Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


zurück

Max Beckmann (1884–1950)
Geburt, 1937

Öl auf Leinwand
121 x 176,5 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1951 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 10.548.2 DM

Weitere Werkdaten

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unten links: Beckmann / A 37
Bildmitte: CIRCUS / ROMANY

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 65
Inventar Land Berlin: 65
Weitere Nummern: 14/5

Werkverzeichnis-Nummer
Göpel WV 478; Reifenberg WV 390

Foto: Anders, Jörg P. / © VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Provenienz
bis 1939 im Besitz des Künstlers, Amsterdam L8
ab 1940 Stephan Lackner, Santa Barbara/Kalifornien, L9 L5 im selben Jahr bei Curt Valentin, Buchholz Gallery, New York, ausgestellt L10
bis Oktober 1951 Galerie Curt Valentin (ehemals Buchholz Gallery), New York, aus der Sammlung Lackner Q1 Q3 L10 (Aufkleber)
1951 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben bei der Galerie Curt Valentin
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturb
1937 malte Max Beckmann das großformatige Ölgemälde „Geburt“, dem er im folgenden Jahr als Pendant das Bild „Tod“ hinzufügte. Beide Werke entstanden in Amsterdam, wo der Künstler im Exil lebte, seit er im Juli 1937 Deutschland verlassen hatte. Auf das Entstehen in Amsterdam verweist das Kürzel „A 37“ neben der Signatur. Die Bilder verblieben bis 1939 zunächst in Beckmanns Atelier. Der Kunsthändler Günther Franke, der Beckmann persönlich kannte und im Exil besuchte, berichtete rückblickend: „Beckmann emigrierte im Jahre 1937, genau einen Tag nach der Eröffnung der ersten Ausstellung im Haus der Kunst durch Hitler und der Gegenausstellung ‚Entartete Kunst‘ im Hofgarten. […] Er übersiedelte über Paris nach Amsterdam, wo eine Schwester seiner Frau lebte. […] Dort sah ich Beckmann im Jahr 1939 zum vorletzten Mal. Quappi Beckmann zeigte Bilder wie ‚Geburt‘ und ‚Tod‘. Letzteres entstand im Zusammenhang mit der Nachricht von Kirchners Freitod, die Beckmann erschüttert hat.“L8

1940 ging „Geburt“ in den Besitz des Schriftstellers Stephan Lackner über. Lackner (1910–2000), geboren als Ernest Morgenroth, war promovierter Philosoph und Kunsthistoriker, als Autor publizierte er teilweise auch unter dem Namen Ernst Gast. Trotz des großen Altersunterschieds war Lackner ein langjähriger Freund und Förderer Beckmanns, den er als junger Student in Frankfurt am Main kennengelernt hatte. 1933, als eine Beckmann-Ausstellung im Museum Erfurt nicht eröffnen durfte, besichtigte er die für die Schau vorgesehenen Werke im Keller und kaufte aus diesem Konvolut sein erstes Beckmann-Bild („Mann & Frau“). Im selben Jahr emigrierte Lackner (samt Bild) nach Paris, pflegte aber weiter engen Kontakt mit dem Maler, der inzwischen in Berlin lebte. 1937 illustrierte Beckmann Lackners Drama „Der Mensch ist kein Haustier“. Dieser kaufte im selben Jahr rund zwölf Werke Beckmanns, teils ungesehen, die in zwei Transporten (Oktober 1937 und März 1938) von Berlin nach Paris gebracht wurden. Am 3. September 1938 verpflichtete er sich vertraglich zum Kauf von monatlich zwei Gemälden; diese Vereinbarung hielten beide Seiten bis 1940 ein (im September 1941 traf die letzte Bildersendung bei Lackner ein). 1938 war Lackner Mitorganisator der Ausstellung „Twentieth Century German Art“ in London, die als Gegenausstellung zur Schau „Entartete Kunst“ entstand, und im April 1939 emigrierte er in die USA, samt seinen Beckmann-Werken. Hier wurde es 1940 und 1946 auf Ausstellungen bei Curt Valentin in der Buchholz Gallery in New York gezeigt.L10 L9

Der Kunsthändler Curt Valentin war mit der Kunst Beckmanns gut vertraut. Er hatte eine Zeit lang in Berlin bei Alfred Flechtheim gearbeitet, der zu jener Zeit auch Beckmann vertrat. Bei Karl Buchholz, für den Valentin nach dem Weggang Flechtheims 1934 die Leitung der Kunstabteilung in der Buchhandlung Buchholz in der Leipziger Straße übernahm, war Beckmann ebenfalls vertreten. Valentins Beziehung zu dem Maler beruhte anfänglich vor allem auf dem engen Kontakt zwischen Buchholz und Beckmann. Als Buchholz 1937 unter Druck des NS-Regimes geriet, den „nicht-arischen“ Mitarbeiter Valentin zu entlassen, emigrierte Valentin in Absprache mit Buchholz nach New York und gründete dort die Filiale Buchholz Gallery, zu deren Programm wiederum Beckmann gehörte. Da die New Yorker Filiale großteils aus Berlin bestückt wurde, kam hier auch „entartete Kunst“ zum legalen Verkauf. Valentin führte die Galerie in New York trotz Finanznöten relativ unbeschadet durch die Kriegszeit. Auch in diesen Jahren erhielt er Kunstwerke von Buchholz, der inzwischen in Madrid tätig war, zum Verkauf (u. a. von Beckmann, Wilhelm Lehmbruck, Emil Nolde und Max Ernst).

Max Beckmann zählte, neben Paul Klee, Ernst Ludwig Kirchner und Lyonel Feininger, zu Valentins Lieblingskünstlern der frühen Moderne. In der US-Karriere des Kunsthändlers spielte Beckmann eine ebenso zentrale Rolle wie Valentin bei der Etablierung des Malers in der amerikanischen Kunstszene: Valentin initiierte die ersten Verkäufe von Beckmann-Werken in den USA, kaufte selbst Bilder, organisierte Ausstellungen und brachte Beckmann dem Museum of Modern Art und anderen amerikanischen Museen nahe. In den ersten Jahren in New York, also von 1937 bis zum Kriegseintritt der Amerikaner im Dezember 1941, bezog Valentin die Werke meist direkt von Beckmann (The Museum of Modern Art, New York, MoMA-Manhattan / Korrespondenz CV / Beckmann, Curt Valentin Papers I. [9], Files 1938–1941, freundliche Auskunft von Anja Tiedemann, 4.2.2013). Dabei nahm er häufiger Werke in Kommission als dass er sie kaufte. Da Stephan Lackner über einen größeren Finanzrahmen verfügte, legten er und Valentin in einigen Fällen zusammen, um Beckmann-Werke (etwa „Departure“, heute The Museum of Modern Art, New York) gemeinsam anzukaufen. Die große Beckmann-Retrospektive in München 1951 bestückte Valentin mit Leihgaben aus eigenem und amerikanischem Privatbesitz. In jenem Jahr besaß er zahlreiche Beckmann-Werke, wie er im Frühsommer 1951 an Buchholz schrieb: „Ich habe natürlich viel Geld in Beckmann ‚investiert‘ und möchte im Augenblick nicht mehr tun. Ich besitze ja mindestens 25 Bilder, manche bedeutende. Die große Ausstellung in München wird am 2. (oder am 9.) Juni eröffnet.“Q4

Curt Valentin war es dann auch, der, umfirmiert von Buchholz Gallery zu Curt Valentin Gallery, Adolf Jannasch das Bild 1951 verkaufte. Ob Valentin das Werk übernommen hatte, es als Kommissionsware aus dem Besitz Lackners zum Verkauf anbot oder das Bild zu den genannten Gemeinschaftsankäufen von Lackner und Valentin gehörte, bleibt ungeklärt. Valentin hinterließ keine Geschäftsbücher, die Aufschluss geben könnten. Ein Zwischenbesitz durch Dritte ist jedoch ausgeschlossen. Dies unterstreicht der Zusatz, den Jannasch dem Katalogeintrag von 1968 beifügte: „erworben 1951, früher Slg. Dr. Stephan Lackner, Santa Barbara, Cal.“L5 Den Hinweis auf das in New York zum Verkauf stehende Gemälde hatte Jannasch sicher von Lackner persönlich erhalten. Ein erster Kontakt zwischen ihnen war um 1950/51 zustande gekommen, als Jannasch eine (aus dem Münchner Haus der Kunst übernommene) Beckmann-Ausstellung in Berlin organisierte. „Geburt“ war eines der hier gezeigten Werke, als Leihgabe der Buchholz Gallery New York, sprich Curt Valentins.Q3 L11

Recherche: CT | Text: CT