Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Alexander Archipenko (1887–1964)
Flacher Torso, 1914

Bronze

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1965 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 14.000 DM

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Weiblicher Torso

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
am Bronzesockel Mitte: Archipenko 1914

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 789

Werkverzeichnis-Nummer
Barth WV 59

Foto: Kilger, Andres / © VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Provenienz
Ende der 1950er-Jahre gegossen L2
wohl um 1960 bis 1965 Rudolf Bornschein, Saarbrücken Q6
1965 Galerie Grosshennig, Düsseldorf, erworben von Rudolf Bornschein Q5 L3
1965 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben bei der Galerie Grosshennig Q1
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Alexander Archipenkos Skulptur „Flacher Torso“ von 1914 existiert in vier Versionen aus Gips, die jeweils wiederum als Vorlagen für Fassungen in unterschiedlichen Materialien dienten. Hinzu kommen 24 nummerierte Bronzegüsse in verschiedenen Ausführungen innerhalb der Edition (braun patiniert, versilbert, vernickelt). Die Urfassung aus Gips aus dem Jahr 1912 befindet sich im Saarlandmuseum, Saarbrücken. Ihre bronzefarbene Tönung belegt die Absicht späteren Metallgusses. Bei dem für die Galerie des 20. Jahrhunderts erworbenen Bronzeguss handelt es sich um das Exemplar 22 der Auflage von 24 Bronzegüssen aus den 1950er-Jahren, die in verschiedenen Gießereien ausgeführt wurden.L2 L4 Weitere Bronze-Exemplare der Skulptur befinden sich beispielsweise in Museen in Duisburg, Philadelphia, Strasbourg und Tel Aviv.

1914 hatte Archipenko Paris verlassen und die Kriegsjahre in Südfrankreich verbracht, wo er 1918, zu Beginn einer Phase des Umherreisens, einige Kunstwerke bei dem befreundeten Ehepaar Verdier zurückließ, die erst 1960 aus deren Besitz an das Saarlandmuseum gingen. Als Archipenko 1923 von Berlin nach New York zog, ließ er wiederum Kunst (zumeist Gipse) zurück, diesmal bei dem befreundeten Bildhauer Carlo Pott in Berlin. Diese Arbeiten wurden erst 1957 – in schlechtem Zustand – durch den Kunsthistoriker Erich Wiese an Archipenko zurückgegeben. Daraufhin begann der Künstler, die nun wieder zugänglichen Skulpturen in Bronze gießen zu lassen, wobei er teilweise Änderungen vornahm und festgelegte Auflagen überschritt. Da er in frühen Jahren aus Geldmangel oft nur in Gips hatte gießen können, entstanden zahlreiche Werke (darunter dieses) in den 1950er-Jahren erstmalig in der Metallvariante. Dabei behielt Archipenko das Datum der Erstkonzeption bei, das heißt, er datierte die neu entstehenden Skulpturen nicht auf das Gussjahr. Einige Werke, die in Frankreich verlorenen gegangen waren, replizierte er in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg (mit einigen Modifikationen) aus dem Gedächtnis und nach Fotos. Hierbei nahm er Rückdatierungen vor. Carlo Pott hatte zahlreiche Kopien in Marmor von Archipenkos Skulpturen angefertigt, während er diese verwahrte. Manche von ihnen gerieten als Werke aus Archipenkos Hand in den Handel. In den 1960er- und 1970er-Jahren gaben Archipenkos Erben zudem zahlreiche posthume Güsse in Auftrag.

In der Ankaufskorrespondenz mit Adolf Jannasch 1965 pries der Düsseldorfer Galerist Wilhelm Grosshennig die Archipenko-Skulptur als „eine klassische Arbeit dieses Künstlers, die aus dem Besitz eines Kunsthistorikers kommt“.Q5 Die Quellen zeigen, dass es sich hierbei um den promovierten Kunsthistoriker Rudolf Bornschein (1912–1988) handelt, Direktor des Saarlandmuseums in Saarbrücken. Während seiner Amtszeit von 1951 bis 1978 baute Bornschein die Sammlung moderner Kunst am Saarlandmuseum maßgeblich auf. 1960 richtete er dem Bildhauer Alexander Archipenko eine bedeutende Retrospektive aus. Die freundschaftliche Verbundenheit, die sich daraufhin zwischen Archipenko und Bornschein entwickelte, bewegte den seinerzeit 73-jährigen Künstler dazu, das Saarlandmuseum als Erbe seines Nachlasses einzusetzen, wodurch das Saarbrücker Haus in den Besitz einer singulären Sammlung an Originalgipsen, Bronzen und Zeichnungen von Archipenko kam. Es ist anzunehmen, dass Bornschein die Skulptur „Flacher Torso“ in diesem Zusammenhang um 1960 direkt vom Künstler erwarb oder geschenkt bekam. Er verkaufte sie im Jahr nach Archipenkos Tod über Grosshennig.

Recherche: CT | Text: CT

am Bronzesockel Mitte: 22

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 24.11.1965

Q2 Protokoll der Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen aus den Verwaltungs- und Ausstellungsräumen der Galerie], 5.6.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, S. 4

Q3 Protokoll der Ankaufskommission, 25.11.1965, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II/VA 6754, Bl. 352

Q4 Kopie der Rechnung Grosshennig Düsseldorf an die Galerie des 20. Jahrhunderts, 25.11.1965, Bildakte Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q5 Korrespondenz zwischen Wilhelm Grosshennig und Adolf Jannasch, Bildakte Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie [zu André Masson, Stillleben mit Krügen, Angebot, Frachtschein und Ankaufsbestätigung vom 25.11.1965]

Q6 Archiv der Galerie Grosshennig, Düsseldorf, freundliche Auskunft von Margret Heuser-Mantell, 8.8.2011

L1 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 342

L2 Anette Barth, Alexander Archipenkos plastisches Œuvre [Werkverzeichnis], Frankfurt am Main 1997

L3 Ausstellung deutscher und französischer Meisterwerke des 20. Jahrhunderts, Ausst.-Kat. Galerie Wilhelm Grosshennig, Düsseldorf 1965, S. 63

L4 Alexandra Keiser, Archipenko in den 20er Jahren, in: Archipenko, Ausst.-Kat. Saarlandmuseum, Saarbrücken 2008, S. 31