Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Otto Mueller (1874–1930)
Das Urteil des Paris, 1910/11

Leimfarbe auf Rupfen
179 x 124,5 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1949 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 2.000 DM

Weitere Werkdaten

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unten rechts: O. M.

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 9
Inventar Land Berlin: 9
Weitere Nummern: A II 623; 3/26

Werkverzeichnis-Nummer
Lüttichau/Pirsig WV 103

Foto: Anders, Jörg P. / CC BY-NC-SA
Provenienz
1928 Galerie Fritz Gurlitt, Berlin Q13 (Rückseite)
1928 bis 1937 Nationalgalerie, Berlin, erworben als Schenkung von Fritz Gurlitt Q7
16.8.1937 bis 28.8.1940 Deutsches Reich/Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Berlin, als „entartet“ beschlagnahmt in der Nationalgalerie Q5 Q6 Q8 Q16 Q7
1938 bis Januar 1940 Depot Schloss Schönhausen, Berlin, Lagerung „international verwertbarer“ Kunstwerke L6 Q5 Q17
Januar bis 28.8.1940 Bernhard A. Böhmer, Güstrow, in Kommission Q14
ab 28.8.1940 Bernhard A. Böhmer, Güstrow, im Tausch erworben vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda Q15
1949 Galerie Franz, Berlin L10
1949 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben bei der Galerie Franz Q1
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
1928 hatte die Nationalgalerie in Berlin Otto Muellers „Urteil des Paris“ von dem Berliner Kunsthändler Fritz Gurlitt als Geschenk erhalten und präsentierte es anschließend in der Schausammlung im Kronprinzenpalais.Q3 Dieser Ort der modernen Kunst war den Nationalsozialisten ein besonderer Dorn im Auge. Bei der Aktion „Entartete Kunst“ fanden hier 1937 umfangreiche Beschlagnahmungen statt. Auch „Das Urteil des Paris“ fiel, wie zahlreiche andere Werke Otto Muellers, der „Säuberungsaktion“ zum Opfer: Am 16. August wurde es aus der Nationalgalerie entfernt und mit der Nummer 12122 im Beschlagnahmeinventar verzeichnet.Q16 Im Folgejahr wurde das Gemälde bis September 1940 als „international verwertbares Kunstwerk“ im Berliner Schloss Schönhausen gelagert.L6 Q5 Q17 Ein im Bundesarchiv in Berlin erhaltener Vertrag belegt, dass Bernhard A. Böhmer es im August 1940 vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda im Tausch erwarb: Für ein Gemälde von Heinrich Dreber, „Die Malerin Seeburg“, erhielt er „entartete“ Kunst im Wert von 4.500 RM, darunter Muellers „Urteil des Paris“, angesetzt mit 20 US-Dollar.Q15 Das Bild hatte sich bereits seit Januar 1940 als aus dem Berliner Depot übernommene Kommissionsware bei Böhmer befunden.Q14

Der in Güstrow ansässige Böhmer war – neben Hildebrand Gurlitt in Hamburg sowie Karl Buchholz und Ferdinand Möller in Berlin – einer der vier Kunsthändler in Deutschland, die offiziell vom NS-Regime mit der „Verwertung“ beschlagnahmter Kunstwerke, also ihrer Veräußerung im Ausland zwecks Devisenbeschaffung, beauftragt waren. Böhmer, der die rund 3.000 nach Ende der „Verwertungsaktion“ im Schloss Schönhausen übrig gebliebenen Werke übernommen hatte und aus dem – offiziellen wie inoffiziellen – Geschäft mit der „entarteten“ Kunst auch privat ein Vermögen hatte aufbauen können, nahm sich beim Einmarsch der sowjetischen Besatzungstruppen in Güstrow im Mai 1945 gemeinsam mit seiner Frau Hella, geborene Otte, das Leben. Der noch nicht volljährige Sohn Peter überlebte und erbte den aus unterschiedlichsten Quellen stammenden Nachlass des Kunsthändlers, deponiert im Atelier von Ernst Barlach (dessen Assistent und Handelsvertreter Böhmer sen. bis 1938 gewesen war). Peters Vormundschaft übernahm seine Tante Wilma Zelck (geb. Otte, 1912–1962) in Rostock, zu der er mitsamt einem großen Teil der Kunst zog. Rund 1.000 Werke wurden im März 1947 bei Zelck sichergestellt und im Museum der Stadt Rostock gelagert, einen Rest unbekannter Größe behielt Zelck. Nach dem Tod ihres Ehemannes Günther im Juni 1945 war sie nach Berlin umgezogen und hatte damit begonnen, aus diesem Kunstbestand zu verkaufen, assistiert von dem Kunsthändler Albert Daberkow, der 1947 bis 1952 auch ihr Lebensgefährte war. Daberkow hatte eine Anzahl von Werken aus dem Nachlass Böhmer in Kommission genommen und auf den Markt gebracht.L11 L12

1949 war „Das Urteil des Paris“ auf einer Ausstellung zu Muellers 75. Geburtstag in der Berliner Galerie Franz zu sehen, deren Exponate verkäuflich waren.L10 Ob das Bild über Zelck und Daberkow in die Galerie gelangte oder ein (anderer) privater Vorbesitzer es Franz verkauft oder in Kommission gegeben hatte, ist nicht belegt. Es gehörte zu den ersten zehn Werken, die Adolf Jannasch für die 1949 in West-Berlin neu gegründete Galerie des 20. Jahrhunderts erwarb.

Recherche: HS/CT | Text: CT

Keilrahmen oben links: Reste eines entfernten Etiketts
Keilrahmen oben Mitte, Kreide, blau: Z[unleserlich] 352 [unter der „52“ Verfärbung durch entferntes Etikett]
Keilrahmen oben Mitte rechts: Mueller / Urteil des Paris; in anderer Schrift: 123 Berlin / 1Bild
Keilrahmen oben rechts: Aufkleber Ausstellung „Painters of the Brücke“ in London
Keilrahmen rechts Mitte, Kreide, blau: Gurlitt
Keilrahmen rechts unten, Kreide, weiß: Cat [unleserlich]
Keilrahmen unten Mitte rechts, Kreide, weiß: 97 [unleserlich]
Keilrahmen links Mitte unten: Aufkleber Kestner-Gesellschaft Hannover 1956
Keilrahmen Mittelsteg links: Aufkleber Ausstellung „Entartete Kunst“ 1962
Keilrahmen Mittelsteg Mitte rechts: Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts

Rückseite
Foto: Neue Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 22.3.1949

Q2 Nachtrag zur Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen], 13.9.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q3 Aufstellung der Bilder, früher Bestand der Neuen Abteilung der National-Galerie im ehem. Kronprinzenpalais, 15.9.1954, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II B/Galerie des 20. Jahrhunderts – Land Berlin 6, Bl. 287

Q4 Liste Platten – Kasten III, Galerie M–R, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Ordner B: Vereinigte Kunstsammlungen

Q5 Liste der aus dem Kronprinzenpalais beschlagnahmten und in die Köpenickerstr. 24 transportierten Werke, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, I/NG 866, Bl. 40, Nr. 43

Q6 Liste der beschlagnahmten Werke (international verwertbar), o. D., Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, I/NG 866, Bl. 76

Q7 Brief Paul Ortwin Rave an Käthe Gläser, Amt für Kunst, Abt. Volksbildung, Charlottenburg, 8.4.1949, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II A/NG 8, Bl. 255

Q8 Brief Adolf Jannasch an P. A. Ade, Haus der Kunst München, 19.2.1962, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 03-0303-01-046.9 bis -046.10

Q9 Zettel-Kartei Paul Ortwin Rave 1950, Nr. 00725, Kopie bei den Staatlichen Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q10 Protokoll der Ankaufskommission, 22.3.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446

Q11 Brief Paul Ortwin Rave an Eckart Klesmann, 22.7.1954, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II B/NG 4

Q12 Liste Erwerbungen der National-Galerie, Geschenke, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, I/NG 949, Bl. 218

Q13 Brief Fritz Gurlitt an Ludwig Justi, 10.1.1928, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, I/NG 470, Bl. 41

Q14 Nachtrag zur Kommissionsliste von Werken entarteter Kunst bei Kunsthändler Bernhard A. Böhmer, 13.1.1940, Bundesarchiv Berlin, R 55/21019, Bl. 40 v., 42

Q15 Tauschvertrag zwischen Bernhard A. Böhmer und dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, 28.8.1940, Bundesarchiv Berlin, R 55/21019, Bl. 69, 72

Q16 Verzeichnis beschlagnahmter Kunstwerke, Reichministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Bundesarchiv Berlin, R 55/20745, Bl. 15, Nr. 12122

Q17 Liste Bestand Niederschönhausen [Schloss Schönhausen], Bundesarchiv Berlin, R 55/21015, Bl. 42

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1953, Nr. 52

L2 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1958, Nr. 131

L3 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1960, Nr. 143

L4 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 168

L5 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 152

L6 Annegret Janda und Jörn Grabowski (Hrsg.), Kunst in Deutschland. 1905–1937. Die verlorene Sammlung der Nationalgalerie im ehemaligen Kronprinzen-Palais. Dokumentation, Berlin 1992, Nr. 337

L7 Christoph Zuschlag, „Entartete Kunst“. Ausstellungsstrategien im Nazi-Deutschland, Worms 1995, S. 351

L8 Paul Ortwin Rave und Anni Pescatore, Verzeichnis der Gemälde und Bildwerke der Neuen Abteilung im ehemaligen Kronprinzen-Palais, Berlin 1933, S. 23, Nr. 1569

L9 Mario-Andreas von Lüttichau und Tanja Pirsig, Otto Mueller. Werkverzeichnis. CD-ROM, München u. a. 2003, Nr. 103

L10 Ausstellung Otto Müller in Berlin, in: Weltkunst, Jg. 19, Nr. 20, Dezember 1949, S. 6

L11 Meike Hoffmann (Hrsg.), Ein Händler „entarteter“ Kunst. Bernhard A. Böhmer und sein Nachlass, Berlin 2010

L12 Stefan Koldehoff, Die Bilder sind unter uns, Berlin 2009, S. 55 ff.