Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Vladimir Evgrafovič Tatlin (1885–1953)
Komposition (Monat Mai), 1916

Tempera, Öl und Gouache auf Holz
52 x 39 cm; 111 x 100,5 x 11,5 cm (Plexikasten)

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1978 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 1.000.000 DM

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
The Month of May; Komposition

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unbezeichnet

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 1100
Inventar Land Berlin: 1100

Foto: Anders, Jörg P.
Provenienz
wohl bis 1963 Sofia Dymschiz-Tolstaja Q6
wohl ab 1963 bis 1977 Privatsammlung Tschechoslowakei, aus dem Nachlass von Sofia Dymschiz-Tolstaja Q6
1977 bis 1978 Privatbesitz Bundesrepublik Deutschland Q6
1978 Galerie R, Nürnberg Q1 Q5
1978 erworben aus Mitteln des Landes Berlin (Deutsche Klassenlotterie) von der Galerie R für die Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Vladimir Tatlins kleine Komposition in Tempera, Gouache und Öl auf Holz wurde 1978 aus Mitteln des Landes Berlin (Deutsche Klassenlotterie) für die Vereinigten Kunstsammlungen in der Neuen Nationalgalerie bei der Galerie R in Nürnberg erworben. Direktor Dieter Honisch hatte den Ankauf initiiert, nachdem das Bild 1977 als Leihgabe aus einer Privatsammlung auf der Ausstellung „Tendenzen der Zwanziger Jahre“ in seinem Haus gezeigt worden war. Im Vorfeld hatte er von der Kunsthändlerin Johanna Ricard, Eigentümerin der Galerie R, Auskünfte zur Provenienz erfragt. Ricard gab ihm diese Informationen, wies aber gleichzeitig darauf hin, dass sie vertraulich zu behandeln seien, um ihre Kontakte und „Personen in der UdSSR zu schützen“.Q6

Laut Ricards Angaben stammte Tatlins „Komposition (Monat Mai)“ aus dem Besitz von Sofia Dymschiz-Tolstaja (auch Dimschiz, Dymschitz, Tolstaya, Tolstoj, Tolstoi), „einer Freundin und Schülerin Tatlins, […] die es vom Künstler bekam. Aus dem Nachlass ihrer Familie konnte ich dieses Bild bekommen.“Q6 Dymschiz-Tolstaja (Petersburg 1889–1963 Leningrad) war eine Künstlerin der Avantgarde in Russland. Sie gehörte nach der Oktoberrevolution 1917 zur Führungsebene des Volkskommissariats für kulturelle Bildung und arbeitete mit Vladimir Tatlin an der Neuorganisation der Museen. Ricard erwähnte weiterhin, dass Dr. Nakov die Datierung vorgenommen habe: „Da er eine sehr große Tatlin-Dokumentation besitzt und aufgrund ähnlicher Arbeiten, die er in Staats- und Privatbesitz in der UdSSR persönlich gesehen hat, konnte er das Werk ca. 1916 einreihen.“Q6

Mit ihren Ausführungen gelang es Ricard, die leichten Zweifel an der Authentizität des Bildes, die seinerzeit in Berlin bestanden, auszuräumen. Im Ankaufsgutachten hieß es: „Es sind in den letzten Jahren eine Reihe von Kunstwerken gerade aus Russland und Polen auf dem westeuropäischen Markt aufgetaucht, die mit großer Vorsicht aufzunehmen sind, weil die Provenienz oft nicht nachprüfbar ist oder aus naheliegenden Gründen nicht preisgegeben werden kann. Hier ist die Provenienz bekannt und spricht […] sehr deutlich für die Urheberschaft Tatlins.“Q4 Im Protokoll der Ankaufskommission war das Urteil noch klarer: „Die Provenienz ist absolut einwandfrei und die Echtheit zudem durch zwei Gutachten gesichert.“Q3

Recherche: CT | Text: CT

Tafelrückseite oben rechts, kyrillisch: Künstlersignatur
Tafelrückseite unten links: Aufkleber der Staatlichen Museen zu Berlin

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 3.1.1978

Q2 Aufstellung der Erwerbungen 1977–1981, 9.2.1982, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Ordner B: Vereinigte Kunstsammlungen

Q3 Protokoll der Ankaufskommission, 29.11.1977, Bildakte Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Ordner B: Beratende Ankaufskommission, Protokolle, Lotto

Q4 Gutachten zum Ankauf für die Nationalgalerie, o. D., nicht unterzeichnet, Bildakte Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q5 Rechnung der Galerie R, 27.11.1977, Bildakte Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q6 Brief Johanna Ricard an Dieter Honisch, 27.11.1977, Bildakte Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

L1 Nationalgalerie Berlin. 10 Jahre im neuen Haus, Ausst.-Kat. Wissenschaftszentrum Bonn-Bad Godesberg, Berlin 1978, S. 74 f.

L2 Tendenzen der Zwanziger Jahre, Ausst.-Kat. Neue Nationalgalerie Berlin 1977, Nr. 1/25 („Privatsammlung“)