Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Willy Jaeckel (1888–1944)
Selbstbildnis, 1913

Öl auf Leinwand
70,5 x 48 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1949 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 600 DM

Weitere Werkdaten

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
oben links: J. 13

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 6
Inventar Land Berlin: 6
Weitere Nummern: 3/15

Werkverzeichnis-Nummer
Klein WV 12

Foto: Anders, Jörg P. / CC BY-NC-SA
Provenienz
1914 Galerie Fritz Gurlitt, Berlin L7
unverkauft zurück an den Künstler Q9
1916/17 Kestner-Gesellschaft, Hannover L6 Q9
1917 Kunstverein Hamburg Q10
wohl vor 1943 Galerie del Vecchio, Leipzig (Rückseite)
1949 Galerie Gerd Rosen, Berlin Q3 Q5 Q6 Q7 Q8 Q11
1949 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben bei der Galerie Gerd Rosen Q1
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Schon kurz nach Vollendung seines Selbstbildnisses unternahm Willy Jaeckel zwischen 1914 und 1917 mehrere Versuche, einen Käufer zu finden. Zunächst vertraute er es Fritz Gurlitt an, der es 1914 zusammen mit Werken von Wilhelm Trübner, Oskar Moll und Max Pechstein in einer Kollektivausstellung präsentierte.L7 Das Selbstbildnis wurde jedoch offenbar unverkauft an den Künstler zurückgeschickt, denn um den Jahreswechsel 1916/17 sandte er es, wie eine eigenhändig geschriebene Werkliste Willy Jaeckels belegt,Q9 an die Kestner-Gesellschaft in Hannover, die ihm eine Einzelausstellung ausrichtete. Dort stand es für 2.000 Mark zum Verkauf.L6 Direkt anschließend war das Selbstbildnis mit 20 weiteren Jaeckel-Arbeiten im Kunstverein Hamburg zu sehen.Q10 Informationen über diese zweite Ausstellungsstation sind äußerst spärlich überliefert. Weder liegt ein Ausstellungskatalog vor noch ist die Schau in den Jahresberichten des Vereins 1917 und 1918 erwähnt. Auch die Zeitungsausschnitt-Sammlung des Hamburger Kunstvereins zur Jaeckel-Ausstellung enthält keine relevanten Artikel (freundliche Mitteilungen von Ute Haug, Hamburger Kunsthalle, 19.3.2013, sowie Beate Anspach, Kunstverein Hamburg, 22.3.2013). Es haben sich also keinerlei Unterlagen erhalten, die Anhaltspunkte für den Verbleib des Gemäldes nach seiner Präsentation im Hamburger Kunstverein liefern.

Das Bild selbst allerdings gibt durch die Reste eines rückseitigen Aufklebers einen Hinweis auf eine weitere Provenienzstation: Zu unbekanntem Zeitpunkt muss es sich für eine Ausstellung oder als Handelsware in der Leipziger Galerie del Vecchio befunden haben. Vermutlich übernahm der seinerzeitige Galerie-Inhaber Andreas Johann Fischer-Thorer das Gemälde – von Jaeckel selbst oder einem unbekannten Zwischeneigentümer – Jahre vor der Bombennacht des 4. Dezember 1943, die sein Unternehmen vollends zerstörte. Zwar eröffnete die Galerie kurze Zeit später an neuem Standort, doch erholte sich das Unternehmen nach dem Krieg nicht mehr und wurde 1953 aus dem Handelsregister gelöscht.L8

Obwohl die Galerie del Vecchio eher auf traditionelle und etablierte Kunstrichtungen orientiert war und ein tendenziell wertkonservatives Image pflegte, stand sie schon 1894 in Kontakt mit Edvard Munch, übernahm 1911 eine Wanderausstellung der Künstlergemeinschaft Brücke und präsentierte 1914 die italienischen Futuristen. Vermutlich ist deshalb auch das expressionistische Selbstbildnis Jaeckels bereits in den 1920er-Jahren dort zu verorten, ehe das NS-Regime die Moderne verfemte. Fischer-Thorer selbst gehörte nicht zu den von den Nationalsozialisten Verfolgten. Im November 1943 versicherte er dem Amtsgericht Leipzig, rein „arischer Herkunft“ zu sein. Weiter führte er aus: „Es wird im Geschäft nicht mit jüdischem Kapital gearbeitet, auch herrscht kein jüdischer Einfluß auf das Geschäft“ (Protokoll des Amtsgerichts, 10.11.1943, Staatsarchiv Leipzig, HR A 204, Bd. 2, Bl. 88, zit. n.: Hommel 2004).L8

Einen vagen weiteren Hinweis auf seine Geschichte gewährt das Bild durch eine schwer zu entziffernde Bleistiftbeschriftung am Keilrahmen, die verschiedene Deutungen zulässt: Ein Herr Hölzler, Hökler oder Höhler mag zu desgleichen unbekanntem Zeitpunkt sein früherer Eigentümer gewesen sein. Ein Sammler dieses oder eines ähnlichen Namens ist jedoch ohne Zusatzinformationen nicht zu identifizieren. Auch Gerd Rosen lieferte keine weiteren Angaben zur Herkunft des Bildes, als Adolf Jannasch es 1949, als eines der ersten Werke für die Galerie des 20. Jahrhunderts (West), bei ihm erwarb.Q3 Q5 Q6 Q7 Q8 Q11

Der Künstler selbst erlebte 1937 die Diffamierung seines Werkes als „entartet“. 1943 wurden sein Atelier und ein Großteil seiner Bilder in der Kunstschule an der Grunewaldstraße durch Brandbomben zerstört, 1944 auch sein Privatatelier am Kurfürstendamm. Er selbst kam bei einem Bombenangriff auf Berlin am 30. Januar 1944 ums Leben.

Recherche: HS | Text: HS

Außenrahmen oben links: 6540/3 u. leer P[unleserlich]
Außenrahmen oben rechts: Reste eines Etiketts der Galerie del Vecchio, Leipzig
Außenrahmen oben rechts, blau: F. R. 5164
Außenrahmen links Mitte: 1104 / 3 [unleserlich]
Keilrahmen oben rechts, Etikett, darauf handschriftlich: Kiste N 2; darunter, vom Etikett größtenteils verdeckt, in Bleistift: Ob[…]
Keilrahmen rechts oben, Etikett mit handschriftlicher Nummer: 1
Keilrahmen rechts unten, Kreide, blau: B
Keilrahmen unten rechts, Bleistift: Herr Hölzler/Hökler/Höhler [?]
Rückseitenschutz: Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts und Aufkleber der Staatlichen Museen zu Berlin

Rückseite
Foto: Kilger, Andres
Rückseite
Foto: Kilger, Andres

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 22.3.1949

Q2 Liste der Kunstwerke, die am 6.6.1968 aus dem Depot der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz übergeben wurden, o. D., Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Bl. 2 (Depot H)

Q3 Adolf Jannasch und Galerie Gerd Rosen, Ankaufsbestätigung, 23.3.1949, und Rechnung, 24.4.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014 Nr. 1445

Q4 Liste Platten – Kasten I, Galerie A–K, 25.7.1957, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 02-0204-02-040.1 bis -040.3, Nr. 34

Q5 Protokoll der Ankaufskommission, 22.3.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446

Q6 Brief Adolf Jannasch an Gerd Rosen, 21.2.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1627

Q7 Rechnung Galerie Rosen, 16.2.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1627

Q8 Brief Gerd Rosen an Adolf Jannasch, 16.2.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1627

Q9 Eigenhändige Werkliste Willy Jaeckels für die Ausstellung in der Kestner-Gesellschaft Hannover, 5.12.1916, Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover, Dep. 100, Nr. 1, hier [abweichend vom Katalog] unter der Nr. 18

Q10 Brief Paul Erich Küppers an Hofrat Theodor Brodersen, Hamburger Kunstverein, 13.9.1918, Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover, Dep. 100, Nr. 7

Q11 Ansichtsrechnung Gerd Rosen, 16.2.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1627

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1953, Nr. 36

L2 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1958, Nr. 87

L3 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1960, Nr. 89

L4 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 108

L5 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 101

L6 Willy Jaeckel. Gemälde, Graphik. III. Sonderausstellung der Kestner-Gesellschaft Hannover, Hannover 1916, Nr. 21

L7 Dagmar Klein, Der Expressionist Willy Jaeckel (1888–1944). Gemälde – Biographie – Künstlerbriefe. Werkverzeichnis, Köln 1989, Nr. 12

L8 Karsten Hommel, „Pietro del Vecchio“. Zur Geschichte einer Leipziger Kunsthandlung 1799–1953, in: Mitteldeutsches Jahrbuch für Kultur und Geschichte, Bd. 11, 2004, S. 89–112, bes. S. 103–112