Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Georg Muche (1895–1987)
Frauen in der Kirche, 1935

Öl auf Leinwand
74,3 x 64 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1966 erworben durch das Land Berlin
Inventarwert: 4.500 DM

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Ostermorgen

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unten rechts: Gmuche

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 878
Inventar Land Berlin: 878/44
Weitere Nummern: 878/70

Foto: © Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung, Berlin 2016
Provenienz
bis 1955 Heinrich Evert, Berlin
1955 bis 1966 Gertrud Evert, Berlin, per Erbschaft Q3
1966 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben von Gertrud Evert, Teil des Schenkungskonvoluts Sammlung Evert, Nr. 44 Q1
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Neben „Frauen in der Kirche“ besaß die Galerie des 20. Jahrhunderts noch zehn weitere Gemälde, Zeichnungen und Druckgraphiken der 1910er- bis 1930er-Jahre von Georg Muche. Bis auf das Bild „Sommer“ und ein weiteres „ohne Titel“, das sich heute im Berliner Bauhaus-Archiv befindet, stammen sie alle aus der Sammlung Heinrich Evert, die 1966 durch Vermächtnis seiner Witwe Gertrud in die Galerie gelangte.

Heinrich Evert (Hannover 1879–1955 Berlin) sammelte in den 1920er- bis 1950er-Jahren Werke deutscher Künstler der Moderne. Ausgebildet an der hannoverschen Kunstgewerbeschule und der Baugewerkschule in Buxtehude sowie den Technischen Hochschulen in Berlin und Hannover hatte er seine Laufbahn im öffentlichen Dienst 1905 als Abteilungsleiter der Hochbauabteilung beim Stadtbauamt Jena begonnen. 1910 wurde er zum Stadtbaurat in Jauer (Jawor, heute Polen) berufen, wo er von 1927 bis 1934 auch das Amt des Bürgermeisters bekleidete. In seiner Zeit dort setzte Evert sich vor allem für kulturelle und soziale Belange ein und wirkte am modernen Siedlungsbau mit. Nach Januar 1933 geriet er „als Nichtparteigenosse und Freimaurer“, wie er sich selbst bezeichnete,Q6 ins Visier der NSDAP; im Oktober 1934 legte er sein Amt in Jauer nieder und siedelte nach Berlin um. Hier war er von 1936 bis 1945 als kommunaler Berater der Wehrkreisverwaltung III tätig und wurde 1946 zum Bezirksrat und Leiter der Abteilung für Bau- und Wohnungswesen im Bezirksamt Berlin-Wilmersdorf berufen. Ab 1951 wirkte Evert als Bezirksstadtrat. Bis zu seinem Tod 1955 wohnte er in der Rudolstädter Strase 100 in Wilmersdorf.

Seine Leidenschaft für aktuelle Kunst ließ Heinrich Evert den Kontakt zu Künstlern seiner Zeit suchen. Durch die Nähe der Stadt Jauer zu Breslau hatte er eine besondere Verbindung zur Breslauer Akademie: Zahlreiche dort tätige Kunstschaffende, darunter Oskar Moll und Georg Muche, waren – oft mit mehreren Werken – in seiner Sammlung vertreten. Hinzu kamen Arbeiten von Kurt Schwitters, Otto Mueller, Alexander Camaro, Karl Schmidt-Rottluff, Werner Heldt und zahlreichen anderen, mit denen den Sammler vielfach eine oft langjährige Freundschaft verband. Die Werke für seine Sammlung erwarb Heinrich Evert zum grösten Teil direkt bei den Künstlern.

Auch Adolf Jannasch kannte Evert persönlich, wie der Eintrag in Jannaschs Sammler-Notizbuch belegt: „Evert / ‚Bauen und Wohnen‘ / Schwitters, Heldt, Moderne, Müller, Muche, Camaro“.Q5 Diese Bekanntschaft mag Everts Beschluss, der Galerie seine Sammlung anzuvertrauen, bekräftigt haben. So legte der kinderlose Baurat testamentarisch fest: „Ich setze als Erben meiner gesamten Kunstgegenstände (Gemälde, Graphiken, Plastiken, Sammelmappen, kunstgewerbliche Gegenstände und einschlägige Literatur) das Land Berlin ein. Für die Betreuung dieser Kunstwerke soll die Galerie des XX. Jahrhunderts zuständig sein.“Q7 Diesem Wunsch folgend, hinterlies seine Witwe Gertrud Evert, geborene Fangauf, mit ihrem Tod 1966 dem Land Berlin 117 Gemälde, Zeichnungen und graphische Blätter.Q3 Vereinzelte Werke scheint Heinrich Evert auch dem Stadtmuseum Berlin vermacht zu haben.

Mit Georg Muche pflegten Heinrich und Gertrud Evert lange Jahre eine persönliche Bekanntschaft. In einer Akte zu Muche aus dem Otto-Nagel-Haus in Berlin (Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, ONH 123) finden sich Kopien kleiner Kontaktabzüge, offensichtlich aus einem Fotoalbum Muches. Die Fotografien tragen die von Muche handschriftlich notierte Überschrift „In Jauer, Sammler Ebert [sic]“, und dokumentieren einen (vielleicht ersten) Besuch in Everts Familienhaus mit Garten. In der 1961 publizierten Autobiografie Muches wird Evert im Kapitel „Der größte Sammler“ beschrieben: „Mein Freund Heinrich Evert, der Bürgermeister in einer stillen schlesischen Stadt war, kaufte dann und wann ein Bild, weil er eine große Liebe zu dem geheimnisvollen Leben hatte, das sich in Bildern offenbart. Er sah in ihnen das Gleichnis einer geistigen Ordnung, und jedes Bild in seiner Sammlung war für ihn ein Zeichen der Begegnung mit einem der seltsamen Menschen, die Bilder malen“.L2 Im Berliner Bauhaus-Archiv sowie im Deutschen Kunstarchiv in Nürnberg hat sich Korrespondenz zwischen den Eheleuten Evert und Muche erhalten. Zu Kriegszeiten verfasste Muche gar ein Testament, in dem er das kinderlose Ehepaar Evert als Erben seines künstlerischen Nachlasses einsetzte (Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Muche, Georg, 6.9.1939). Gertrud Evert pflegte auch über den Tod ihres Gatten hinaus freundschaftlichen Briefwechsel mit Muche (vgl. Korrespondenz ebd., NL Muche, Georg, I,C-183), oft aus Anlass externer Leihanfragen von Muche-Werken aus der Sammlung Evert.

Es ist anzunehmen, dass Heinrich Evert das 1935 entstandene Werk noch in den 1930er-Jahren von Muche erwarb. 1947 befand sich das Gemälde jedenfalls bereits in seiner Sammlung, denn am 9. Mai 1947 erbat Muche ein Foto von „Frauen in der Kirche“ von Evert.Q4

Recherche: CT | Text: CT

Leinwand oben rechts Monogramm: M
Außenrahmen oben links: Stempel
Außenrahmen rechts Mitte, handschriftlich, blau: EVERT
Keilrahmen oben links, eingekreist, handschriftlich, Bleistift: 114 Berlin 3 Bilder
Keilrahmen und Außenrahmen an drei Stellen, Stempel: Gertrud Evert / Berlin Wilmersdorf / Rudolstädter Str. 100
Keilrahmen oben Mitte: 1935
Keilrahmen oben rechts: Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts mit Inv.-Nr. 878/70

Rückseite

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, erworben Juni 1966

Q2 Liste der Kunstwerke, die am 6.6.1968 aus dem Depot der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz übergeben wurden, o. D., Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Bl. 2 (Depot G)

Q3 Erbvertrag zwischen Gertrud Evert und dem Land Berlin, 1.8.1957, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0601-02-010.1 ff.

Q4 Brief Georg Muche an Heinrich Evert, 9.5.1947, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Muche, Georg, I,C-183

Q5 Sammler-Notizbuch Adolf Jannasch, Privatbesitz

Q6 Lebenslauf Heinrich Evert, 14.10.1945, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 02-0204-02-000

Q7 Protokoll für notarielle Beurkundungen, Amtsgericht Berlin-Charlottenburg, 1.8.1958, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0601-02-000

L1 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 151

L2 Georg Muche, Blickpunkt. Sturm Dada Bauhaus Gegenwart, München 1961, S. 223 f.