 1954 angenommen.Q11 Sein jüdischer Vater Oskar Goldstein, ein Charlottenburger Textilkaufmann, war 1944 ins KZ Theresienstadt deportiert worden und galt als seither verschollen.Q11 Q12

Rohde/Goldstein kann gleichermaßen vor als auch nach 1945 in den Besitz des „Jungen Paares“ gelangt sein. Die beiden anderen Werke, die er der Galerie des 20. Jahrhunderts 1964 verkaufte (Julius Heinrich Bissier, „Donaulandschaft“, Inv.-Nr. 688, und George Grosz, „Nachtstück“, Inv.-Nr. 686), sind vor 1945 noch in anderem Eigentum nachgewiesen. Um bei dem Wandteppich eine Herkunft aus niederländischen Beschlagnahmebeständen über Curt Reinheldt – einen Antiquitätenhändler, der unter anderem Verbindungen in die Niederlande unterhielt und mit dem Rohde/Goldstein Anfang der 1940er-Jahre illegalen Goldhandel betrieben hatte Q7 Q9 L5 – auszuschließen, wurden über „Herkomst Gezocht“ das Archiv des „Stichting Nederlandsch Kunstbezit“ und die „Nederlands Kunstbezit-collectie“ konsultiert, jedoch ohne überhaupt Hinweise auf Werke von Christian Rohlfs zu finden. Weder wurde nach dem Krieg ein entsprechender Verlust gemeldet noch fällt der Künstlername in den Akten der Enteignungsbank Lippmann-Rosenthal – mit der Reinheldt eng kooperierte – oder des Feindvermögens des Reichskommissariats (freundliche Mitteilung von Perry Schrier, Herkomst Gezocht, 13.7.2012).

Der Versuch, die Provenienzkette des Wandteppichs von Künstlerseite aus zu vervollständigen, endete unmittelbar nach seiner Entstehung im Jahr 1909. Mit Stickerei befasste sich Christian Rohlfs nur in den Jahren 1906 bis 1910. Im Mitgliederverzeichnis des Deutschen Werkbunds, begründet 1907 unter Mitwirkung seines Mäzens Karl Ernst Osthaus, wird er als „Maler und Sticker, Professor Hagen i. W.“ geführt. (freundliche Mitteilung von Rita Wolters, Werkbundarchiv, Berlin, 10.8.2011). 1908 besuchte er in den Sommermonaten die Werkkurse von Henry van de Velde an der Großherzoglich-Sächsischen Kunstgewerbeschule Weimar. Die meisten Stickereien führte er jedoch in seinem Atelier im Folkwang-Museum Hagen aus.L3 L4 Das „Junge Paar“ gehörte zu jenen Stickereien, die sich Rohlfs 1909 von August Kuth, dem Assistenten des Osthaus-Museums Hagen, nach Weimar schicken ließ, um sie dort zu verkaufen: „Wollen Sie die Freundlichkeit haben, mir per Eilgut einige Stickereien zu senden? 1. Das vorsündflutliche Paar“.Q4 Da Rohlfs seinem Brief an Kuth eine Skizze des georderten Werks beifügte, ist das „Junge Paar“ eindeutig als diese erste Position der Liste zu identifizieren. Kuth antwortete dem Künstler am 19. Oktober 1909, dass er die Stickereien eingepackt und abgeschickt habe.Q5 Wenige Tage später erfuhr er von Rohlfs, dass jenem schon zwei Verkäufe seiner Textilien in Weimar geglückt seien.Q6

Die Suche nach einem Privatbesitzer aus Weimar, der möglicherweise Käufer des „Jungen Paares“ gewesen sein könnte, erwies sich mangels näherer Anhaltspunkte als uferlos. Dem Autor des Werkverzeichnisses der Gemälde, Paul Vogt, dem Neffen der Künstlerwitwe Helene Rohlfs, war eine Vielzahl von Weimarer Besitzern rohlfsscher Werke bekannt,L6 bei denen es sich oft um befreundete Künstler handelte, mit denen Rohlfs Bilder tauschte (freundliche Mitteilung von Rüdiger Haufe, Klassik Stiftung Weimar, 29.11.2012). Auch der Nachlass von Paul Vogt, der im Osthaus-Museum Hagen verwahrt wird, enthält keine weiterführenden Hinweise darauf, wer den Wandteppich von Rohlfs erworben haben könnte.

Einige Textilien präsentierte Rohlfs in der Düsseldorfer Schau „Christliche Kunst“ 1909 sowie im selben Jahr in Wiesbaden. Das „Junge Paar“ war in keiner der beiden Ausstellungen vertreten. Weitere Stickereien schickte er 1914 zur Kölner Werkbund-Ausstellung, doch enthält weder der Katalog einen Wandteppich, der mit dem „Jungen Paar“ identisch sein könnte, noch haben sich Unterlagen im Werkbundarchiv erhalten, die auch nur allgemeine weiterführende Informationen zu Rohlfs’ Ausstellungsbeteiligung liefern könnten (freundliche Mitteilung von Rita Wolters, Werkbundarchiv, Berlin, 10.8.2011).

Recherche: HS | Text: HS

unbezeichnet

Rückseite mit Schutzbrett
Rückseite
Foto: Neue Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 2.4.1962

Q2 Protokoll der Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen aus den Verwaltungs- und Ausstellungsräumen der Galerie], 5.6.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, S. 2

Q3 Rechnung von Wolfgang Rohde, 2.4.1962, Bildakte Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q4 Brief Christian Rohlfs an August Kuth, Osthaus-Museum Hagen, 15.10.1909, Osthaus-Archiv Hagen, NAC2 100/43

Q5 Brief August Kuth an Christian Rohlfs, 19.10.1909, Osthaus-Archiv Hagen, NAC2 100/44-45

Q6 Brief Christian Rohlfs an August Kuth, 4.11.1909, Osthaus-Archiv Hagen, NAC2 100/46

Q7 Rückerstattungssache Wolfgang Rohde gegen Deutsches Reich, Landesarchiv Berlin, B Rep. 025-07-188/69

Q8 Windsor-Schuhe Wolfgang Goldstein, Amtsgericht Charlottenburg, Landesarchiv Berlin, B Rep. 042-32831

Q9 Verfahren gegen Kunsthändler Curt Reinheldt, Wolfgang Goldstein u. a. (Devisenvergehen), 1942, Akten des Oberfinanzpräsidiums – Zollfahndungsstelle, Landesarchiv Berlin, A Rep. 092, Nr. 397

Q10 Reichskammer der Bildenden Künste, Personenakte Curt Reinheldt, Landesarchiv Berlin, A Rep. 243-04, Nr. 7085

Q11 Entschädigungsakte Rohde, Wolfgang, Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, Berlin, Reg.-Nr. 2.926

Q12 Entschädigungsakte Goldstein, Oskar, Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, Berlin, Reg.-Nr. 8.563

Q13 Entschädigungsakte Rohde, Else, Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, Berlin, Reg.-Nr. 200.578

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 190

L2 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 175

L3 Ulrike Köcke, Stickereien von Christian Rohlfs, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 16/1977, S. 215–226

L4 Walther Scheidig, Christian Rohlfs, Dresden 1965, S. 113 f.

L5 Gerard Aalders, Die Enteignung jüdischen Besitzes im Zweiten Weltkrieg, Köln 2000, bes. S. 242 f., 327–341

L6 Paul Vogt, Christian Rohlfs. Œuvre-Katalog der Gemälde, Recklinghausen 1978