Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Georges Braque (1882–1968)
Fischerboote, 1929/30

Öl auf Leinwand
19 x 33 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1956 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 25.000 DM

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Barques (à l'ancre)

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unten links: G Braque

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 150
Inventar Land Berlin: 150
Weitere Nummern: 21/17

Werkverzeichnis-Nummer
Mangin WV 58

Foto: Anders, Jörg P. / © VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Provenienz
1929/30 bis mindestens 1933 im Besitz des Künstlers L1 Q9
bis 1956 Theodor Woelfer (Wölfer), Malmö/Stockholm L8 L7 Q8
um 1954 Galerie Aenne Abels, Köln, in Kommission von Theodor Woelfer Q6
um 1954 zurück an Theodor Woelfer Q6
1955/56 erneut bei der Galerie Aenne Abels, Köln, in Kommission von Theodor Woelfer Q6
1956 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben aus Mitteln der Deutschen Klassenlotterie bei der Galerie Abels Q1
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
„Ich kann jetzt nochmals aus einer erstklassigen Privatsammlung ein sehr schönes, erstklassiges kleines Gemälde von Braque zum Verkauf bekommen, das ich vor ca. 1 Jahr schon mal kurze Zeit hatte, das damals aber leider vom Eigentümer wieder vom Verkauf zurückgezogen wurde. Das Bild […] war 1953 auf der großen Braque-Ausstellung im Kunsthaus Zürich“, schrieb die Kunsthändlerin Aenne Abels am 2. August 1955 an Adolf Jannasch (Bl. 9).Q6 Abels hatte das Bild zu jenem Zeitpunkt bereits ein zweites Mal in Kommission in ihrer Galerie in Köln, nachdem sie es im Vorjahr nicht verkauft und an den Besitzer zurückgegeben hatte.Q6 Als sich die Möglichkeit des Erwerbs durch die Galerie des 20. Jahrhunderts konkretisierte, betonte Abels im Angebotsschreiben abermals: „Es kommt aus erstklassigem Privatbesitz, in dem es sich schon sehr lange befindet“.Q3 Jannasch erwirkte die Finanzierung über die Deutsche Klassenlotterie, sodass Georges Braques Gemälde „Fischerboote“ im Juli 1956 erworben werden konnte (vgl. Inventarvermerk: „Beleg Mappe Klassenlotterie, Antrag 175a/56, Bestätigung der Stiftung vom 7.7.56, Sitzung vom 5.7.56“).Q1

Bei dem Vorbesitzer handelt es sich um Theodor Woelfer (auch Wölfer), der sowohl in Malmö als auch in Stockholm lebte und arbeitete (freundliche Auskunft von Claes Woelfer, 30.3.2011). Die in der Literatur und den Akten zu findenden Provenienzhinweise „Privatbesitz Malmö“L7 und „Theodor Woelfer Stockholm“Q3 Q8 sind demnach als Verweise auf ein und dieselbe Sammlung anzusehen. Als gebürtiger Deutscher war Theodor Woelfer im Jahr 1915 nach Schweden emigriert, wo er für eine Berliner Firma in Malmö auf Direktorenebene arbeitete. Offenbar stellte die Firma, für die er als Repräsentant in Schweden tätig war, in der NS-Zeit auf Drängen des Auswärtigen Amtes die Verbindungen zu Woelfer ein (vgl. Sven Nordlund, Ariseringen i Sverige, in: Historisk Tidskrift, Jg. 125, H. 4, 2005). Verheiratet war Woelfer mit der Deutschjüdin Gertrud Hammerschmit, die seit 1917 ebenfalls in Schweden lebte. Mit ihr hatte er drei Kinder. Der Journalist Gustaf von Platen, der Theodor Woelfer persönlich kannte, bezeichnete ihn in einem Artikel als aktiven Nazigegner – trotz seiner Mitgliedschaft im Riksföreningen Sverige-Tyskland, dem Reichsbund Schweden-Deutschland (vgl. www.svd.se/kultur/karaktarsmord-pa-doda-svenskar_65383.svd, letzter Zugang 28.1.2016). Woelfer sammelte moderne Kunst, darunter neben zahlreichen Werken schwedischer Zeitgenossen etwa die Bronze „Hockende“ von Georg Kolbe (vgl. www.lot-issimo.com, letzter Zugang 28.1.2016) und Oskar Kokoschkas „Spielende Kinder“ (1951 von Gertrud Woelfer in Malmö für die in Hamburg stattfindende Kokoschka-Ausstellung ausgeliehen, vgl. Landesarchiv Berlin, B Rep. 014 Nr. 1742–1744). In den 1930er-Jahren ersteigerte er auch Werke „entarteter Kunst“ bei Fischer in Luzern (u. a. von Maurice de Vlaminck, vgl. Gesa Jeuthe, Die Moderne unterm Hammer, in: Uwe Fleckner [Hrsg.], Angriff auf die Avantgarde. Kunst und Kunstpolitik im Nationalsozialismus, Berlin 2007, S. 205 ff.). Da Woelfer beruflich offenbar viel reiste, ist es gut möglich, dass er an verschiedenen Orten Europas Kunst erwarb.

Theodors Woelfers Sohn Claes, geboren um 1930 und wohnhaft in Malmö, erinnert sich gut an das Braque-Gemälde im Besitz seiner Eltern, weiß jedoch nicht, wann oder von wem es erworben wurde (freundliche Auskunft von Claes Woelfer, 30.3.2011). Es sind ihm keine Unterlagen in Familienbesitz bekannt. Seiner Einschätzung nach war seine Mutter, mehr als sein Vater, die treibende kunstsinnige Kraft in der Familie.

Dass „Fischerboote“ 1933 noch im Besitz des Künstlers war, geht aus den Akten der Kunsthalle Basel hervor, die im April und Mai 1933 eine große Retrospektive zu Georges Braque veranstaltete, auf der auch unser Bild als verkäufliches Werk ausgestellt wurde.L1 Q9 Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Künstler, der zahlreiche, vor allem jüngere Werke zur Verfügung stellte. Der Rest wurde aus Privatsammlungen bestückt. Während die Korrespondenz mit den privaten Leihgebern der Ausstellung vollständig und detailreich erhalten ist (und kein Woelfer darin erwähnt wird), sind die Werke aus dem Besitz Braques nur durch den Katalog dokumentiert. Da auch „Fischerboote“ lediglich im Katalog auftaucht, lässt sich daraus mit hoher Wahrscheinlichkeit schlussfolgern, dass es 1933 noch dem Künstler selbst gehörte.

Georges Braque (1882–1963), der nach schweren Verletzungen im Ersten Weltkrieg ab 1917 in Paris gelebt hatte, suchte zunehmend Rückzug in der Normandie. Im Sommer 1929 kaufte er ein Stück Land im Badeort Varengeville-sur-Mer (bei Dieppe), baute dort ein Cottage und verbrachte in den nächsten Jahren viel Zeit dort. Hier malte er zahlreiche Bilder des Kieselstrandes, zumeist kleinformatige, da er diese in seinem Auto besser zum Verkauf nach Paris transportieren konnte.L9 Auf welchem Weg das kleine Gemälde „Fischerboote“, das aus dieser Küstenbilder-Serie stammt, zu Woelfer kam, bleibt ungeklärt. Möglich ist, dass eine Verbindung zu dem umtriebigen Stockholmer Sammler und Tanzliebhaber Rolf de Maré in Stockholm bestand, der zahlreiche Werke von Braque besaß, darunter auch ein bei Alfred Flechtheim erworbenes Bootsbild („Trois barques, ciel nuageux“, 1929, S. 37).L8

Recherche: CT | Text: CT

zahlreiche handschriftliche Bezeichnungen auf den Rahmen (erster Außenrahmen: R1, Außenrahmen: R2, Keilrahmen: KR), unter anderem: Express 02550[9?] [R1 oben links, blau]; K4280 [KR unten Mitte, dunkelblau]; 119 [R1 oben rechts, blau]; 1930 [KR oben Mitte]; C 0493/50 [KR oben Mitte, Bleistift]
R2 oben links, Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts mit Inv.-Nr.: 21/17
R2 oben Mitte, Ausstellungsaufkleber Kunsthaus Zürich: Besitzer Liljevachs Konsthall / Rotterdam [durchgestrichen]
R1 unten links, weiterer Ausstellungsaufkleber Kunsthaus Zürich: Katalognummer 119 [bei Besitzerangabe Fehlstelle im Papier]
R2 unten rechts, Aufkleber, teilweise abgelöst: 119 Bateaux de Pêcheurs, Privatbesitz Malmö
zahlreiche Spuren früherer Aufkleber, aus dem Holz gekratzter Bezeichnungen und unleserlicher Stempel auf Rahmen und Leinwand

Rückseite
Foto: Neue Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 5.7.1956

Q2 Protokoll der Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen aus den Verwaltungs- und Ausstellungsräumen der Galerie], 5.6.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, S. 3

Q3 Angebotsschreiben Aenne Abels an Adolf Jannasch, 8.2.1956, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, IIB/NG 7, Bl. 83, und Folgekorrespondenz ebd.

Q4 Liste Stiftungen Deutsche Klassenlotterie, o. D., Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Ordner B: Vereinigte Kunstsammlungen

Q5 Begleitschreiben zur Rechnung Aenne Abels, 12.7.1956, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0700-22-070.2

Q6 Korrespondenz zwischen Aenne Abels und Adolf Jannasch, August 1955, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 03-0100-01-9 ff.

Q7 Liste Platten – Kasten I, Galerie A–K, 25.7.1957, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 02-0204-02-040.1 bis -040.3, Nr. 11

Q8 freundliche Auskünfte Claes Woelfer aus dem Jahr 2011

Q9 Ausstellungsakten Retrospektive Georges Braque, Kunsthalle Basel, April/Mai 1933, Staatsarchiv Basel, PA 888 N6 (1) 286

L1 Georges Braque, mit einer Einleitung von Carl Einstein, Ausst.-Kat Kunsthalle Basel 1933, S. 22, Nr. 146 (keine Besitzerangaben, datiert auf 1929, Verkaufspreis 15.000 Francs / 3.300 SFr.; handschriftlicher Eintrag im Katalogexemplar des Büros der Kunsthalle Basel)

L2 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1958, Nr. 18

L3 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1960, Nr. 18

L4 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 25

L5 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 44

L6 Georges Braque, Ausst-Kat. Galerie Aenne Abels Köln [1956], Abb. S. 5 (ohne Provenienzangaben)

L7 Georges Braque, Ausst.-Kat Kunsthaus Zürich 1953, S. 20, Nr. 119 (ohne Abb., „Privatbesitz Malmö“)

L8 Nicole Mangin (später Worms de Romilly), Catalogue d’œuvre de Georges Braque, [Paris] 1962 ff., Bd. 2: Peintures 1928–1935, Nr. 58 („collections: M. Theodor Woelfer, Stockholm. Galerie Anna [sic.] Abels, Köln. Galerie XXe siècle, Berlin“)

L9 Henry R. Hope, Georges Braque, New York 1949, S. 118