Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Otto Mueller (1874–1930)
Waldlandschaft, um 1925

Leimfarbe auf Rupfen
108 x 84 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1966 erworben durch das Land Berlin
Inventarwert: 20.000 DM

Weitere Werkdaten

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unbezeichnet

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 845
Inventar Land Berlin: 845/11
Weitere Nummern: 845/68

Werkverzeichnis-Nummer
Lüttichau/Pirsig WV 287

Foto: Anders, Jörg P. / CC BY-NC-SA
Provenienz
bis mindestens 1931 Emmy Mueller, Berlin L4
1932 Galerie Ferdinand Möller, Berlin, wohl in Kommission Q4 Q5
bis 1955 Heinrich Evert, Berlin
1955 bis 1966 Gertrud Evert, Berlin, per Erbschaft Q3 Q8
1966 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben von Gertrud Evert, Teil des Schenkungskonvoluts Sammlung Evert, Nr. 11 Q1
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
1931 war die „Waldlandschaft“ in der im Schlesischen Museum der Bildenden Künste Breslau ausgerichteten Gedächtnisausstellung für den im Jahr zuvor verstorbenen Otto Mueller zu sehen. Ausgeliehen hatte das Gemälde die Schwester des Künstlers, Emmy Mueller, die also bis mindestens 1931 das Bild besaß.L4 Vermutlich war sie es, die das Gemälde ihres Bruders 1932, wohl in Kommission, an die Berliner Galerie Ferdinand Möller übergab. Der Kunsthändler sah zunächst vor, es zusammen mit acht Werken anderer Künstler als Leihgabe zu einer von Charlotte Weidler organisierten Wanderausstellung der College Art Association in New York zu senden, die an mehreren Stationen in den USA gezeigt wurde. Als Möller im September 1934 die Rückgabe seiner Leihgaben quittierte, befand sich die „Waldlandschaft“ jedoch nicht darunter: Er hatte entschieden, das Gemälde aus der Vorauswahl zu nehmen und in Berlin zu belassen.Q4 Q5

Dass Möller den Kunstsammler Heinrich Evert, aus dessen Sammlung das Bild 1966 in die Galerie des 20. Jahrhunderts gelangte, kannte, belegen Briefe im Ferdinand-Möller-Archiv der Berlinischen Galerie. In den Nachkriegsjahren fragte der Galerist den Sammler nach möglicherweise zu verkaufenden Werken, insbesondere von Kurt Schwitters. In einem dieser Briefe an Evert vom 5. Februar 1953 erwähnte er wie beiläufig: „Ist eigentlich seinerzeit der Otto Mueller mit dem gegabelten Baum verkauft worden?“Q10 Sollte es sich hierbei um die „Waldlandschaft“ handeln, so hieße dies, dass Möller das Bild als Eigentum Everts bekannt war. Die Vermutung liegt nahe, dass Evert, der seit 1934 in Berlin wohnte, es bei Möller erworben und zu einem späteren Zeitpunkt eine etwaige Verkaufsabsicht geäußert hatte.

Neben diesem Gemälde auf Rupfen kamen zwei heute im Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin befindliche Werke von Otto Mueller auf Papier (Inv.-Nr. 846/12 und 847/13) aus der Sammlung Evert in die Galerie des 20. Jahrhunderts. Heinrich Evert (Hannover 1879–1955 Berlin) sammelte in den 1920er- bis 1950er-Jahren Werke deutscher Künstler der Moderne. Ausgebildet an der hannoverschen Kunstgewerbeschule und der Baugewerkschule in Buxtehude sowie den Technischen Hochschulen in Berlin und Hannover hatte er seine Laufbahn im öffentlichen Dienst 1905 als Abteilungsleiter der Hochbauabteilung beim Stadtbauamt Jena begonnen. 1910 wurde er zum Stadtbaurat in Jauer (Jawor, heute Polen) berufen, wo er von 1927 bis 1934 auch das Amt des Bürgermeisters bekleidete. In seiner Zeit dort setzte Evert sich vor allem für kulturelle und soziale Belange ein und wirkte am modernen Siedlungsbau mit. Nach Januar 1933 geriet er „als Nichtparteigenosse und Freimaurer“, wie er sich selbst bezeichnete,Q9 ins Visier der NSDAP; im Oktober 1934 legte er sein Amt in Jauer nieder und siedelte nach Berlin um. Hier war er von 1936 bis 1945 als kommunaler Berater der Wehrkreisverwaltung III tätig und wurde 1946 zum Bezirksrat und Leiter der Abteilung für Bau- und Wohnungswesen im Bezirksamt Berlin-Wilmersdorf berufen. Ab 1951 wirkte Evert als Bezirksstadtrat. Bis zu seinem Tod 1955 wohnte er in der Rudolstädter Straße 100 in Wilmersdorf.

Seine Leidenschaft für aktuelle Kunst ließ Heinrich Evert den Kontakt zu Künstlern seiner Zeit suchen. Durch die Nähe der Stadt Jauer zu Breslau hatte er eine besondere Verbindung zur Breslauer Akademie: Zahlreiche dort tätige Kunstschaffende, darunter Oskar Moll und Georg Muche, Robert Bednorz, Otto Mueller und Alexander Camaro, waren – häufig mit mehreren Werken – in seiner Sammlung vertreten. Hinzu kamen Arbeiten von Kurt Schwitters, Karl Schmidt-Rottluff, Werner Heldt und zahlreichen anderen, mit denen den Sammler vielfach eine oft langjährige Freundschaft verband. Die Werke für seine Sammlung erwarb Heinrich Evert zum größten Teil direkt bei den Künstlern. Auch mit Mueller, der seit 1919 als Professor an der Staatlichen Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau arbeitete, könnte eine persönliche Bekanntschaft bestanden haben.

Den Leiter der Galerie des 20. Jahrhunderts, Adolf Jannasch kannte Evert gewiss persönlich, wie der Eintrag in Jannaschs Sammler-Notizbuch belegt: „Evert / ‚Bauen und Wohnen‘ / Schwitters, Heldt, Moderne, Müller, Muche, Camaro“.Q6 Diese Bekanntschaft mag Everts Beschluss, der Galerie seine Sammlung anzuvertrauen, bekräftigt haben. So legte der kinderlose Baurat testamentarisch fest: „Ich setze als Erben meiner gesamten Kunstgegenstände (Gemälde, Graphiken, Plastiken, Sammelmappen, kunstgewerbliche Gegenstände und einschlägige Literatur) das Land Berlin ein. Für die Betreuung dieser Kunstwerke soll die Galerie des XX. Jahrhunderts zuständig sein.“Q7 Diesem Wunsch folgend, hinterließ seine Witwe Gertrud Evert, geborene Fangauf, mit ihrem Tod 1966 dem Land Berlin 117 Gemälde, Zeichnungen und graphische Blätter.Q3 Vereinzelte Werke scheint Heinrich Evert auch dem Stadtmuseum Berlin vermacht zu haben.

Recherche: CT/HS | Text: CT/HS

Leinwandrückseite links: O. Mueller
Keilrahmen oben links, halb abgerissener Aufkleber: Nr. M.314 / Otto Mueller / Waldlandschaft
Keilrahmen oben Mitte links: Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts
Keilrahmen oben Mitte links: [...]at 36 [vermutlich Kat.-Nr. der Ausstellung in Breslau]
Keilrahmen oben rechts, Aufkleber Sammlung Evert: G. Evert / Berlin-Wilmersdorf / Rudolstädter Str. 11
Keilrahmen links oben, halb abgerissener Aufkleber: [...]mueller / [...]landschaft / [...]erie Möller
Keilrahmen rechts unten, Kreide, rot: 232
Keilrahmen Mittelsteg Mitte: Gustav Knauer, Berlin / 2843 [?] / Kunst-Abteilung
Keilrahmen unten links, rot: rautenförmiger Zollstempel

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, erworben Juni 1966

Q2 Nachtrag zur Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen], 13.9.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q3 Erbvertrag zwischen Gertrud Evert und dem Land Berlin, 1.8.1957, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0601-02-010.1 ff.

Q4 Brief Ferdinand Möller an die College Art Association, mit Anhang, 25.11.1932, Archiv Berlinische Galerie, DE BG-GFM-MF 5314, 158

Q5 Brief Ferdinand Möller an die College Art Association, 4.6.1934, Archiv Berlinische Galerie, DE BG-GFM-MF 5314, 146

Q6 Sammler-Notizbuch Adolf Jannasch, Privatbesitz

Q7 Protokoll für notarielle Beurkundungen, Amtsgericht Berlin-Charlottenburg, 1.8.1958, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0601-02-000

Q8 Brief Gertrud Evert an Senator Joachim Tiburtius, 18.2.1957, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0601-02-008.2

Q9 Lebenslauf Heinrich Evert, 14.10.1945, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 02-0204-02-000

Q10 Brief Ferdinand Möller an Heinrich Evert, 5.2.1953, Archiv Berlinische Galerie, DE BG-GFM-MF 5317, 155

L1 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 161

L2 Mario-Andreas von Lüttichau und Tanja Pirsig, Otto Mueller. Werkverzeichnis mit CD-ROM, München u. a. 2003, Nr. 287

L3 Poelzig, Endell, Moll und die Breslauer Kunstakademie. 1911–1932, hrsg. von Herta Elisabeth Killy, Peter Pfankuch und Dirk Scheper, Ausst.-Kat. Akademie der Künste Berlin; Städtisches Museum Mühlheim an der Ruhr; Stadthalle Darmstadt, Berlin 1965, Nr. 107

L4 Gedächtnisausstellung Otto Mueller 1874–1930, Ausst.-Kat. Schlesisches Museum der Bildenden Künste, Breslau 1931, Nr. 36 a