Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Max Beckmann (1884–1950)
Blick vom Rupenhorn auf die Havel, 1936

Öl auf Leinwand
50,5 x 80,5 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1964 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 96.000 DM

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Föhren; Kiefernlandschaft am Rupenhorn bei Berlin

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unten rechts: Beckmann / 36

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 724
Inventar Land Berlin: 724
Weitere Nummern: 724/61

Werkverzeichnis-Nummer
Göpel WV 446

Foto: © VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Provenienz
1936 im Besitz des Künstlers, Berlin
spätestens 1937 bis 1955 Stephan Lackner, Paris, später Santa Barbara/Kalifornien, wohl erworben vom Künstler L3
Herbst 1937 bis 1939 bei Curt Valentin, Buchholz Gallery, New York, L1 L4 L6 wohl in Kommission von Stephan Lackner
nach 1957 Richard Feigen Gallery, Chicago L3
Walter Feilchenfeldt, Zürich L3
Kunsthandel Franz Resch, Gauting L3 Q5
um 1963 bis 1964 Galerie Wilhelm Grosshennig, Düsseldorf L3
1964 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben aus Mitteln der Deutschen Klassenlotterie bei der Galerie Grosshennig Q1 Q5
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Zwischen 1933, als er mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten seine Professur an der Frankfurter Städelschule verlor, und 1937, dem Jahr seiner Emigration nach Amsterdam, wohnte Max Beckmann wieder in Berlin. Hier entstand 1936 dieses Bild mit dem Blick auf die Havel, die sich hinter einem privaten Grundstück in der Straße Am Rupenhorn erstreckt, wo bis 1933 Beckmanns Freund Fritz Gubler mit seiner Familie wohnte. Beckmann glaubte das Bild offenbar kurz nach Entstehung verlustig gegangen zu sein, wie der Eintrag in sein handschriftliches Gemäldeverzeichnis zeigt: „Rupenhorn. Verloren“.L3 Dies war, wie auch die Werkverzeichnis-Autoren Barbara und Erhard Göpel schreiben, ein Trugschluss.L3 Tatsächlich war das Bild über Stephan Lackner 1937 in die USA gelangt und blieb dort bis in die Nachkriegszeit, um dann seinen Weg zurück nach Europa anzutreten und letztlich 1964 für die Galerie des 20. Jahrhunderts in Berlin erworben zu werden.

Stephan Lackner (1910–2000), geboren als Ernest Morgenroth, war promovierter Philosoph und Kunsthistoriker, als Autor publizierte er teilweise auch unter dem Namen Ernst Gast. Trotz des großen Altersunterschieds war Lackner ein langjähriger Freund und Förderer Beckmanns, den er als junger Student in Frankfurt am Main kennengelernt hatte. 1933, als eine Beckmann-Ausstellung im Museum Erfurt nicht eröffnen durfte, besichtigte er die für die Schau vorgesehenen Werke im Keller und kaufte aus diesem Konvolut sein erstes Beckmann-Bild („Mann & Frau“). Im selben Jahr emigrierte Lackner (samt Bild) nach Paris, pflegte aber weiter engen Kontakt mit dem Maler, der inzwischen in Berlin lebte. 1937 illustrierte Beckmann Lackners Drama „Der Mensch ist kein Haustier“. Dieser kaufte im selben Jahr rund zwölf Werke Beckmanns, teils ungesehen, die in zwei Transporten (Oktober 1937 und März 1938) von Berlin nach Paris gebracht wurden. Am 3. September 1938 verpflichtete er sich vertraglich zum Kauf von monatlich zwei Gemälden; diese Vereinbarung hielten beide Seiten bis 1940 ein (im September 1941 traf die letzte Bildersendung bei Lackner ein). 1938 war Lackner Mitorganisator der Ausstellung „Twentieth Century German Art“ in London, die als Gegenausstellung zur Schau „Entartete Kunst“ entstand, und im April 1939 emigrierte er in die USA, samt seinen Beckmann-Werken.

In die USA verbracht, befand sich „Blick vom Rupenhorn auf die Havel“ ab Herbst 1937 in der Obhut von Curt Valentin, der die Buchholz Gallery in New York leitete. Dies belegt vor allem der Aufkleber auf der Rückseite: Die darauf verzeichnete Zugangsnummer 726 lässt sich – trotz fehlender Inventarbücher der Galerie – zwischen September und November 1937 verorten (freundliche Auskunft von Anja Tiedemann, 4.2.2013). (Rückseite) 1938 integrierte Valentin das Bild in eine Beckmann-Ausstellung, die in seiner Galerie und an weiteren Orten gezeigt wurde, beispielsweise in Springfield.L4 L5 Ein Jahr später stellte er es erneut in der Buchholz Gallery in New York aus.L6

Der Kunsthändler Curt Valentin war mit der Kunst Beckmanns gut vertraut. Er hatte eine Zeit lang in Berlin bei Alfred Flechtheim gearbeitet, der zu jener Zeit auch Beckmann vertrat. Bei Karl Buchholz, für den Valentin nach dem Weggang Flechtheims 1934 die Leitung der Kunstabteilung in der Buchhandlung Buchholz in der Leipziger Straße übernahm, war Beckmann ebenfalls vertreten. Valentins Beziehung zu dem Maler beruhte anfänglich vor allem auf dem engen Kontakt zwischen Buchholz und Beckmann. Als Buchholz 1937 unter Druck des NS-Regimes geriet, den „nicht-arischen“ Mitarbeiter Valentin zu entlassen, emigrierte Valentin in Absprache mit Buchholz nach New York und gründete dort die Filiale Buchholz Gallery, zu deren Programm wiederum Beckmann gehörte. Da die New Yorker Filiale großteils aus Berlin bestückt wurde, kam hier auch „entartete Kunst“ zum legalen Verkauf. Valentin führte die Galerie in New York trotz Finanznöten relativ unbeschadet durch die Kriegszeit. Auch in diesen Jahren erhielt er Kunstwerke von Buchholz, der inzwischen in Madrid tätig war, zum Verkauf (u. a. von Beckmann, Wilhelm Lehmbruck, Emil Nolde und Max Ernst).

Max Beckmann zählte, neben Paul Klee, Ernst Ludwig Kirchner und Lyonel Feininger, zu Valentins Lieblingskünstlern der frühen Moderne. In der US-Karriere des Kunsthändlers spielte Beckmann eine ebenso zentrale Rolle wie Valentin bei der Etablierung des Malers in der amerikanischen Kunstszene: Valentin initiierte die ersten Verkäufe von Beckmann-Werken in den USA, kaufte selbst Bilder, organisierte Ausstellungen und brachte Beckmann dem Museum of Modern Art und anderen amerikanischen Museen nahe. In den ersten Jahren in New York, also von 1937 bis zum Kriegseintritt der Amerikaner im Dezember 1941, bezog Valentin die Werke meist direkt von Beckmann (The Museum of Modern Art, New York, Archiv MoMA-Manhattan / Korrespondenz CV / Beckmann, Curt Valentin Papers I. [9], Files 1938–1941, freundliche Auskunft von Anja Tiedemann, 4.2.2013). Dabei nahm er häufiger Werke in Kommission als dass er sie kaufte. Da Stephan Lackner über einen größeren Finanzrahmen verfügte, legten er und Valentin in einigen Fällen zusammen, um Beckmann-Werke (etwa „Departure“, heute The Museum of Modern Art, New York) gemeinsam anzukaufen. Die große Beckmann-Retrospektive in München 1951 bestückte Valentin mit Leihgaben aus eigenem und amerikanischem Privatbesitz. In jenem Jahr besaß er zahlreiche Beckmann-Werke, wie er im Frühsommer 1951 an Buchholz schrieb: „Ich habe natürlich viel Geld in Beckmann ‚investiert‘ und möchte im Augenblick nicht mehr tun. Ich besitze ja mindestens 25 Bilder, manche bedeutende. Die große Ausstellung in München wird am 2. (oder am 9.) Juni eröffnet.“Q6

Die Provenienzangabe im Katalog der Vereinigten Kunstsammlungen von 1968 lautet: „früher im Besitz Curt Valentin, New York“.L1 Dies scheint auf einen Privatbesitz hinzuweisen, könnte sich aber auch auf Valentins Funktion als Leiter der Buchholz Gallery beziehen. Ob Valentin das Bild tatsächlich besaß, es eventuell gemeinschaftlich mit Lackner erworben hatte, oder es möglicherweise doch als Kommissionsware oder Leihgabe von Lackner in der Galerie hatte, lässt sich nicht ermitteln. Das Werkverzeichnis Göpel gibt an, dass Stephan Lackner das Bild „um 1937“ erwarb.L3 Da Erhard und Barbara Göpel bei ihren Recherchen die Sammlung Lackner in Kalifornien besichtigten und Provenienzangaben zu allen Werken, mit denen er zu tun gehabt hatte, direkt vom Besitzer erhielten, ist diese Angabe von hoher Verlässlichkeit – wenngleich unklar bleibt, welchen Transportweg das Bild zwischen den möglichen Fixpunkten Paris, Berlin und Amsterdam beziehungsweise Beckmann, Lackner, Karl Buchholz und Valentin nahm.

1942 wurde „Blick vom Rupenhorn“ in einer Ausstellung in The Arts Club Chicago gezeigt.L7

Recherche: CT | Text: CT

Außenrahmen links Mitte, handschriftlich, Bleistift: Platte über […] [letztes Wort unleserlich]
Außenrahmen oben links, handschriftlich, Bleistift, kopfstehend: Resch [Kunsthandel Resch]
Außenrahmen oben Mitte, handschriftlich, blau, kopfstehend: H 178
Außenrahmen rechts Mitte, handschriftlich, Bleistift: ohne Perlen [?]
Keilrahmen oben links, handschriftlich, rot: NY
Keilrahmen oben links, handschriftlich, Bleistift: B[…]tz[…] [unleserlich, mit schwarzem Stift durchgestrichen]
Keilrahmen oben Mitte, Aufkleber San Francisco Museum of Art: Max Beckmann / Firs / No. 4085.36 [oder H086.36]
Keilrahmen oben rechts: Stempel Leopold Hess Kunstmaterialien Berlin
Keilrahmen oben rechts, Aufkleber Buchholz Galerie, New York, Curt Valentin: Firs / Max Beckmann / oil 193/4 x 31 1/2 inches / No. 726 [darauf handschriftlich: 53]
Leinwand/Keilrahmen oben rechts: Stempel, rund
Keilrahmen unten Mitte, handschriftlich, schwarz: Box 2
weitere (Spuren von) handschriftlichen Bezeichnungen in Rot und Schwarz auf dem Keilrahmen

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 24.11.1964

Q2 Protokoll der Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen aus den Verwaltungs- und Ausstellungsräumen der Galerie], 5.6.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, S. 1

Q3 Liste Stiftungen der Deutschen Klassenlotterie, o. D., Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Ordner B: Vereinigte Kunstsammlungen

Q4 Rechnung der Galerie Grosshennig, 6.10.1964, Versicherungs- & Speditionspapiere, Empfangsbestätigung, Zuwendungsbescheid Lotto, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0700-06-006

Q5 Archiv der Galerie Grosshennig, Düsseldorf, freundliche Auskunft von Margret Heuser-Mantell, 8.8.2011

Q6 Curt Valentin an Karl Buchholz, Juni 1951, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, IV/NL Buchholz 21

L1 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 23 („früher im Besitz Curt Valentin, New York“)

L2 Wilhelm Grosshennig, Kunsthandel in Düsseldorf 1962–1967, Düsseldorf 1967, o. S. (Zusammenstellung der wichtigsten von Grosshennig gehandelten Kunstwerke; mit Abb.; „Jetziger Besitzer: Galerie des 20. Jahrhunderts Berlin“, ohne Angaben zu Vorbesitzern)

L3 Barbara und Erhard Göpel, Max Beckmann. Katalog der Gemälde (Schriften der Max Beckmann Gesellschaft, 3), 2 Bde., Bern 1976, Nr. 446

L4 Max Beckmann, Ausst.-Kat. Buchholz Gallery New York 1938, Nr. 12 („Firs 1936“)

L5 Modern German Art Exhibition, Ausst.-Kat., Springfield 1939, Nr. 7

L6 Max Beckmann, Ausst.-Kat. Buchholz Gallery New York 1939, Nr. 5

L7 Max Beckmann, Ausst.-Kat. The Arts Club Chicago 1942, Nr. 22

L8 Stephan Lackner, Ich erinnere mich gut an Max Beckmann, Mainz 1967

L9 Marianne d’Hooghe, Mitbetroffen, Konstanz 1969