Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Pablo Picasso (1881–1973)
Tête de femme, 1909

Öl auf Leinwand
25 x 22 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1949 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 7.000 DM

Weitere Werkdaten

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
oben rechts: Picasso

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 25
Inventar Land Berlin: 25
Weitere Nummern: 5/27

Werkverzeichnis-Nummer
Daix/Rosselet WV 252

Foto: Anders, Jörg P. / © Succession Picasso / VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Provenienz
bis mindestens 1932 Sammlung Oskar und Marg Moll Q11 L1 L2 L3 L4 L5
spätestens März 1936 Galerie Thannhauser, Berlin Q15
1936 bis 1949 Theodor und Anneliese (Woty) Werner, erworben bei der Galerie Thannhauser Q15 Q1
1949 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben von Theodor und Woty Werner Q1 Q6 Q8
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Pablo Picassos kleines Ölbild „Tête de femme“ – dessen Erwerb im ersten Jahr des Bestehens der in West-Berlin neu gegründeten Galerie des 20. Jahrhunderts Adolf Jannasch mit gewissem Stolz erfüllte – weist in seiner Provenienz gleich zwei bekannte Künstler-Sammler-Ehepaare als Vorbesitzer auf: Oskar und Marg Moll sowie Theodor und Anneliese Werner. Beide unterhielten enge Verbindungen zur französischen Kunstszene und Picasso.

Der Maler Oskar Moll (1875–1947), seit 1906 verheiratet mit der Bildhauerin Margarete Haeffner (fortan Marg Moll), lebte zwischen 1907 und 1914 teils in Berlin, wo er 1913 die Freie Secession mitbegründete, teils in Paris, wo er an der Académie Matisse lernte. 1918 bis 1932 arbeitete er an der Akademie in Breslau, die er zuletzt leitete, und wechselte 1933 an die Düsseldorfer Kunstakademie, wo die NS-Politik zu seiner raschen Entlassung führte. 1946 kehrte er nach Berlin zurück. Oskar und Marg Moll sammelten Kunst, in den Pariser Jahren von 1907 bis 1914 besonders Werke von Henri Matisse und Picasso. Marg Moll notierte zu ihrer ersten Begegnung mit Picasso 1907: „Gertrud Stein: Sie lebte [1907] mit ihrem Bruder Leo Stein zusammen. Seit einem Jahr sammelten sie nur noch Picasso. Wir lernten ihn kennen. Er war mit seiner sehr bürgerlich aussehenden Frau da: Die ‚schöne‘ Fernande Olivier.“Q13 Picassos kleines kubistisches Frauenporträt entstand zwei Jahre nach diesem ersten Treffen und wurde wahrscheinlich in den 1910er-Jahren von den Molls erworben. Brigitte Würtz, die Tochter von Oskar und Marg Moll, erinnert sich daran, dass das Bild in ihrer deutschen Wohnung zum Inventar gehörte: „Der Frauenkopf von Picasso hing bei uns in Breslau an der Wand. Ich vermute, dass ihn meine Eltern in Paris wahrscheinlich vom Künstler selbst erworben haben. Sie sind ja erst von Berlin und nach dem Krieg von Breslau aus immer wieder nach Paris gereist und brachten jedes Mal Neuerwerbungen mit“ (freundliche Auskunft vom 1.2.2011).

Die Sammlung Moll fluktuierte rasch, neue Werke wurden in den Ateliers befreundeter Künstler erworben, oft wurde getauscht.Q16 Q19 In den Breslauer Jahren schmückten ausschließlich Werke anderer Künstler die Wohnräume – erst nach dem Umzug nach Berlin in den 1930er-Jahren begann Moll, von ihm selbst geschaffene Bilder aufzuhängen. Besucher berichten von der Fülle in Breslau, etwa Eduard Plietzsch: „In den Räumen des Ehepaars Moll […] sah man schon vor 1914 Bilder von Braque, Picasso, Matisse und anderen zukunftsträchtigen Meistern“ (Eduard Plietzsch, … heiter ist die Kunst. Erlebnisse mit Künstlern und Kennern, Gütersloh 1955, S. 138). Würtz bestätigt: „Die weißen Barockmöbel des Esszimmers […] harmonierten […] mit den abstrakten Gemälden von Picasso und Braque. […] neben dem Porträt meiner Mutter, das Matisse gemalt hatte, [hingen] ein Rousseau, ein Lurcat, ein Souverbie und ein Kokoschka. Aber sehr oft wurden die Bilder nach Neuerwerbungen ausgetauscht oder umgehängt. Damit ich mir die Künstler merken konnte, dichtete mein Vater aus ihren Namen ein Kinderliedchen.“Q17 Beim Umzug von der geräumigen Wohnung in Breslau nach Düsseldorf verkaufte das Ehepaar Moll zahlreiche Kunstwerke; in der Kriegszeit lagerte es seine Sammlung aus: in den UFA-Stollen im Eichsfeld, die Jagdhütte einer Schwägerin und an andere Orte.

Picassos „Tête de femme“ wird 1936 bei der Modernen Galerie Thannhauser genannt, bei der Theodor und Woty Werner das Bild erwarben. Thannhauser vermerkte zu ihrem Besuch in der Berliner Filiale am 9. März 1936 auf der Kundenkartei: „Theodor Werner, Potsdam, mit Frau / 9.3.1936 / R. / kommt auf unseren Brief v. 7.3. hin wegen der Picasso und Matisse. […] / Picasso, Maske […] / Picasso, Kubistischer Kopf 1.300.- / Picasso, Kristallschale 3500.- / Er bietet fest für Picasso Kopf 1.000.- / für Kristallschale 2.000.-, ist ihm auch als Gesamtgebot 3.000.- recht.“Q15 Oskar und Marg Moll, viele Jahre mit den Werners befreundet,Q12 waren ebenfalls Kunden bei Thannhauser, der sie als Einlieferer von Arbeiten von Henri Matisse, Pablo Picasso, Camille Pissarro und anderen verzeichnete.

Der Maler Theodor Werner (1886–1969) hatte die Malerin Anneliese Rütgers, genannt Woty (1903–1971), in Paris kennengelernt, wo er nach der Hochzeit 1931 mit ihr lebte. Zu ihren Freunden und Bekannten zählten Picasso, Joan Miró, Alberto Giacometti und viele andere Künstler. 1935 zwang ihre finanzielle Lage die Werners zur Rückkehr ins NS-Deutschland, wo Theodor 1937 Mal- und Ausstellungsverbot erhielt. Das Ehepaar erwarb zahlreiche hochqualitative Werke aus dem Verkaufsbestand „entarteter Kunst“ sowie aus dem Besitz des Vereins Freunde der National-Galerie Berlin, der die Werke aus seinem Eigentum zum Schutz vor Beschlagnahme veräußerte (vgl. Roman Norbert Ketterer, Dialoge. Bildende Kunst – Kunsthandel, Stuttgart und Zürich 1988, S. 151). So trugen die Werners eine beachtliche Sammlung zusammen, in der sich auch mindestens sechs Werke von Picasso befanden.Q18 Der Kunsthändler Karl Buchholz berichtete: „Ich war in der Kriegszeit oft bei Werners draußen, eine zeitlang fast jeden Sonntagnachmittag, um mit den beiden zusammen zu sein und einige Stunden in seiner Sammlung zu leben unter den Picassos, Klee und Braque und um seine Entwicklung zu verfolgen“ (Brief an Karl Valentin, 1.12.1947, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, IV/NL Buchholz 21). Ein Teil der wernerschen Sammlung ging durch Bombenangriffe verloren, doch auch nach dem Krieg konnte Jannasch noch in sein Sammler-Büchlein notieren: „Werner, Theodor: 4 Gris, 5 Klee, 3 Picasso (2 Öl, 1 Gouache), Braque Pferdebronze v. Gogh“.Q20 Er erwarb den „Frauenkopf“ für die Galerie des 20. Jahrhunderts direkt bei den Sammlern.

Recherche: CT | Text: CT

Außenrahmen oben links, teils abgerissen: Aufkleber Ausstellung München 1955
Außenrahmen Mitte links, Aufkleber: Richard Grundmann / Gemälderahmen / Berlin W 35 / Dennewitzstraße 35
auf spanhölzernem Rückseitenschutz, oben links, Bleistift: G. K. 2211-1 [?]
auf spanhölzernem Rückseitenschutz, oben Mitte, Aufkleber mit Nummer, handschriftlich, blau: 147; sowie runder Zollstempel: Hauptzollamt Potsdam [mit Reichsadler und Hakenkreuz; angebracht zwischen September 1935 und Mai 1945]
oben links, Aufkleber mit Nummer: B. A. 00748; darauf großer runder Stempel [unleserlich]; kleiner runder Stempel: Zoll; sowie kleiner runder Stempel: München-Land[…] [unleserlich]
Mitte, handschriftlich, blau, eingekreist: 10.
unten links, größerer Rundstempel: Hauptzollamt Berlin [nach 1950]
unten rechts, Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts mit Inv.-Nr.: 5/27
diverse Spuren verlorener Aufkleber

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 8.7.1949

Q2 Protokoll der Sitzung der Ankaufskommission für Kunstwerke des Magistrats von Gross-Berlin am 8.7.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446

Q3 Protokoll der Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen aus den Verwaltungs- und Ausstellungsräumen der Galerie], 5.6.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, S. 3

Q4 Liste Platten – Kasten III, Galerie M–R, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Ordner B: Vereinigte Kunstsammlungen

Q5 Liste Platten – Kasten I, Galerie A–K, 25.7.1957, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 02-0204-02-040.1 bis -040.3, Nr. 62

Q6 Ankaufsbestätigung Adolf Jannasch an Theodor Werner, 9.7.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1445

Q7 Protokoll der Ankaufskommission, 9.7.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446

Q8 Zahlungsanweisung (Rate) an Anneliese Woty Werner, 12.9.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446

Q9 Zahlungsanweisung (Dringlichkeitsliste) an Theodor Werner, 8.7.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446

Q10 Nachweisaufstellung der Zahlungsempfänger 1949 bis 1951, 27.4.1951, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446

Q11 freundliche Auskünfte von Brigitte Würtz, Januar/Februar 2011

Q12 Manuskript der Autobiografie von Marg Moll, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Moll, Marg, I,B-1a

Q13 Notizen zum Manuskript der Autobiografie von Marg Moll, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Moll, Marg, I,B-6a

Q14 Erinnerungen Heinrich Lauterbach, 9.9.1951, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Moll, Oskar, II,B-1

Q15 Karteikarte Werner, Kundenkartei Berlin, W, 1927–1937, Signatur A077_XIX_0073 006, NL Galerie Thannhauser, Zentralarchiv des internationalen Kunsthandels, Köln

Q16 Peter Kropmanns, Matisse und die Molls, seine bedeutendsten deutschen Sammler, in: Oskar Moll. Gemälde und Aquarelle, Ausst.-Kat. Landesmuseum Mainz; Muzeum Narodowe Breslau; Von der Heydt-Museum Wuppertal, Köln 1997, S. 76–92

Q17 Oskar Moll. Gemälde und Aquarelle, Ausst.-Kat. Landesmuseum Mainz; Muzeum Narodowe Breslau; Von der Heydt-Museum Wuppertal, Köln 1997, S. 14

Q18 Liane Burkhardt und Thomas Kumlehn, Die Sammlung des Künstlerpaares Woty und Theodor Werner, in: 100 Jahre ‚Kunst ohne König‘. Privates und öffentliches Sammeln in Potsdam, Ausst.-Kat. Potsdamer Kunstverein und Potsdam-Museum, Berlin 2009

Q19 Brigitte Würtz, Elard und ich. Erinnerungen und Fragmente, München 2002

Q20 Sammler-Notizbuch Adolf Jannasch, Privatbesitz

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1953, Nr. 61

L2 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1958, Nr. 148

L3 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1960, Nr. 161

L4 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 188

L5 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 169

L6 Pierre Daix und Joan Rosselet, Picasso. The Cubist Years, 1907–1916. A Catalogue Raisonné of the Paintings & Related Works, Neuchâtel und Boston 1979, Nr. 252 (ohne Provenienzangabe)

L7 Fiorella Minervino und Franco Russolini, L’opera completa di Picasso cubista, Mailand 1972, Nr. 237 (ohne Provenienzangabe)

L8 Online Picasso Project, https://picasso.shsu.edu, Nr. OPP.09:169, letzter Zugang 15.2.2016