Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Lyonel Feininger (1871–1956)
Stillleben mit grüner Kanne, 1907

Öl auf Pappe
30 x 24 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1960 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 1.100 DM

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Stilleben

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unbezeichnet

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 452
Inventar Land Berlin: 452
Weitere Nummern: 34/452

Foto: Anders, Jörg P. / © VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Provenienz
wohl bis mindestens 1908 im Besitz des Künstlers
wohl 1910er-Jahre bis um 1921 Rudolf und Johanna Genenncher, Berlin L2 Q3 (Rückseite)
wohl um 1921 bis um 1939 Johanna Genenncher, Berlin L2 Q3 (Rückseite)
wohl 1939 bis 1960 Harald Genenncher, Berlin Q1
1960 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben von Harald Genenncher Q1 Q5
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Lyonel Feiningers kleines Ölbild mit der grünen Kanne, am 20. Dezember 1907 gemalt, gehört in die Reihe von Stillleben, die – wie der Künstler es formulierte – als „scalagerechte Schülerarbeiten“ entstanden, als er in Paris erstmals Malunterricht nahm. Zuvor war er ausschließlich als Illustrator und Zeichner tätig gewesen. Das 1959 von Hans Hess in Kooperation mit Julia Feininger publizierte Werkverzeichnis nennt mehrere frühe Gemälde mit dem Motiv der Messingkanne (die sich bis heute im Familienbesitz Feininger befindet), nicht aber das 1960 für die Galerie des 20. Jahrhunderts erworbene Bild. Als Feininger 1908 nach Berlin-Zehlendorf zog, nahm er seine in Paris oder bis dato auf Reisen entstandenen Gemälde mit und behielt die meisten mehrere Jahre in seinem Besitz (freundliche Auskunft von Sebastian Ehlert, The Lyonel Feininger Project c/o Achim Moeller, New York, 24.7.2012). Einzelne Bilder verschenkte oder verkaufte er. Die Arbeiten, die das Atelier zu diesem frühen Zeitpunkt verließen, fehlen oft auf den Werklisten, die Feiningers Witwe Julia später erstellte.

Die Rekonstruktion der Provenienz von „Stillleben mit grüner Kanne“ hatte drei Ausgangpunkte: den Vermerk „früher Privatbesitz Berlin“L2 im Katalog der Galerie des 20. Jahrhunderts von 1963, die Nennung eines „Herrn Harald Genenncher, Berlin-Zehlendorf, Argentinische Allee 172 b“ als Verkäufer 1960;Q1 schließlich eine rückseitige Beschriftung der Malpappe (Rückseite). Letztere ist zu großen Teilen schwer entzifferbar, lässt mit etwas Mühe jedoch das Wort „Genenncher“ und eine Adresse erkennen: „Düppelstr 23 [25?]“. Intensive Recherchen in alten Telefon- und Adressbüchern ergaben, dass die Verbindung zwischen Feininger und der Familie Genenncher (oft auch fälschlich Gennencher oder Genencher) in zwei Zehlendorfer Straßen liegt. Das Schriftsteller-Ehepaar Rudolf und Johanna (auch Hanna) Genenncher (geb. Klaus) lebte seit spätestens 1913 in einer Stadtvilla in der Königstraße 35. Aus den Einträgen in den Berliner Adressbüchern schließend, starb Rudolf um 1921, Johanna um 1939.Q3 Feininger und seine Frau wiederum wohnten von 1908 bis 1919 in der Königstraße 32, waren also mindestens sieben Jahre lang fast direkte Nachbarn der Genennchers. Auch Feiningers Ateliers befanden sich ganz in der Nähe: Bis 1911 arbeitete er in der Potsdamer Straße 29 und von 1912 bis 1914 in der Düppelstraße 2, in einem Seitentrakt des Gebäudes Potsdamer Straße 29. Bei der Düppelstraße 23 (oder 25) handelt es sich vermutlich um die Adresse von Rudolf (und Johanna?) Genenncher vor ihrem Umzug in die Königstraße. Es ist also hoch wahrscheinlich, dass die Genennchers den Künstler kannten und das Kannenstillleben in den 1910er-Jahren, als sie Nachbarn waren und Feininger seine frühen Gemälde mehrfach auf Berliner Ausstellungen präsentierte (unter anderem auf der „Juryfreien Kunstschau“ 1911), bei ihm erwarben. Dass das Bild danach im Besitz der Familie blieb, legt die Namensgleichheit mit Harald Genenncher nahe, der es 1960 an die Galerie des 20. Jahrhunderts verkaufte. Auch er wohnte zu jener Zeit in Zehlendorf.

Rudolf Genenncher war Autor und Publizist mit besonderem Interesse für Kino und Film – in den 1910er-Jahren ein Thema der Avantgarde. Zu den von ihm veröffentlichten Artikeln gehören etwa: „Künstlerische und kulturelle Perspektiven des Filmdramas“ (Der Kinematograph, Nr. 316, 15.1.1913), „Der Kampf um das Wort und die Autorenfilms“ (Kinematograph Nr. 333), „Der Detektivfilm“ (Kinematograph Nr. 374), „Bittere Wahrheiten“ (Kinematograph Nr. 388, 3.6.1914).1909 veröffentlichte er „Moderne Räuber. Ein Volksstück in 2 Akten“; bekannt wurde auch seine Publikation „Die Erziehung des Publikums“ von 1915. Seine Frau Johanna, ebenfalls Autorin, wohnte bis etwa 1939 in der Villa Königstraße 35. Um 1935 verzeichnen die Adressbücher sie als „pol. Angestellte“.Q3 Es ist anzunehmen, dass Harald Genenncher der Sohn (oder ein anderer Verwandter) von Rudolf und Johanna war.

Recherche: CT | Text: CT

Rückseitenabdeckung, Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts: Inv.-Nr. 34/452
Rückseitenabdeckung, Ausstellungsaufkleber Haus der Kunst München [1973]: Kat.-Nr. 66
Rückseitenabdeckung, handschriftlich, weiß, drei Mal: K 46
Bildrückseite unten rechts, weiterer Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts mit Inv.-Nr.: 34/452
Bildrückseite oben Mitte, handschriftlich vom Künstler: Feininger Dec. 20.07
Bildrückseite oben links, handschriftlich, Bleistift, zum Teil unleserlich [nicht die Handschrift von Lyonel oder Julia Feininger]: Genenncher Düppelstr 23 [25?] / 424/425 […] -4 cm hoch [?] […] flach [?] / nach […] geborgt [?]
Rahmen oben Mitte, handschriftlich: C [durchgestrichen] K.46

Rückseite
Foto: Kilger, Andres
Rückseite
Foto: Kilger, Andres

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 25.2.1960

Q2 Liste der Kunstwerke, die am 6.6.1968 aus dem Depot der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz übergeben wurden, o. D., Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Bl. 2 (Depot K)

Q3 Berliner Adressbücher

Q4 Aufstellung der Haushaltsmittel 1959, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 10-0302-04-234

Q5 Protokoll der Ankaufskommission, 9.2.1960, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1893

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1960, Nr. 33

L2 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 42 („früher Privatbesitz Berlin“)

L3 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 60