Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


zurück

Max Beckmann (1884–1950)
Unterhaltung, 1908

Öl auf Leinwand
177 x 168,5 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1963 erworben durch das Land Berlin

Weitere Werkdaten

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
oben rechts: HBSL08 [Herr Beckmann seiner Liebsten]

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 598
Weitere Nummern: 47/598

Werkverzeichnis-Nummer
Göpel WV 88; Reifenberg WV 69

Foto: Anders, Jörg P. / © VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Provenienz
1908 bis maximal 1913 im Besitz des Künstlers, Berlin
bis 26.5.1913 Galerie Paul Cassirer, Berlin L7 Q7
ab 26.5.1913 A. Wohlenberg, erworben von Paul Cassirer Q7
vor 1924 L3 zurück an Paul Cassirer, dort bis mindestens 1930 Q8
wohl zurück an Max Beckmann, Berlin L7
bis um 1952 Minna Beckmann-Tube, Gauting/Peter Beckmann L7 L4
um 1951 Günther Franke, München, in Kommission Q6
1952 bis 1963 Günther Franke, München L7 L4
1963 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben aus Mitteln der Deutschen Klassenlotterie bei Günther Franke Q1 Q5
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Das Familienporträt „Unterhaltung“ entstand 1908 im stillen Hermsdorf bei Berlin, wo Max Beckmann und seine Frau Minna Beckmann-Tube (dargestellt in der Mitte des Bildes) seit 1906 in einem von Minna entworfenen Atelier- und Wohnhaus in der Ringstraße 17 lebten. Beckmann gab das Gemälde an den Berliner Verleger und Kunsthändler Paul Cassirer, der es im Mai 1913 an A. Wohlenberg verkaufte, einen Kunden, der nur bei dieser einen Transaktion in der Galerie aktenkundig wurde (freundliche Auskunft von Petra Cordioli, Galerie Feilchenfeldt, Zürich, 13.9.2011).Q7 Beckmann und Cassirer kannten sich seit 1909, als der angesehene Verleger den noch jungen Künstler erstmals kontaktiert hatte, und hielten ihre Geschäftsbeziehung auch in der Zeit des Ersten Weltkriegs aufrecht (vgl. Ein Fest der Künste. Paul Cassirer. Der Kunsthändler als Verleger, hrsg. von Rahel E. Feilchenfeldt und Thomas Raff, Ausst.-Kat. Max Liebermann Haus Berlin, München 2006). Womöglich hatte Cassirer „Unterhaltung“ erstmals auf der Ausstellung im Münchner Glaspalast, dem großen Kunstereignis des Sommers 1909, gesehen.L10 In einer Publikation von Curt Glaser aus dem Jahr 1924 wird erneut Paul Cassirer in der Unterzeile der Abbildung zu „Unterhaltung“ genannt L3 – ein Indiz dafür, dass der Kunsthändler das Werk aus dem Besitz Wohlenbergs wieder zurückgenommen hatte. Da das Bild daraufhin bis mindestens 1930 bei Cassirer war, wie Ausstellungsakten aus der Kunsthalle Basel belegen,Q8 Q9 handelte es sich hierbei wahrscheinlich eher um einen Rückkauf als um eine Übernahme in Kommission.

Dass „Unterhaltung“ schließlich wieder in beckmannschen Besitz gelangte, geht aus den Handlisten des Künstlers hervor, dem von ihm selbst geführten Verzeichnis seiner Werke und ihres Verbleibs.L7 Als Günther Franke 1952 eine Ausstellung von Beckmanns frühen Werken in seiner Münchner Galerie veranstaltete, stammten zahlreiche dieser Bilder „aus Familienbesitz“ – so auch „Unterhaltung“.L4 Minna Beckmann-Tube hatte es von Max Beckmann übernommen; ihr gemeinsamer Sohn und späterer Erbe Dr. Peter Beckmann kümmerte sich mit um die bei seiner Mutter verwahrte Kunst. Als Minna und Peter Beckmann um 1949 anfingen, einige Bilder der Berliner Zeit aus dem Nachlass zu verkaufen, nahm Franke „Unterhaltung“ erst in Kommission und erwarb es offenbar wenig später selbst.

Günther Franke, der seit 1923 J. B. Neumanns Graphisches Kabinett in München geleitet und die Galerie mit dem neuen Namen „Graphisches Kabinett Günther Franke KG“ 1935 übernommen hatte, war ein großer Verehrer von Beckmanns Kunst. 1921 hatte er den Künstler kennengelernt, der ihn, nach überwundener anfänglicher Skepsis, zu einem lebenslangen Vertrauten und Handelspartner machte. Ab 1927, als Neumanns Münchner Kunsthandlung in größere Räumlichkeiten umzog, widmete sich Franke im Auftrag Neumanns in New York mit Nachdruck der Vermarktung Beckmanns, zeitweise auch in Kooperation mit Alfred Flechtheim (vgl. Felix Billeter, Max Beckmann und Günther Franke, Ausst.-Kat. Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Staatsgalerie moderner Kunst, München 2000). Allein in den Jahren 1927 bis 1931 richtete Franke, allein oder mit Partnern, mindestens sieben Beckmann-Ausstellungen aus. Er hielt auch über die Jahre der NS-Zeit Kontakt mit Beckmann, besuchte ihn 1939 und 1941 im Amsterdamer Exil, erwarb seine Werke aus verschiedenen Quellen und brachte sie versteckt über die Kriegsjahre. 1946 veranstaltete Franke die erste Beckmann-Retrospektive nach Kriegsende in Deutschland, die 45.000 Besucher anzog; es folgten zahlreiche weitere Beckmann-Ausstellungen. Viele Werke gingen in seinen Privatbesitz über: 1960 besaß Franke 32 Bilder und 200 graphische Arbeiten von Beckmann, „die größte Beckmann-Sammlung Europas“ (Weltkunst, Jg. 30, Nr. 18, 1.10.1960, S. 12).

1963 gelang Adolf Jannasch durch Einsatz von Lottomitteln der Ankauf von Beckmanns Familienporträt „Unterhaltung“ in Frankes Kunsthandlung, wodurch er den Beckmann-Schwerpunkt der Galerie des 20. Jahrhunderts um ein weiteres Werk verstärkte.

Recherche: CT | Text: CT

unbezeichnet

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 20.6.1963

Q2 Protokoll der Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen aus den Verwaltungs- und Ausstellungsräumen der Galerie], 5.6.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, S. 1

Q3 Liste Stiftungen der Deutschen Klassenlotterie, o. D., Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Ordner B: Vereinigte Kunstsammlungen

Q4 Ankaufsgutachten, Speditionspapiere etc., 1963, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0700-09-000

Q5 Brief Klaus Gallwitz an Adolf Jannasch, 3.7.1963, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 03-0301-02-016.12

Q6 Leihverkehr, Ausstellung „Beckmann“, Berlin 1951, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-2166 [Leihgeber von „Unterhaltung: Günther Franke, München]

Q7 Archiv der Galerie Cassirer, Walter Feilchenfeldt, Zürich, freundliche Auskunft von Petra Cordioli, Galerie Feilchenfeldt, Zürich, 25.8.2011 und 13.9.2011

Q8 Aufstellung der für die Ausstellung in Basel in Aussicht genommenen Beckmann-Gemälde u. Zeichnungen, 26.5.1930, zusammengestellt durch das Graphische Kabinett, München, Akten der Ausstellung „Max Beckmann“, Kunsthalle Basel, 1930, Staatsarchiv Basel, PA 888 N6 (1) 269 [„Unterhaltung, 1908. Paul Cassirer, Berlin, zugesagt an Günther Franke, Sammeltransport Berlin, Beschaffung durch uns“]

Q9 Verzeichnis der Werke für Neue Kunst Fides, Dresden, 3.10.1930, Akten der Ausstellung „Max Beckmann“, Kunsthalle Basel, 1930, Staatsarchiv Basel, PA 888 N6 (1) 269 [„Aus Kiste D. R. 57 (Berlin), Nr. 4 Unterhaltung“, ohne Besitzerangabe]

Q10 Foto des Ausstellungsraums der Kunsthalle Basel 1930 mit Werk an der Wand, abgedruckt in: J. B. Neumann und Günther Franke (Hrsg.), Max Beckmann (The Art Lover’s Library, 5), New York und München 1931, S. 20

L1 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 23

L2 Max Beckmann, Ausst.-Kat. Kunsthalle Basel 1930, Nr. 4 (ohne Besitzerangabe)

L3 Curt Glaser u. a., Max Beckmann, München 1924, S. 75 („Paul Cassirer, Berlin“)

L4 Max Beckmann. Werke der Frühzeit, Ausst.-Kat. Galerie Günther Franke München 1952, Nr. 6

L5 Max Beckmann, Ausst.-Kat. Kunsthalle Basel 1930, Nr. 4 (ohne Besitzerangabe, als verkäuflich markiert)

L6 Hans Kaiser, Künstler unserer Zeit: Max Beckmann, Berlin 1913, Nr. 65 (ohne Besitzerangabe; vermutlich noch im Besitz des Künstlers, da Besitzer bei anderen Werken stets genannt werden)

L7 Barbara und Erhard Göpel, Max Beckmann. Katalog der Gemälde (Schriften der Max Beckmann Gesellschaft, 3), 2 Bde., Bern 1976, Nr. 88

L8 Doris Schmidt (Hrsg.), Max Beckmann. Frühe Tagebücher, München 1985, S. 111 (darin: Bilderliste der Ausstellung 1913 bei Cassirer in Berlin und der 26. Secessionsausstellung in Berlin)

L9 Max Beckmann zum Gedächtnis. 1884–1950, Ausst.-Kat. Haus der Kunst München 1951 (2. Station Schloss Charlottenburg Berlin), Nr. 8 (keine Besitzerangabe)

L10 Offizieller Katalog der X. Internationalen Kunstausstellung im kgl. Glaspalast zu München 1909, Ausst.-Kat. München 1909, Nr. 10