Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Raoul Dufy (1877–1953)
Regatta in Sainte-Adresse, 1924

Öl auf Leinwand
60,8 x 73,5 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1958 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 46.000 DM

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Régates à Sainte-Adresse / La mer; Regatta in Le Havre; Das Meer

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unten rechts: Raoul Dufy

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 269
Inventar Land Berlin: 269
Weitere Nummern: 28/33

Werkverzeichnis-Nummer
Laffaille WV 689

Foto: Kilger, Andres / © VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Provenienz
frühestens 1942 Galerie Drouant-David, Paris Q6 (Aufkleber)
Privatbesitz Belgien Q5
um 1957/58 Galerie Beyeler, Basel Q6 L4
1958 Galerie Alex Vömel, Düsseldorf, erworben bei der Galerie Beyeler Q5 Q9
1958 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben bei der Galerie Vömel Q1 Q5
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
In den frühen 1920er-Jahren schuf der französische Maler Raoul Dufy eine umfangreiche Serie von Meereslandschaften und Porträts des Küstenlebens im Norden Frankreichs. Maritime Bilder sind in seinem Werk dieser Epoche demnach in großer Vielzahl vertreten, wobei Schiffsregatten wie auch das Hafenstädtchen Sainte-Adresse oft wiederholte Motive darstellen. Zahlreiche davon tragen schlichte, deskriptive Titel, etwa „Regatta / régates“, „Das Meer / la mer“, „Sainte-Adresse“ oder „Marine“, die von französischen und deutschen Galeristen, Kunsthistorikern oder Vorbesitzern wahlweise, nicht selten leicht ungenau, attribuiert wurden. Auch das in der Nationalgalerie befindliche Werk, heute als „Regatta in Sainte-Adresse“ („Régates à Sainte-Adresse“) bekannt, wurde in der Galerie des 20. Jahrhunderts noch unter dem Titel „Regatta in Le Havre“ geführt und ist andernorts als „Das Meer“ („La mer“) zu finden.L2 L4 Diese unspezifische Handhabe, kombiniert mit der hohen Anzahl ähnlicher Bilder, erschwert die Bestimmung der Werkidentität bei Provenienzrecherchen zu Dufys Meeresbildern immens.

In seinem Antragsgutachten für die Deutsche Klassenlotterie vom 5. Februar 1958 betonte Adolf Jannasch, dass das zum Ankauf vorgeschlagene Werk Dufys „aus bestem belgischen Privatbesitz“ stamme (Bl. 47.5.2).Q5 Um welche Sammlung es sich hierbei handelt, ließ sich bislang jedoch nicht feststellen. Auch die in blauer Schrift auf der Rückseite notierten Buchstaben „F.D“, die auf den Namen eines Sammlers hindeuten könnten, boten konsultierten Dufy-Experten keine Hilfestellung. Drei Aufkleber auf dem Keilrahmen des Gemäldes geben Hinweise auf weitere Provenienzstationen, werfen aber Fragen auf: Ein Etikett wurde, offenbar zwecks Unkenntlichmachung, geschwärzt; die darunter liegende Schrift, die durch die altersbedingte Verblassung der schwarzen Farbe inzwischen wieder durchscheint, ist bis auf eine handschriftliche „40“ nicht entzifferbar. Hinzu kommen zwei Aufkleber der Galerie Drouant-David in Paris, von denen einer zu großen Teilen abgerissen ist und bei dem anderen die Stelle, an der gewöhnlich der Eigentümer vermerkt ist, weggekratzt wurde. Dufys Gemälde befand sich demnach zeitweise im Besitz dieser Pariser Galerie.

Die Galerie Drouant-David wurde 1942 von Armand Drouant und Emmanuel David im 8. Pariser Arrondissement in der Rue du faubourg Saint-Honoré 52 gegründet und zehn Jahre lang dort geführt. Sie vertrat in erster Linie zeitgenössische französische Künstler wie François Desnoyer, Jean Carzou, Paul Rebeyrolle oder Bernard Buffet. Emmanuel David kümmerte sich dabei mehr um die jungen Künstler (er gehörte zu den größten Förderern Buffets), Armand Drouant um die etablierteren. Raoul Dufy zählte nicht zu den im größeren Rahmen von der Galerie vertretenen Künstlern, seine Arbeiten fanden sich aber gelegentlich unter den gehandelten Kunstwerken. Bei einer Benefizauktion zugunsten Kriegsgefangener beispielsweise, die die Galerie Drouant-David 1945 veranstaltete, war er unter den Stiftern (wobei das vom Künstler bereitgestellte Gemälde nur mit der rudimentären Angabe „peinture, don de l’auteur“ identifiziert ist, vgl. André Schoeller, Vente de tableaux modernes au profit des prisonniers, résistants et déportés du M. N. P. G. D., Aukt.-Kat. Galerie Drouant-David Paris, 23.5.1945, Paris 1945). Zu den Kundinnen der Galerie Drouant-David gehörte Marcelle Houry, Kunstkritikerin bei „Paris-Soir“ und Mutter des Regisseurs Gérard Oury, die Raoul Dufy sehr gut kannte und eine ansehnliche Sammlung seiner Werke besaß („Elle a très bien connu Raoul Dufy et possède une très belle collection de ce peintre, si bien qu’on va souvent lui demander son opinion sur des œuvres de ce grand artiste“ [S. 100]).L7

Über die Frühzeit der Galerie ist – über die dort veranstalteten Ausstellungen hinaus – wenig bekannt; ein Galerienachlass oder Archivmaterial scheinen nicht zu existieren. Somit ließ sich bislang keine Aussage darüber treffen, woher die Galerie das Gemälde „Regatta in Sainte-Adresse“ bezogen hat und an wen sie es verkaufte. Da persönliche Verbindungen zwischen Galerie und Künstler bestanden, ist eine dergestalt direkte Bezugsquelle denkbar. Bemerkenswert ist aber sicherlich auch, dass sich die Galerie 1942, also mitten im Zweiten Weltkrieg, gründete und ihre Aktivität über die Kriegsjahre hinweg in Paris aufrechterhielt, wobei mindestens ein Werk aus Beschlagnahmebeständen als Handelsware dort auftauchte („Odalisque“ von Henri Matisse, Fall „Paul Rosenberg vs. Seattle Art Museum“, restituiert 1999, vgl. Michael J. Bazyler, Holocaust Justice. The Battle for Restitution in America’s Courts, New York 2003).

Die Besitzverhältnisse vor dem Krieg sind somit unbekannt. In der Ausstellung „Dufy – Rouault – Vlaminck“ in der Kunsthalle Basel 1938 – bestückt aus den Sammlungen von und Beständen bei Étienne Bignou, Marcel Kapferer, Henri Kapferer, E. Vinot, Dr. Roudinesco und der Galerie des Champs-Élysées – waren Meereslandschaften Dufys zu sehen, aber nicht unser Bild (vgl. Ausstellungsakten Staatsarchiv Basel, PA 888 N6 [1] 333). Als weitere frühe Sammler von Dufy-Werken führt Maurice Raynal 1927 auf: „Ses œuvres figurent dans les collections Bernheim, Mazaraki, Quinn, Aubier, etc.“ (Maurice Raynal, Anthologie de la peinture contemporaine, Paris 1927).

Belegt ist, dass Adolf Jannasch das Gemälde 1958 von Alex Vömel in Düsseldorf erwarb,Q5 der es wiederum kurz zuvor bei der Galerie Beyeler in Basel gekauft hatte.Q9 Der Erwerb des Werks war in Berlin mit Streitigkeiten um Bewilligungsformalitäten zwischen der Galerie des 20. Jahrhunderts und der Deutschen Klassenlotterie einhergegangen. Leopold Reidemeister, zuständig für die Bewilligung seitens der Klassenlotterie, hatte den Ankauf des Werks zunächst abgelehnt, da er es für Dufy-untypisch und zu teuer hielt. Letztendlich gab er jedoch seine Zustimmung.Q8

Recherche: CT | Text: CT

Keilrahmen oben Mitte, Bleistift, kopfstehend: Raoul Dufy
Keilrahmen oben rechts: Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts
Keilrahmen oben links: abgerissener Aufkleber der Galerie Drouant-David, Paris
Keilrahmen links oben, Aufkleber der Kunstzollagentur Arthur Lenars & Cie mit handschriftlichem Vermerk: Ber/135
Keilrahmen unten links: Aufkleber der Galerie Drouant-David, Paris [Beschriftung weggekratzt]
Keilrahmen Mittelsteg oben, handschriftlich, blau: F.D
Keilrahmen Mittelsteg Mitte, handschriftlich, rot: [96?]
Keilrahmen Mittelsteg Mitte, blau umrahmt, geschwärzt: Aufkleber, handschriftlich „40“ und „Raoul Dufy“ sowie Aufdruck [unleserlich]
Keilrahmen Mittelsteg unten, blau umrahmt: Aufkleber, handschriftlich „No. 308“

Rückseite
Foto: Kilger, Andres
Rückseite Aufkleber
Foto: Kilger, Andres
Rückseite Aufkleber
Foto: Kilger, Andres

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 9[?].5.1958

Q2 Protokoll der Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen aus den Verwaltungs- und Ausstellungsräumen der Galerie], 5.6.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, S. 2

Q3 Protokoll der Ankaufskommission, 6.11.1959, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II/VA 6754, Bl. 103

Q4 Liste Stiftungen Deutsche Klassenlotterie, o. D., Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Ordner B: Vereinigte Kunstsammlungen

Q5 Korrespondenz zwischen Adolf Jannasch und Alex Vömel [Frachtschein, Rechnung u. a.], 1958, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0700-20-000

Q6 Brief Adolf Jannasch an Maurice Lafaille [Autor des Werkverzeichnisses von Dufy L5], 23.5.1967, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 03-0200-04-033.1

Q7 Protokoll der Ankaufskommission, 24.4.1958, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1893

Q8 Senatsinterne Korrespondenz bzgl. der Ablehnung des Ankaufs durch Prof. Leopold Reidemeister, Mai 1958, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1893

Q9 Karteikarte im Archiv der Galerie Beyeler, Basel, freundliche Auskunft von Ulf Küster, 14.2.2013

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1960, Nr. 30

L2 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 39

L3 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 58

L4 René Ben Sussan und Marcel Brion, Raoul Dufy. Gemälde und Aquarelle, Köln 1959 (1. Aufl. London 1958), Nr. 27 („Das Meer“, datiert auf 1925, Leihgeber: Galerie Beyeler, Basel [S. 108])

L5 Maurice Lafaille, Raoul Dufy [Werkverzeichnis], Genf 1977, Nr. 689 (keine Provenienzangaben über die Galerie des 20. Jahrhunderts hinaus, keine Datierung)

L6 Raoul Dufy 1877–1953, Ausst.-Kat. Galerie Beyeler Basel, Juni bis Juli 1957, Basel 1957, Nr. 15

L7 Emmanuel David, Le Métier de marchand de tableaux. Entretiens avec Hervé Le Boterf, Paris 1978