Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


zurück

Otto Dix (1891–1969)
Die Familie des Malers Adalbert Trillhaase, 1923

Öl auf Leinwand
119 x 95 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1953 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 2.000 DM

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Familie des Malers Adalbert Trillhaase

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unten rechts: DIX / 1923

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 87
Inventar Land Berlin: 87
Weitere Nummern: 19/22

Werkverzeichnis-Nummer
Löffler WV 1923/8

Foto: Anders, Jörg P. / © VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Provenienz
1923 Karl Nierendorf, Berlin, in Kommission vom Künstler Q9 Q11 Q12 Q13
1923 bis maximal 1931 Johannes Bredt, Münster Q9 Q12 Q13 L7
spätestens 1931 bis 1949 Karl und Josef Nierendorf Q7 Q8 L8
1949 bis 1953 Meta Nierendorf und Florian Karsch, Berlin Q1 Q5 Q6
1953 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben von Meta Nierendorf Q1 Q5 Q6
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Im April 1953 lud Florian Karsch Adolf Jannasch ein, um ein bei Meta Nierendorf befindliches Gemälde von Otto Dix zu besichtigen.Q6 Auf Karschs Brief notierte Jannasch nach dem Besuch: „Familie / Trillhaase 1923 / 2.000.- gut!“Q6 Jannasch präsentierte das Gemälde daraufhin der Ankaufskommission, die im Sitzungsprotokoll festhielt: „Gegen das Dix-Bild haben sowohl [die Kommissionsmitglieder] Prof. Redslob als auch Frau Dr. Kühnel-Kunze einen persönlichen Widerwillen, wenn auch allgemein die Anschaffung eines so wesentlichen Werkes von Dix aus seiner stärksten Epoche als notwendig für die Komplettierung der Galerie angesehen wird.“Q3 Jannasch bekundete gegenüber Meta Nierendorf den Kaufwunsch und erwarb das Bild im Juli 1953 zum angebotenen Preis.Q1 Q5

Otto Dix, der mit der dargestellten Familie des Malers Adalbert Trillhaase eng befreundet war,Q10 hatte das Gemälde 1923 an die Berliner Galerie von Karl Nierendorf übergeben, mit dem der Künstler im Jahr zuvor einen Alleinvertretungsvertrag abgeschlossen hatte. Er beinhaltete die gemeinsame Festsetzung der Bilderpreise. Aus dem galerieseitigen Absatz gingen 25 bis 30 Prozent an Nierendorf, aus den Verkäufen, die Dix selbst tätigte, erhielt der Kunsthändler 10 Prozent. Den Verkauf der „Familie Trillhaase“ belegt die Abrechnung, die Nierendorf dem Künstler im Oktober 1923 zuschickte: „Wir wollen also das Trillhaase-Bild für sich abrechnen: netto 100 $ = 14.274.600.000,- dann 1/2 direkt von Bredt an Dich: 7.137.300.000,- / 1/2 an mich: 7.137.300.000,- […]. Diesen Betrag habe ich also vorgelegt, dazu kommen die Börsensteuer & Bankunkosten, die relativ gering sind, weil mein Bruder [Josef Nierendorf] den Ankauf über sein persönliches Konto geführt hat“.Q12

Bei dem von Nierendorf erwähnten Käufer „Bredt“ handelte es sich um den Druckereibesitzer und Kunstsammler Johannes Bredt (gest. 1947) aus Münster.Q9 Dieser stand mit Dix auch in direktem Briefkontakt und drängte den Künstler mehrfach, ihm das Bild doch schnellstmöglich zuzusenden. So schrieb er dem Künstler am 1. September 1923: „Aber vorher verkaufen Sie mir bitte noch schnell die Familie Trillhaase. Fein, daß das Bild fertig ist. Können Sie’s nicht mit nächster Post herschicken? […] Ich habe das Geld dafür so ziemlich zusammen gekratzt.“Q9 Dix hatte Bredt zunächst vorgeschlagen, Nierendorf aus den Preisverhandlungen auszuschließen, doch lehnte Bredt diese außervertragliche Lösung aus Loyalität gegenüber Nierendorf ab: „Entweder Sie geben Nierendorf auf und wir vereinbaren unmittelbar oder die Vereinbarung geht über Nierendorf. Von ersterem rate ich entschieden ab! Gründe: Auf die kunsthändlerische Organisation zu verzichten, wäre unklug. Also einen Händler brauchen Sie. Die meisten Händler sind unehrlich. Nierendorf aber – ich garantiere Ihnen das – ist ehrlich!“Q9 L7

1929 verlor Bredt durch die Wirtschaftskrise sein komplettes Vermögen und war zum Verkauf von großen Teilen seiner Kunstsammlung gezwungen. Erste Zahlungsschwierigkeiten zeichneten sich schon 1925 ab, wie Nierendorf Dix im Juni des Jahres mitteilte: „Unangenehm ist, daß Bredt seine Bilder verkaufen muß. Er schreibt mir, daß er sich nicht anders retten kann als durch den Verkauf seiner Sammlung.“Q13 Nierendorf hielt jedoch Bredts finanziellen Engpass für vorrübergehend und versuchte zunächst eine Interimslösung für den Sammler zu finden. Er schrieb im Juli 1925 an Dix: „Mein Vorschlag wegen Bredt war nicht der eines Rückkaufs. Das hätte ich selbstverständlich nie empfohlen. Es handelte sich vielmehr darum, die Bilder für Bredt zu beleihen, das heisst er hätte die Bilder als Sicherheit gegeben für einen Betrag von 4–5.000 Mk., so dass jedes, auch das geringste Risiko ausgeschossen wäre und Du das Geld gegen eine Verzinsung auf 3–4 Monate leihweise gegeben hättest. […] Er hat übrigens nicht nur Deine, sondern auch seine sämtlichen anderen Bilder zum Verkauf angeboten.“Q13

Auf welches Rückfinanzierungsmodell man sich letztlich einigte, ist im Detail nicht überliefert, doch befand sich die „Familie Trillhaase“ spätestens 1931 wieder im Besitz von Karl und Josef Nierendorf. In jenem Jahr veranstaltete die Galerie Nierendorf in einem zusätzlich angemieteten Keller, der von 1929 bis etwa 1934 vorwiegend als Lager genutzt wurde, die Ausstellung „Die Welt von unten“, in der die „Familie Trillhaase“ präsentiert wurde.Q7 Q8 L6 L8 L9 Der „Kunstwanderer“ rezensierte: „Das ganze körperliche und seelische Elend dieser Zeit lebt hier wieder auf in frühen Bildern von Dix, von Werner Scholz, in Graphiken von Masereel, Fuhr, Pechstein, Klee, Nolde. Der Raum mit den Bildern von Dix ist eine menschliche Schreckenskammer, das ärgste wohl das Familienbild von 1923, die drei vertrockneten spießbürgerlichen Menschen in einem unsäglich kitschigen Zimmer. Alle Wut gegen das lebensfeindliche Philistertum, alle psychische Krankheit der in dieser Zeit jungen Menschen schreit hier seine Anklage von den Wänden.“L8

Florian Karsch, der 1953 den Verkauf des Gemäldes an Jannasch initiiert hatte,Q6 bestätigte im persönlichen Gespräch 2011, dass das Gemälde von Bredt an die Galerie Nierendorf zurückgegeben worden und bis zur Veräußerung durch seine Mutter Meta Nierendorf, Witwe von Josef Nierendorf, in Familienbesitz verblieben war (freundliche Mitteilung von Florian Karsch, 17.8.2011).

Recherche: HS | Text: HS

Leinwandrückseite oben: Die Familie des Malers / A. Trillhaase / Dix 1923
Außenrahmen oben links: Aufkleber The Tate Gallery [Kat.-Nr. 48]
Außenrahmen oben links: Aufkleber der Staatlichen Museen zu Berlin
Außenrahmen oben Mitte: Aufkleber The Montréal Museum of Fine Arts
Keilrahmen oben Mitte links, Kreide, blau: Bm. 373
Keilrahmen oben Mitte, Aufkleber der Galerie Nierendorf mit Nummern: Lgb. E 1398 [und] BM 373
Keilrahmen oben rechts: Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts

Rückseite
Foto: Zentralarchiv, Staatliche Museen zu Berlin

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 27.7.1953

Q2 Protokoll der Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen aus den Verwaltungs- und Ausstellungsräumen der Galerie], 5.6.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, S. 3

Q3 Protokoll der Ankaufskommission, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1360 und B Rep. 002-11248

Q4 Liste Platten – Kasten I, Galerie A–K, 25.7.1957, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 02-0204-02-040.1 bis -040.3, Nr. 17

Q5 Ansichtsrechnung der Galerie Nierendorf an die Galerie des 20. Jahrhunderts, 31.7.1953, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1361

Q6 Brief Florian Karsch an Adolf Jannasch, 25.4.1953, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1361

Q7 Fotografie (Ausstellungsansicht) „Die Welt von unten“, Keller Magdeburger Str. 5, 1931, Archiv der Galerie Nierendorf, publiziert in: Anja Walter-Ris, Kunstleidenschaft im Dienst der Moderne. Die Geschichte der Galerie Nierendorf. Berlin/New York 1920–1995, Zürich 2003, S. 183

Q8 Transkription des Tagebuchs von Karl Nierendorf, Einträge 5.–10.9.1931, Archiv Berlinische Galerie, DE BG-3G-Ar 6/2006

Q9 Korrespondenz zwischen Johannes Bredt, Otto Dix und der Galerie Nierendorf, 1923, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Dix, Otto, I,C-94

Q10 Brief Juliane Roh an Otto Dix, 7.7.1968, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Dix, Otto, I,C-588

Q11 Postkarte Josef Nierendorf an Otto Dix, 23.7.1923, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Dix, Otto, I,C-524 c

Q12 Brief Karl Nierendorf an Otto Dix, 3.10.1923 [Abrechnung], Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Dix, Otto, I,C-524 d

Q13 Briefe Karl Nierendorf an Otto Dix, 21.6.1925 und 8.7.1925, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Dix, Otto, I,C-524 g

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1958, Nr. 29

L2 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1960, Nr. 28

L3 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 37

L4 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 56

L5 Fritz Löffler, Otto Dix. 1891–1969. Œuvre der Gemälde, Recklinghausen 1981, Nr. 1923/8

L6 Anja Walter-Ris, Kunstleidenschaft im Dienst der Moderne. Die Geschichte der Galerie Nierendorf. Berlin/New York 1920–1995, Zürich 2003, S. 183 f.

L7 Andreas Strobl, Die Blüten einer „Wunderblume deutschen Künstlertums“. Otto Dix zwischen 1919 und 1944, in: Otto Dix. Gemälde, Zeichnungen, Druckgraphik, hrsg. von Ulrike Rüdiger, Ausst.-Kat. Kunstsammlung Gera, München und Berlin 1996, S. 69–91, hier S. 74 f.

L8 Kunstausstellungen in Berlin, in: Der Kunstwanderer, Oktober 1931, S. 63 f.

L9 Paul Westheim, Rezension zur Ausstellung „Die Welt von unten“ in der Galerie Nierendorf, in: Das Kunstblatt, Jg. 15, H. 10, 1931, S. 300