Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Robert Bednorz (1882–1973)
Nackte Frau, die Haare zurechtmachend, 1919

Bronze

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1966 erworben durch das Land Berlin
Schenkungswert: 300 DM

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Stehende

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unbezeichnet

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 874
Inventar Land Berlin: 874/40

Foto: März, Roman
Provenienz
bis 1955 Heinrich Evert, Berlin
1955 bis 1966 Gertrud Evert, Berlin, per Erbschaft Q3
1966 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben von Gertrud Evert, Teil des Schenkungskonvoluts Sammlung Evert, Nr. 40 Q1
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Das Wirken des im Oberschlesischen geborenen Bildhauers Robert Bednorz war eng verbunden mit der Stadt Breslau: Dort hatte er seine Lehre absolviert und 1903 bis 1907 an der Königlichen Kunst- und Kunstgewerbeschule studiert. Nach ein paar Jahren in Berlin und Rom kehrte er 1912 nach Breslau zurück; von 1924 bis 1932 war er hier als Professor für Bildhauerei an der Staatlichen Akademie für Kunst und Kunstgewerbe tätig. Die Skulptur „Nackte Frau, sich die Haare zurechtmachend“, die 1919 in Bednorz’ längster Breslau-Phase entstand, wurde 1965 in einer Ausstellung zur Erinnerung an die Breslauer Akademie gezeigt – als Leihgabe von Gertrud Evert.Q4

Gertrud Evert hatte 1955 von ihrem verstorbenen Mann eine Kunstsammlung übernommen, die ihrerseits eine deutliche Affinität zu Breslau zeigt. Heinrich Evert (Hannover 1879–1955 Berlin) sammelte in den 1920er- bis 1950er-Jahren Werke deutscher Künstler der Moderne. Ausgebildet an der hannoverschen Kunstgewerbeschule und der Baugewerkschule in Buxtehude sowie den Technischen Hochschulen in Berlin und Hannover hatte er seine Laufbahn im öffentlichen Dienst 1905 als Abteilungsleiter der Hochbauabteilung beim Stadtbauamt Jena begonnen. 1910 wurde er zum Stadtbaurat in Jauer (Jawor, heute Polen) berufen, wo er von 1927 bis 1934 auch das Amt des Bürgermeisters bekleidete. In seiner Zeit dort setzte Evert sich vor allem für kulturelle und soziale Belange ein und wirkte am modernen Siedlungsbau mit. Nach Januar 1933 geriet er „als Nichtparteigenosse und Freimaurer“, wie er sich selbst bezeichnete,Q8 ins Visier der NSDAP; im Oktober 1934 legte er sein Amt in Jauer nieder und siedelte nach Berlin um. Hier war er von 1936 bis 1945 als kommunaler Berater der Wehrkreisverwaltung III tätig und wurde 1946 zum Bezirksrat und Leiter der Abteilung für Bau- und Wohnungswesen im Bezirksamt Berlin-Wilmersdorf berufen. Ab 1951 wirkte Evert als Bezirksstadtrat. Bis zu seinem Tod 1955 wohnte er in der Rudolstädter Straße 100 in Wilmersdorf.

Seine Leidenschaft für aktuelle Kunst ließ Heinrich Evert den Kontakt zu Künstlern seiner Zeit suchen. Durch die Nähe der Stadt Jauer zu Breslau hatte er eine besondere Verbindung zur Breslauer Akademie: Zahlreiche dort tätige Kunstschaffende, darunter Oskar Moll und Georg Muche, Robert Bednorz, Otto Mueller und Alexander Camaro, waren – häufig mit mehreren Werken – in seiner Sammlung vertreten. Hinzu kamen Arbeiten von Kurt Schwitters, Karl Schmidt-Rottluff, Werner Heldt und zahlreichen anderen, mit denen den Sammler vielfach eine oft langjährige Freundschaft verband. Die Werke für seine Sammlung erwarb Heinrich Evert zum größten Teil direkt bei den Künstlern. Im Falle von Bednorz’ Bronzeskulptur einer nackten Frau ließ sich ein solcher Direktankauf zwar nicht belegen, doch ist es sehr wahrscheinlich, dass Evert sie vor 1932 in Breslau erwarb.

Auch Adolf Jannasch kannte Evert persönlich, wie der Eintrag in Jannaschs Sammler-Notizbuch belegt: „Evert / ‚Bauen und Wohnen‘ / Schwitters, Heldt, Moderne, Müller, Muche, Camaro“.Q5 Diese Bekanntschaft mag Everts Beschluss, der Galerie seine Sammlung anzuvertrauen, bekräftigt haben. So legte der kinderlose Baurat testamentarisch fest: „Ich setze als Erben meiner gesamten Kunstgegenstände (Gemälde, Graphiken, Plastiken, Sammelmappen, kunstgewerbliche Gegenstände und einschlägige Literatur) das Land Berlin ein. Für die Betreuung dieser Kunstwerke soll die Galerie des XX. Jahrhunderts zuständig sein.“Q8 Diesem Wunsch folgend, hinterließ seine Witwe Gertrud Evert, geborene Fangauf, mit ihrem Tod 1966 dem Land Berlin 117 Gemälde, Zeichnungen und graphische Blätter.Q3 Vereinzelte Werke scheint Heinrich Evert auch dem Stadtmuseum Berlin vermacht zu haben.

Recherche: HS/CT | Text: CT

unten am Sitz: R.Bednorz / 19

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag Juni 1966

Q2 Liste der Kunstwerke, die am 6.6.1968 aus dem Depot der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz übergeben wurden, o. D., Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Bl. 4

Q3 Erbvertrag Gertrud Evert an Land Berlin 1.8.1957, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0601-02-010.1 ff.

Q4 Brief Gertrud Evert an Georg Muche, 18.3.1965, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Muche, Georg, I,C-183

Q5 Sammler-Notizbuch Adolf Jannasch, Privatbesitz

Q6 Protokoll für notarielle Beurkundungen, Amtsgericht Berlin-Charlottenburg, 1.8.1958, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0601-02-000

Q7 Brief Gertrud Evert an Senator Joachim Tiburtius, 18.2.1957, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0601-02-008.2

Q8 Lebenslauf Heinrich Evert, 14.10.1945, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 02-0204-02-000

Q9 Erbvertrag zwischen Gertrud Evert und dem Land Berlin, 1.8.1957, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0601-02-010.1 ff.

L1 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 344