Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Gustav Heinrich Wolff (1886–1934)
Ruhendes Pferd, 1922

Bronze

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1966 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 200 DM

Weitere Werkdaten

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unbezeichnet

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 876
Inventar Land Berlin: 876/42

Werkverzeichnis-Nummer
Holthusen WV 22

Foto: CC BY-NC-SA
Provenienz
bis 1955 Heinrich Evert, Berlin
1955 bis 1966 Gertrud Evert, Berlin, per Erbschaft Q3
1966 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben von Gertrud Evert, Teil des Schenkungskonvoluts Sammlung Evert, Nr. 42 Q1
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Die kleine Bronzeskulptur eines liegenden Pferdes von Gustav Heinrich Wolff existiert in mindestens acht Exemplaren. Bei der Wolff-Retrospektive im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe 1957 waren vier Exemplare bekannt; 1964 nannte die Werkverzeichnis-Autorin Agnes Holthusen – eine Freundin und langjährige Sammlerin Wolffs – sieben Exemplare der folgenden Besitzer: Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde; Ernesto Blohm, Caracas; Dr. Ernst L. Hauswedell, Hamburg; Frau Heinrich C. Hudtwalcker, Hamburg; Gerhard Rée, Hamburg; H. H. Steffens, Hamburg; Curt Stoermer, Lübeck.L2 Ein achtes Exemplar, das sich lange Jahre in der Sammlung Evert in Berlin befand und von dort aus erst 1966 in die Galerie des 20. Jahrhunderts und damit in eine öffentliche Institution gelangte, entzog sich offenbar der Kenntnis der Hamburger Wolff-Forscher, die ausschließlich Exemplare norddeutscher oder ehemals in Hamburg ansässiger Besitzer anführen.

In Barmen geboren, war Wolff 1919 nach dem Kriegsdienst und der Internierung in Frankreich nach Berlin gezogen, wo er 1934 verstarb. Zu Wolffs größten Förderern gehörte der Direktor des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe, Max Sauerlandt, der zur gleichen Zeit auch den als Tierbildhauer bekannt gewordenen Richard Haizmann protegierte. Sowohl von Wolff als auch von Haizmann besaß Heinrich Evert je eine Skulptur, sodass ein Zusammenhang im Erwerbungskontext hier nicht auszuschließen ist.

Heinrich Evert (Hannover 1879–1955 Berlin) sammelte in den 1920er- bis 1950er-Jahren Werke deutscher Künstler der Moderne. Ausgebildet an der hannoverschen Kunstgewerbeschule und der Baugewerkschule in Buxtehude sowie den Technischen Hochschulen in Berlin und Hannover hatte er seine Laufbahn im öffentlichen Dienst 1905 als Abteilungsleiter der Hochbauabteilung beim Stadtbauamt Jena begonnen. 1910 wurde er zum Stadtbaurat in Jauer (Jawor, heute Polen) berufen, wo er von 1927 bis 1934 auch das Amt des Bürgermeisters bekleidete. In seiner Zeit dort setzte Evert sich vor allem für kulturelle und soziale Belange ein und wirkte am modernen Siedlungsbau mit. Nach Januar 1933 geriet er „als Nichtparteigenosse und Freimaurer“, wie er sich selbst bezeichnete,Q7 ins Visier der NSDAP; im Oktober 1934 legte er sein Amt in Jauer nieder und siedelte nach Berlin um. Hier war er von 1936 bis 1945 als kommunaler Berater der Wehrkreisverwaltung III tätig und wurde 1946 zum Bezirksrat und Leiter der Abteilung für Bau- und Wohnungswesen im Bezirksamt Berlin-Wilmersdorf berufen. Ab 1951 wirkte Evert als Bezirksstadtrat. Bis zu seinem Tod 1955 wohnte er in der Rudolstädter Straße 100 in Wilmersdorf.

Seine Leidenschaft für aktuelle Kunst ließ Heinrich Evert den Kontakt zu Künstlern seiner Zeit suchen. Durch die Nähe der Stadt Jauer zu Breslau hatte er eine besondere Verbindung zur Breslauer Akademie: Zahlreiche dort tätige Kunstschaffende, darunter Oskar Moll und Georg Muche, Robert Bednorz, Otto Mueller und Alexander Camaro, waren – häufig mit mehreren Werken – in seiner Sammlung vertreten. Hinzu kamen Arbeiten von Kurt Schwitters, Karl Schmidt-Rottluff, Werner Heldt und zahlreichen anderen, mit denen den Sammler vielfach eine oft langjährige Freundschaft verband. Die Werke für seine Sammlung erwarb Heinrich Evert zum größten Teil direkt bei den Künstlern.

Auch Adolf Jannasch kannte Evert persönlich, wie der Eintrag in Jannaschs Sammler-Notizbuch belegt: „Evert / ‚Bauen und Wohnen‘ / Schwitters, Heldt, Moderne, Müller, Muche, Camaro“.Q4 Diese Bekanntschaft mag Everts Beschluss, der Galerie seine Sammlung anzuvertrauen, bekräftigt haben. So legte der kinderlose Baurat testamentarisch fest: „Ich setze als Erben meiner gesamten Kunstgegenstände (Gemälde, Graphiken, Plastiken, Sammelmappen, kunstgewerbliche Gegenstände und einschlägige Literatur) das Land Berlin ein. Für die Betreuung dieser Kunstwerke soll die Galerie des XX. Jahrhunderts zuständig sein.“Q5 Diesem Wunsch folgend, hinterließ seine Witwe Gertrud Evert, geborene Fangauf, mit ihrem Tod 1966 dem Land Berlin 117 Gemälde, Zeichnungen und graphische Blätter.Q3 Vereinzelte Werke scheint Heinrich Evert auch dem Stadtmuseum Berlin vermacht zu haben.

Recherche: HS/CT | Text: CT

auf der Standfläche Klumpen roten Siegelwachses

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, erworben Juni 1966

Q2 Liste der Kunstwerke, die am 6.6.1968 aus dem Depot der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz übergeben wurden, o. D., Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Bl. 5, handschriftlicher Nachtrag

Q3 Erbvertrag zwischen Gertrud Evert und dem Land Berlin, 1.8.1957, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0601-02-010.1 ff.

Q4 Sammler-Notizbuch Adolf Jannasch, Privatbesitz

Q5 Protokoll für notarielle Beurkundungen, Amtsgericht Berlin-Charlottenburg, 1.8.1958, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0601-02-000

Q6 Brief Gertrud Evert an Senator Joachim Tiburtius, 18.2.1957, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0601-02-008.2

Q7 Lebenslauf Heinrich Evert, 14.10.1945, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 02-0204-02-000

L1 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 366

L2 Agnes Holthusen, Gustav H. Wolff. Das plastische und graphische Werk, Hamburg 1964, Nr. 22