Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Max Pechstein (1881–1955)
Junges Mädchen, 1908

Öl auf Leinwand
65,5 x 50,5 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1949 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 2.200 DM

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Junge Frau; Frauenbildnis

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
oben rechts: HMP 08

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 3
Inventar Land Berlin: 3
Weitere Nummern: 3/8

Werkverzeichnis-Nummer
Soika WV 1908/6

Foto: Anders, Jörg P. / © Pechstein Hamburg/Trökendorf / VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Provenienz
bis 1923 Galerie Wolfgang Gurlitt, Berlin, in Kommission Q2 Q8 L6
ab 1923 bis mindestens 1925 Wolfgang Gurlitt, Berlin (Privateigentum) Q2 Q8 L6
zu unbekanntem Zeitpunkt zurück an den Künstler, bis 1949 in dessen Besitz Q7 Q8 L6
1949 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben vom Künstler Q1
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Wolfgang Gurlitt gehörte von 1912 bis zum Beginn der 1920er-Jahre zu den wichtigsten Förderern Max Pechsteins. Im Rahmen einer Umgestaltung seiner Galerieräume in Berlin beauftragte er den Künstler mit mehreren Glasfenster-Entwürfen. Zugleich finanzierte er Pechsteins Südseereise mit einem Vorschuss von 10.000 Mark. Im Gegenzug hatte ihm Pechstein vor seiner Abfahrt im April 1914 fast sein komplettes künstlerisches Werk als Kommissionsware anvertraut und ihm die alleinigen Ausstellungs- und Abbildungsrechte daran übertragen. Ein weiteres großes Konvolut übergab er dem Händler nach seiner Rückkehr aus dem Kriegsdienst. So verwahrte Gurlitt im Sommer 1917 für Pechstein insgesamt 231 Gemälde, über 500 Aquarelle und Zeichnungen sowie mehr als 1.000 druckgraphische Werke.L6 Q2 Vor 1920 ließ Wolfgang Gurlitt 200 der bei ihm lagernden Gemälde fotografieren. Diese Fotoplatten, darunter auch eine Aufnahme des „Jungen Mädchens“,Q8 befinden sich heute unter dem dahingehend irreführenden Titel „ehem. Sammlung Wolfgang Gurlitt“ im Bildarchiv Foto Marburg, als er nur einen kleinen Teil dieser Werke später tatsächlich sein Eigen nennen durfte.

Die Beziehung zwischen Gurlitt und Pechstein wurde ab 1921 zunehmend angespannt. Dem Konflikt lagen Gurlitts Exklusivrechte an den Werken zugrunde. Gurlitt betrachtete offenbar die in seinem Keller befindliche Kommissionsware aufgrund der früheren Vereinbarung als sein Eigentum und verweigerte dem Künstler die Rückgabe. Anfang 1922 war das Verhältnis zwischen Künstler und Händler so zerrüttet, dass Pechstein zur Verärgerung Gurlitts seine aktuellen Werke trotz der vertraglichen Verpflichtungen der Berliner Galerie van Diemen zum Verkauf übergab, die sein Freund Eduard Plietzsch leitete. Nach zähen Auseinandersetzungen stellte Gurlitt im November 1922 den Verkauf von Pechsteins Werken zwar ein, die Rückgabe jedoch stand weiterhin aus, sodass sich Pechstein zu gerichtlichen Schritten entschloss. Über den Klageweg erkämpfte er sich den Großteil seiner Arbeiten zurück: Im März 1923 übergab ihm Gurlitt 190 Gemälde, 174 Aquarelle, 291 Zeichnungen, 886 Holzschnitte und 686 Lithographien. Im Rahmen der gerichtlichen Einigung durfte Gurlitt 14 Gemälde behalten mit der Auflage, bei einem Verkauf Pechstein oder seinen Nachkommen die Hälfte des Erlöses zukommen zu lassen. Das Gemälde „Junges Mädchen“ gehörte zu diesem Konvolut, das 1923 in Gurlitts Eigentum überging.Q2 L6

Da jedoch das Inventarbuch der Galerie des 20. Jahrhunderts die Erwerbung als „Ankauf vom Künstler“ verzeichnet,Q1 muss das Frauenporträt zu unbekanntem Zeitpunkt und unter unbekannten Umständen wieder zurück in Künstlerbesitz gelangt sein. Als es im April 1925 dem König-Albert-Museum in Zwickau als Dauerleihgabe überlassen wurde, geschah dies noch auf Initiative Gurlitts.Q2

Recherche: HS | Text: HS

Leinwand oben Mitte: Junges Mädchen / 1908 / HMPechstein / Berlin W. 62. [durchgestrichen] / Kurfürstenstr. 126 [durchgestrichen] / Berlin-Grunewald / Warmbrunnerstr. 20
Leinwand oben links und Mitte links: zwei Zollstempel

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 22.3.1949

Q2 Erklärung Max Pechstein und Wolfgang Gurlitt, 16.3.1923, Abkommen zwischen Max Pechstein und Wolfgang Gurlitt, 7.3.1923, Akten Schriftverkehr und Ausstellungen 1925, Archiv der Städtischen Kunstsammlungen Zwickau

Q3 Protokoll der Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen aus den Verwaltungs- und Ausstellungsräumen der Galerie], 5.6.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, S. 2

Q4 Liste Platten – Kasten III, Galerie M–R, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Ordner B: Vereinigte Kunstsammlungen

Q5 Ankaufsbestätigung, Brief Adolf Jannasch an Maria Kennert, Berlin-Grunewald, 23.3.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1445

Q6 Protokoll der Ankaufskommission, 22.3.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446

Q7 Reproduktionsdruck des Gemäldes mit Besitzvermerk „Max Pechstein – Dresden“, o. D., Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, V/Sammlung Künstler: Pechstein, Max, Drucksachen

Q8 Fotoplatte Gurlitt, „Junges Mädchen“, Aufnahme vor 1920, Bildarchiv Foto Marburg, Aufnahme-Nr. 145.276

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1953, Nr. 59

L2 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1958, Nr. 145

L3 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1960, Nr. 158

L4 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 184

L5 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 167

L6 Aya Soika, Max Pechstein. Das Werkverzeichnis der Ölgemälde, Bd. 1: 1905–1918, München 2011, Nr. 1908/6