Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938)
Frauenkirch im Winter, 1918/19

Öl auf Leinwand
120 x 121 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1950 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 12.000 DM

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Winterlandschaft bei Davos / Staffelalp im Winter; Gebirgslandschaft; Berglandschaft

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unten rechts: E. L. Kirchner

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 45
Inventar Land Berlin: 45
Weitere Nummern: 9/10

Werkverzeichnis-Nummer
Gordon WV 556

Foto: Anders, Jörg P. / CC BY-NC-SA
Provenienz
bis 1923 im Besitz des Künstlers
3.6. bis 1.7. 1923 Kunsthalle Basel Q8 Q9
Dezember 1923 Galerie Paul Cassirer, Berlin Q7 Q8 L9
Sammlung Zimmermann, Berlin L7
„Berliner Privatbesitz“ L10
1948 Galerie Anja Bremer, Berlin Q6 L10
1950 Galerie Schüler, Berlin Q1 Q5
1950 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben bei der Galerie Schüler Q1 Q5
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Am 5. Februar 1919 schickte Ernst Ludwig Kirchner seine Davoser Landschaft „Frauenkirch im Winter“ zur Ansicht an Helene Spengler, die Ehefrau des Davoser Mediziners Lucius Spengler, bei dem sich der Künstler in Behandlung befand. Als Preis für das Bild bezifferte er „regulär 1.000, für Sie oder Herrn Miller 800 frcs.“.Q10 Da jedoch der Künstler die Winterlandschaft 1923 aus seinem Atelier in eine Ausstellung nach Basel sandte, erwarben sie wohl weder Helene Spengler noch der Solothurner Fabrikant und Kunstsammler Oskar Miller (1862–1934).

Wilhelm Barth (1896–1934) kuratierte im Sommer 1923 die Kirchner-Ausstellung in der Kunsthalle Basel, für die er auch „Frauenkirch im Winter“ vom Künstler entlieh.Q7 Q8 Q9 Kirchners Preisvorstellungen waren zwischenzeitlich auf 1.400 Franken gestiegen.Q9 Einen Käufer fand das Gemälde in Basel jedoch nicht, sodass es an die in der Berliner Galerie Cassirer nachfolgende Station übergeben wurde. Das Baseler „Verzeichnis der an Paul Cassirer Berlin-W. Viktoriastrasse 35 gehenden Bilder“Q8 nennt gleich an erster Position eine „Berglandschaft“, die sich unter Berücksichtigung der identischen Bildmaße und Kirchners anderweitiger Korrespondenz mit Barth mit „Frauenkirch im Winter“ in Einklang bringen lässt.

Die Ausstellung bei Cassirer brachte Kirchner einen unverhofften Verkaufserfolg. Der Künstler bedankte sich bei Barth für sein Engagement: „Ohne sie wäre die Berliner Ausstellung nicht zu stande gekommen. Diese hat einen ganz unerhörten Erfolg gehabt. Zum ersten Male ist meine Arbeit dort frei und unabhängig aufgenommen und anerkannt worden. […] Die Verkäufe in Berlin zeigten, dass ich das Publikum richtig bearbeitet hatte, sie haben in der überwiegenden Mehrzahl nebensächlichere Sachen gekauft und mir dadurch die Collection gereinigt.“Q7 Vermutlich wechselte auch „Frauenkirch im Winter“ hier den Besitzer und gelangte in die Berliner Sammlung Zimmermann, die Donald E. Gordon im Werkverzeichnis als Provenienz benennt.L7 Eine Ausstellungsliste hat sich zwar im Zürcher Archiv Paul Cassirer – Walter Feilchenfeldt erhalten, doch liegen keine Informationen über die Käufer vor (freundliche Mitteilung von Petra Cordioli, Archiv Paul Cassirer – Walter Feilchenfeldt – Zürich, 26.10.2012).

Eine konkrete Bestimmung der Sammlung Zimmermann gelang bislang nicht. Bei dem Kunsthändler Ferdinand Möller erwarb ein „Herr von Zimmermann“ 1937 Werke von Emil Nolde (freundliche Mitteilung von Wolfgang Schöddert, Ferdinand-Möller-Archiv, Berlinische Galerie), den die Nolde-Stiftung als „Dr. Friedrich Zimmermann“, wohnhaft mit seiner Frau Anna in Berlin, identifizieren konnte. Er besaß von 1929 bis 1959 mindestens ein Gemälde von Emil Nolde. (freundliche Mitteilung von Christian Ring, Nolde Stiftung Seebüll, 24.1.2012). Allein das Berliner Adressbuch des Jahres 1930 verzeichnet jedoch etwa vierzig Herren Zimmermann mit dem Vornamen Friedrich, sodass eine nähere Eingrenzung sich als schwierig erwies. Eine weitere Sammlung Zimmermann, der mehrere Kirchner-Werke zuzuordnen sind, war in New York ansässig. Diese Werke wurden jedoch erst nach 1948 bei Curt Valentin erworben (freundliche Mitteilung von Eberhard W. Kornfeld, 31.1.2013). Vermutlich ist die Provenienzstation „Sammlung Zimmermann“ identisch mit dem „Berliner Privatbesitz“, der das Bild 1948 Anja Bremer als Leihgabe für die Kirchner-Ausstellung in ihrer Galerie überlies.Q6 L10

Die Galerie Bremer in Berlin hatte schon im Vorjahr 1947 eine Ausstellung mit drei Gemälden und über fünfzig Aquarellen und Druckgraphiken aus allen Schaffensphasen Kirchners ausgerichtet – die erste Kirchner-Einzelausstellung in Berlin seit derjenigen bei Paul Cassirer 1923. Da es sich 1947 nicht um eine Verkaufsausstellung handelte, wurden die zumeist aus Berliner Privatbesitz stammenden Werke als Leihgaben zur Verfügung gestellt.L10 Aufbauend auf dem durchschlagenden Publikumserfolg dieser ersten Schau plante Walter Kirchner, der Bruder des Künstlers, für den Sommer des darauffolgenden Jahres in derselben Galerie eine zweite Ausstellung in Gedächtnis an den zehnjährigen Todestag des Künstlers. Hier standen nun Bilder zum Verkauf. Auf der Suche nach Exponaten wandte sich Walter Kirchner beispielsweise an Ferdinand Möller mit der Frage, ob er „einige Gemälde als Leihgabe oder auch als verkäuflich“ beisteuern könne.Q11 Die Eröffnungsrede hielt bei beiden Präsentationen Edwin Redslob, der ehemalige Reichskunstwart der Weimarer Republik, der Kirchner schon früh freundschaftlich verbunden gewesen war. Aus dessen Eigentum wurde „Das Zelt“ an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München verkauft. Ob „Frauenkirch im Winter“ bei Anja Bremer 1948 einen Abnehmer fand, ist nicht überliefert. Adolf Jannasch jedenfalls kaufte das Bild erst zwei Jahre später für 12.000 DM in zwei Raten in der Galerie Walter Schüler.Q1 Q5

Recherche: HS | Text: HS

Leinwandrückseite oben rechts: Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts
Leinwandrückseite unten rechts: Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts [mit Beschriftung in Türkis]
Keilrahmen links oben, Tusche, blau: 1287
Keilrahmen oben Mitte, Bleistift: No. 12154
Keilrahmen oben Mitte: Kleberreste eines abgelösten Aufklebers
Keilrahmen oben Mitte rechts, Aufkleber mit handschriftlicher Bezeichnung: No. 19122 / Kirchner / Winterlandschaft
Keilrahmen unten rechts: Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts
Keilrahmen unten Mitte rechts, ins Holz eingeprägte Nummer: 128
Keilrahmen unten Mitte, blau, durchgestrichen: 128
Keilrahmen unten Mitte, blau: 120
Keilrahmen links Mitte, ins Holz eingeprägte und mit Blau gestrichene Nummer: 128
Keilrahmen links Mitte, blau: 120

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 21.6.1950

Q2 Protokoll der Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen aus den Verwaltungs- und Ausstellungsräumen der Galerie], 5.6.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, S. 2

Q3 Zahlungsanweisung für die zweite Rate an die Galerie Schüler, 23.9.1950, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446

Q4 erste Zahlungsanweisung an die Galerie Schüler, 21.6.1950, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446

Q5 Lieferschein Galerie Schüler durch Spedition Dähne & Co., 20.6.1950, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1630

Q6 Ernst Ludwig Kirchner zum Gedächtnis. Gemälde, Aquarelle, Graphik, Ausstellungsfaltblatt Galerie Bremer Berlin 1948, Nr. 8, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München

Q7 Brief Ernst Ludwig Kirchner an Wilhelm Barth, 14.1.1924, Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt, Bestand PA 888a N6(1)199 1923/4, publiziert in: Hans Delfs (Hrsg.), Ernst Ludwig Kirchner. Der gesamte Briefwechsel. „Die absolute Wahrheit, so wie ich sie fühle“, Bd. 1: Briefe von 1901 bis 1923, Zürich 2010, Nr. 1193 [vgl. den Kommentar in Anm. 3]

Q8 Verzeichnis der an Paul Cassirer Berlin-W. Viktoriastrasse 35 gehenden Bilder, Beilage zum Brief Ernst Ludwig Kirchner an Wilhelm Barth, 30.10.1923, Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt, Bestand PA 888a N6(1)199 1923/4, publiziert in: Hans Delfs (Hrsg.), Ernst Ludwig Kirchner. Der gesamte Briefwechsel. „Die absolute Wahrheit, so wie ich sie fühle“, Bd. 1: Briefe von 1901 bis 1923, Zürich 2010, Nr. 1157

Q9 Bilderliste von Ernst Ludwig Kirchner für die Kunsthalle Basel, 17.5.1923, Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt, Bestand PA 88a N6(1)199 1923/4, Nr. 1, publiziert in: Hans Delfs (Hrsg.), Ernst Ludwig Kirchner. Der gesamte Briefwechsel. „Die absolute Wahrheit, so wie ich sie fühle“, Bd. 1: Briefe von 1901 bis 1923, Zürich 2010, Nr. 1104

Q10 Brief Ernst Ludwig Kirchner an Helene Spengler, 5.2.1919, publiziert in: Hans Delfs (Hrsg.), Ernst Ludwig Kirchner. Der gesamte Briefwechsel. „Die absolute Wahrheit, so wie ich sie fühle“, Bd. 1: Briefe von 1901 bis 1923, Zürich 2010, Nr. 685

Q11 Brief Walter Kirchner an Ferdinand Möller, 1948, Archiv Berlinische Galerie, Ferdinand-Möller-Archiv, BG-GFM/MF 5315, 1250

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1953, Nr. 42

L2 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1958, Nr. 100

L3 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1960, Nr. 107

L4 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 126

L5 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 107

L6 Ernst Ludwig Kirchner. 1880–1938, Ausst.-Kat. Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin; Haus der Kunst München; Museum Ludwig Köln; Kunsthaus Zürich, Berlin 1979, Nr. 198

L7 Donald E. Gordon, Ernst Ludwig Kirchner. Mit einem kritischen Katalog sämtlicher Gemälde, München 1968, Nr. 556

L8 Eberhard W. Kornfeld, Ernst Ludwig Kirchner. Nachzeichnung seines Lebens, Bern 1979

L9 Rahel E. Feilchenfeldt und Thomas Raff, Ein Fest der Künste. Paul Cassirer. Der Kunsthändler als Verleger, München 2006, S. 404: Ausstellungsübersicht 1923

L10 Markus Krause, Galerie Bremer. Die frühen Jahre 1946–1952, Berlin 1996, S. 12–14