Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Conrad Felixmüller (1897–1977)
Otto Dix malt, 1920

Öl auf Leinwand
120,5 x 95,5 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1966 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 9.000 DM

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Portrait Otto Dix (malend)

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unten rechts: Felixmüller

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 821
Inventar Land Berlin: 821
Weitere Nummern: 821/66

Werkverzeichnis-Nummer
Spielmann WV 206

Foto: Anders, Jörg P. / © VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Provenienz
1921 Kestner-Gesellschaft, Hannover L3 Q7 Q8
1921 bis 1923 Jsrael Ber Neumann, Berlin Q9 Q10 Q11
wohl ab 1923 Karl Nierendorf, Berlin L4
bis 1965/66 Meta Nierendorf und Florian Karsch, Galerie Nierendorf, Berlin Q15 Q16 Q17 Q18 Q19 Q20 Q22 Q23 L5 L8
1966 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben durch die Deutsche Gesellschaft für Bildende Kunst aus Mitteln der Deutschen Klassenlotterie bei der Galerie Nierendorf Q1 Q3 Q24
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Über die komplette Fläche der Leinwandrückseite schrieb Conrad Felixmüller in großen braunen Lettern: „Felixmüller / 1920. / No 206. / Otto Dix / malt“. Die vom Künstler vergebene „No 206.“ entschlüsselte er in seinem eigenhändigen Gemäldeverzeichnis, in dem er zu diesem Werk ausführte: „206. Portrait Otto Dix (malend) 95 x 120 wiesbaden, Schames, düsseldorf, berlin, hamburg, hannover [alle Orte und Namen durchgestrichen], IBN, ausgestellt Berlin 1949 ohne Angabe meines Namens – unter O. D. [Otto Dix] Bildern! In der Galerie Franz!“Q10

Hier führte Felixmüller aufmerksam Buch über Besitzerwechsel und, wie im Falle des Eintrags zu „Otto Dix malt“, verschiedene Ausstellungsstationen seiner Gemälde, die er nach Ausstellungsende wieder ausstrich. Bei den vier letztgenannten Städten handelte es sich um eine Wanderausstellung, die 1921 in der Kestner-Gesellschaft Hannover endete.L4 Organisiert wurde diese Tournee 1919 von dem Kunsthändler Jsrael Ber Neumann, den Felixmüller mit seinen Initialen im Gemäldeverzeichnis notierte. Dass er diese nicht durchstrich, legt den Verbleib in Neumanns Besitz nahe. Für die Wanderausstellung hatte Neumann, wie Felixmüller sich erinnerte, „einen Möbelwagen voll Bilder und dazu einen hohen Stapel Graphik gekauft […], wobei der Künstler durch die Inflation um den Gewinn kam“.Q11 Die von der Kestner-Gesellschaft angelegte „Liste der Herrn Neumann gehörigen Felixmüller“Q26 berücksichtigt „Otto Dix malt“ allerdings nicht. Jedoch scheint auch Paul Erich Küppers, der Gründungsdirektor der Kestner-Gesellschaft, nicht im Detail über die Besitzverhältnisse jedes einzelnen Werkes informiert gewesen zu sein, reklamierte er doch gegenüber Felixmüller im August 1921: „Ich habe aber nur Preise von 8 Bildern erhalten, die Neumann gehören“.Q8

Von Hannover aus wurde die Ausstellung nach Berlin gesandt und im Nachklang zur Wanderausstellung noch im Graphischen Kabinett Neumann gezeigt.Q9 Die genauen Umstände des Besitzerwechsels von Felixmüller an Neumann sind letztlich ungeklärt, dürften jedoch im Sinne des Künstlers gewesen sein, da er andernfalls seiner Verärgerung – wie im Falle der falschen Zuschreibung in der Ausstellung der Galerie Franz 1949 und seiner Verluste durch die Inflation – gewiss Ausdruck verliehen hätte.Q10 Q11 Wie Florian Karsch bestätigte (freundliche Mitteilung vom 17.8.2011), befand sich das Gemälde in den folgenden Jahrzehnten durchgängig in Familienbesitz Karsch/Nierendorf. Es ist davon auszugehen, dass es zu jenen Felixmüller-Werken gehörte, die Karl Nierendorf bei der Übernahme des Graphischen Kabinetts, als Neumann 1923 in die USA übersiedelte, im Lagerbestand vorfand.Q11

Schon 1950 bot die Familie Karsch/Nierendorf „Otto Dix malt“ der unter der Ägide Ludwig Justis in Ost-Berlin verbliebenen Galerie des 20. Jahrhunderts zum Kauf an. Justi sah jedoch von einem Erwerb ab.Q5 Felixmüller selbst war zu jener Zeit noch im Ostteil der Stadt ansässig, ehe er 1967 nach West-Berlin übersiedelte. Als 1965 eine große Felixmüller-Ausstellung in der West-Berliner Galerie Nierendorf ausgerichtet wurde, die auch „Otto Dix malt“ präsentierte,L5 L6 L7 mussten die Leihgaben des Künstlers über die innerstädtische Grenze transportiert werden. Eine ausführliche Überlieferung in Form von Fracht- und Zollpapieren sowie Warenbegleitscheinen und Korrespondenzen zeugt von diesem bürokratischen Akt.Q12 Q13 Q15 Q16 Q17 Q18 Q19 Anlässlich der Ausstellungsvorbereitungen berichtete Karsch dem Künstler über die galerieeigenen Werkbeiträge zur Schau: „Wie Sie wissen, besitzen wir selbst einige frühe Gemälde […], die ich hin und wieder bei Gelegenheit erwarb.“Q18

Im Kontext jener Ausstellung 1965 bekundete nun die West-Berliner Galerie des 20. Jahrhunderts ihr Interesse an dem Gemälde, wie Karsch Titus Felixmüller, dem Sohn des Künstlers, mitteilte.Q16 Die Ankaufspläne konkretisierten sich bis zum Jahreswechsel 1965/66, sodass es für die anschließende Wanderausstellung, die ihre erste Station in der Münchner Villa Stuck nehmen sollte, nicht mehr zur Verfügung gestellt werden konnte:Q15 „Das aus unserem Besitz an die Galerie des 20. Jahrhunderts verkaufte Bild ‚Otto Dix malt‘ kann leider aus besonderen Gründen nicht mitwandern, da eine Ausleihung bevor die Ankaufsmittel endgültig zur Verfügung gestellt worden sind […] u. U. den ganzen Ankauf gefährden würde.“Q19 Während das Preisverzeichnis der Galerie Nierendorf als Verkaufspreis 15.000 Mark ansetze,Q17 gelang Jannasch schließlich im Januar 1966 die Finanzierung des Ankaufs aus Mitteln der Deutschen Klassenlotterie durch Vermittlung von Karol Kubicki, einem Mitglied des Neuen Berliner Kunstvereins, zu einem reduzierten Preis von 9.000 DM (freundliche Mitteilung von Florian Karsch, 17.8.2011).Q1 Q3 Q24

Recherche: HS | Text: HS

Leinwandrückseite Mitte: Felixmüller / 1920. / No 206. / Otto Dix / malt
Außenrahmen oben rechts: Ausstellungsaufkleber Los Angeles County Museum 1988
Keilrahmen oben links, Etikett: 184 / Ausgabe nur gegen diesen Schein / Bei Verlust kein Ersatz
Keilrahmen oben Mitte links, schwarz und blau: C. 21 7.
Keilrahmen oben Mitte rechts: Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts
Keilrahmen oben rechts, Etikett mit Nummer: 73 [und unleserlicher Zollstempel]
Keilrahmen oben rechts, Aufkleber, teilweise abgerissen: Kunstschau / der Hansawerkstätten / Hamburg / Nr. 2002
Keilrahmen oben rechts, Aufkleber der Kestner-Gesellschaft, Hannover: Nr. 3107
Keilrahmen links Mitte: Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts
Keilrahmen links unten, Kreide, blau: B.57.

Rückseite Aufkleber Kestner-Gesellschaft
Foto: Kilger, Andres
Rückseite Signatur
Foto: Kilger, Andres

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 26.1.1966

Q2 Liste der Kunstwerke, die am 6.6.1968 aus dem Depot der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz übergeben wurden, o. D., Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Bl. 1 (Depot C)

Q3 Lieferschein Galerie Nierendorf, 24.1.1966, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II B/Galerie des 20. Jahrhunderts – Land Berlin 5, Bl. 118

Q4 Brief Florian Karsch an Adolf Jannasch, 26.1.1966, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II B/Galerie des 20. Jahrhunderts – Land Berlin 5, Bl. 119

Q5 Protokoll der Ankaufskommission (Ost), 11.5.1950, Landesarchiv Berlin, C Rep. 120-1388, Bl. 110

Q6 Empfangsbestätigung Werner Haftmann an die Deutsche Gesellschaft für Bildende Kunst, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-98 (Akten Deutsche Gesellschaft für Bildende Kunst)

Q7 Ausstellungsliste Conrad Felixmüller, 1921, Kestner-Gesellschaft Hannover, Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover, Dep. 100, Nr. 16

Q8 Brief Paul Erich Küppers an Conrad Felixmüller, 20.8.1921, Kestner-Gesellschaft Hannover, Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover, Dep. 100, Nr. 16

Q9 Postkarte Conrad Felixmüller an Paul Erich Küppers, 31.6.1921, Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover, Dep. 100, Nr. 15

Q10 eigenhändiges Verzeichnis der Gemälde 1–300, 1913–1922, Nr. 206, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Felixmüller, Conrad, I,B-17

Q11 Conrad Felixmüller, 50 Jahre Galerie Nierendorf, 9.7.1970, Manuskript, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Felixmüller, Conrad, I,B-378 c

Q12 Kunstblätter der Galerie Nierendorf, Nr. 8, September 1965, Nr. 11 [mit Annotationen Felixmüllers], Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Felixmüller, Conrad, I,B-431

Q13 Warenbegleitscheine für die Ausstellung bei Nierendorf 1965, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Felixmüller, Conrad, I,B-378a

Q14 Leihgabenlisten Titus und Conrad Felixmüller, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Felixmüller, Conrad, I,B-378b

Q15 Brief Florian Karsch an Titus Felixmüller, 22.12.1965, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Felixmüller, Conrad, I,B-378b

Q16 Brief Florian Karsch an Titus Felixmüller, 25.11.1965, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Felixmüller, Conrad, I,B-378b

Q17 Preisverzeichnis Galerie Nierendorf, 1965, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Felixmüller, Conrad, I,B-378b

Q18 Brief Florian Karsch an Conrad Felixmüller, [1965], Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Felixmüller, Conrad, I,B-378b

Q19 Brief Florian Karsch an Titus Felixmüller, 4.4.1966, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Felixmüller, Conrad, I,B-378b

Q20 Liste der Erwerbungen der Deutschen Gesellschaft für Bildende Kunst für öffentliche Kunstinstitutionen des Landes Berlin, o. D., Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-79

Q21 Jahresbericht 1965/66 der Deutschen Gesellschaft für Bildende Kunst, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-79

Q22 Brief Florian Karsch an Eberhard Roters, 9.11.1966, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-79

Q23 Leihliste Ausstellung „Berlin. Ort der Freiheit für die Kunst“, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II/VA 6828

Q24 Lieferschein Galerie Meta Nierendorf, 6.4.1960, Ausstellungsakte „Berlin. Ort der Freiheit für die Kunst“, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II/VA 6829

Q25 Brief Karl Nierendorf an Josef Nierendorf, 18.2.1937, Transkription, Archiv Berlinische Galerie, DE BG 3G-Ar 6/2006

Q26 „Liste der Herrn Neumann gehörigen Felixmüller-Bilder“ zur Ausstellung in der Kestner-Gesellschaft Hannover 1921, Hauptstaatsarchiv Hannover, Dep. 100, Nr. 16

L1 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 61

L2 Heinz Spielmann, Conrad Felixmüller. Monographie und Werkverzeichnis der Gemälde, Köln 1996, Nr. 206

L3 Aquarelle moderner Künstler. Gemälde von Felixmüller, 44. Ausstellung der Kestner-Gesellschaft Hannover, Ausst.-Kat. Kestner-Gesellschaft Hannover 1921, Nr. 195

L4 Anja Walter-Ris, Kunstleidenschaft im Dienst der Moderne. Die Geschichte der Galerie Nierendorf. Berlin/New York 1920–1995, Zürich 2003, S. 170, Anm. 3

L5 Kunstblätter der Galerie Nierendorf, Nr. 8, September 1965, Nr. 11

L6 L. M., Das frühe Werk Conrad Felixmüllers, in: Weltkunst, Jg. 35, Nr. 19, Oktober 1965, S. 806

L7 Ein später Expressionist in der Galerie Nierendorf, in: Stuttgarter Zeitung, Nr. 234

L8 Berlin. Ort der Freiheit für die Kunst, Ausst.-Kat. Nationalgalerie Berlin, Hochschule für Bildende Künste Berlin, Berlin 1960, Nr. 73