Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Maurice Utrillo (1883–1955)
Le Parc St. Maur (L'avenue Médici), 1915

Öl auf Holz
50,5 x 66,5 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1960 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 75.000 DM

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Le parc de Saint-Maur; Le parc St. Maur (Arenne de Medici)

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unten rechts: Maurice. Utrillo. V.

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 456
Inventar Land Berlin: 456
Weitere Nummern: 34/456; 34/28

Foto: © VG Bild-Kunst, Bonn 2016; © HB 2016
Provenienz
Privatbesitz Schweiz Q7 Q8
1960 Kunstkabinett Asta von Friedrichs, Berlin Q1 Q6
1960 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben beim Kunstkabinett Asta von Friedrichs Q1 Q6
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Maurice Utrillo, Autodidakt in der Malerei, lebte in Paris und wurde bis zu seinem Tod 1955 durch die dortige Galerie Pétridès vertreten. Paul Pétridès (1901–1993), ursprünglich Schneider, hatte 1935 den ersten Vertrag mit Utrillo geschlossen; er erarbeitete auch sein Werkverzeichnis (vgl. Paul Pétridès, L’Œuvre complet de Maurice Utrillo, Paris 1959 ff.). Aufgrund der extrem hohen Zahl an Utrillo-Fälschungen, die auf dem Kunstmarkt kursierten, war Pétridès‘ Urteil stets wichtig. Die Echtheit des Werks aus der Galerie des 20. Jahrhunderts – das nicht im Werkverzeichnis aufgeführt ist – zertifizierte er 1959.Q6

„Aus einer Stiftung des Berliner Zahlenlottos konnte die Galerie des 20. Jahrhunderts dieses kostbare Bild des französischen Malers aus Schweizer Privatbesitz erwerben“, schrieb „Der Tagesspiegel“ im Februar 1960 über den Ankauf von Utrillos „Le Parc St. Maur“.Q8 Dass das auf Holz gemalte Bild sich zuvor in der Schweiz befunden hatte, deutet auch ein Aufkleber auf der Rückseite an: Gerahmt wurde es von einem Händler namens W. Knöll in Zürich, wohl in den 1950er-Jahren.(Rückseite) Aus wessen Privatbesitz das Bild stammte, ist jedoch ungeklärt. Adolf Jannasch bezog es 1960 über das Kunstkabinett Asta von Friedrichs.

Die private Kunsthandlung von Asta von Friedrichs in Berlin, obgleich wenig bekannt, spielte eine nicht geringe Rolle beim Aufbau der Galerie des 20. Jahrhunderts: Neun hochkarätige Gemälde der klassischen Moderne gelangten über sie in die Sammlung, darunter neben diesem Utrillo auch Werke von Wassily Kandinsky, Edvard Munch, Paula Modersohn-Becker und Max Beckmann. Einige davon stammten aus Schweizer Privatbesitz. Bereits 1949, gleich nach Gründung der Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin, hatte von Friedrichs Adolf Jannasch erstmals diverse Bilder zum Kauf angeboten, darunter eine Walchenseelandschaft von Lovis Corinth (vgl. Landesarchiv Berlin, B Rep. 014 Nr. 1732). Bei Jannaschs Erwerbungen für die Galerie in ihrer Kunsthandlung trat von Friedrichs in den nächsten Jahren oft als Ankaufsvermittlerin auf, besaß die Bilder also vorher nicht unbedingt selbst. Sie führte ihr Kunstkabinett – das ohne Ausstellungsraum auskam – seit mindestens 1948 von ihrer Privatwohnung in der Charlottenburger Nußbaumalle 33 aus, später zog sie in die Menzelstraße 6 in Berlin-Grunewald um; noch 1961 wird sie im Internationalen Kunst-Adressbuch und als Mitglied des Bundesverbandes des deutschen Kunst- und Antiquitätenhandels e. V. erwähnt. Jannasch war persönlich mit von Friedrichs bekannt, da sich ihre Wohnungen in direkter Nachbarschaft zueinander in der Nußbaumallee befanden. In seinem Sammler-Notizbuch findet sich ein Eintrag zur privaten Kunstsammlung von Friedrichs’: „Friedrichs, Asta v.: Liebermann (Z.), Daumier (Lith), MA Plastik, 18. Jh. Spiegel, 1 Z Chodowiecki, 1 […?], 1 Rhoden“ (Sammler-Notizbuch Adolf Jannasch, Privatbesitz).

Die Bezüge von Asta von Friedrichs zur Schweiz erklären sich aus ihrer Biografie. Diese ist verknüpft mit der Kunst- und Verlagsanstalt, die Bruno Cassirer gemeinsam mit seinem Cousin Paul Cassirer 1898 in Berlin gegründet hatte. Seit mindestens 1930 bis zur erzwungenen Auflösung des Betriebs 1937 arbeitete von Friedrichs als Verlagsangestellte bei Bruno Cassirer, der auch Ausstellungen moderner Kunst veranstaltete (vgl. Asta Smith, Von der Verlagsarbeit Bruno Cassirers, in: Vom Beruf des Verlegers. Eine Festschrift zum sechzigsten Geburtstag von Bruno Cassirer, Berlin 1932, Berlin 1932, S. 99). Aus jener Zeit stammten ihre Kontakte zu Kunstsammlern, auch in der Schweiz, sowie ihr kunsthändlerisches Grundwissen. Während der Zeit bei Cassirer hieß sie mit Nachnamen Smith, da sie in den 1930er-Jahren den englischstämmigen Künstler Eddy Smith (Edmund Richard Max Smith, 1896–1957) geheiratet hatte. Der Kontakt zwischen Asta von Friedrichs und Bruno Cassirer war auf beruflicher wie privater Ebene sehr eng. Als Assistentin scheint Asta unentbehrlich gewesen zu sein; sie unterstützte Cassirer – der als Jude in der NS-Zeit verfolgte wurde – in den Jahren in Deutschland sowie bei seiner Emigration und darüber hinaus. Bruno Cassirer brachte ihr zeitlebens volles Vertrauen und Dankbarkeit, aber auch Liebe und Verehrung entgegen, die er in großen Geschenken ausdrückte: 1936 ermöglichte er ihr den Erwerb des Grundstücks Nußbaumallee 39 mitsamt Villa, 1938 folgte eine Geldsumme. Nachdem von Friedrichs den Cassirers im April 1939 bei ihrer Emigration nach London geholfen hatte, übernahm sie die Verwaltung und Abwicklung des Vermögens und der Immobilien, wiederum gegen hohe Entlohnung durch Cassirer. Sie erwarb das cassirersche Grundstück mit Wohnhaus am Branitzer Platz 1 (in dem sich noch zahlreiche Kunstgegenstände befanden, die sie zum Teil in ihre Wohnung brachte) und verkaufte es 1945 weiter (vgl. Rückerstattungsantrag Erben Cassirer, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1360, -1361, -1446 und -1732). Da Asta und Eddy Smith als Nicht-Juden keiner Verfolgung ausgesetzt waren, kauften sie zudem 1939 eine enteignete Immobilie in der Nähe von Ahrenshoop.

Bereits vor 1938 hatte von Friedrichs – vermutlich in Absprache mit Bruno Cassirer – begonnen, zahlreiche Wertsachen der Cassirers (darunter Bilder von Édouard Manet, Paul Cézanne und Edgar Degas) nach England zu schmuggeln, meist über die Schweiz. Ihre dortigen Kontakte halfen ihr dabei. Unter anderem zitierte sie später Rechtsanwalt Dr. Michel Meyer, einen Kunstsammler in Zürich, als Zeugen ihres Einsatzes für Cassirer (vgl. ebd.). 1939 reiste sie mehrfach in die Schweiz, von wo aus sie auch mit Cassirer telefonierte. Es ist anzunehmen, dass diese Transaktionen zu zahlreichen Kontakten führten, die von Friedrichs nach dem Krieg als selbstständige Kunsthändlerin nutzte. Aufgrund fehlender Nachweise lassen sich diesen Kontakten jedoch bislang keine konkreten Namen zuordnen. Ihren Mädchennamen hatte Asta 1947 wieder angenommen, als Eddy Smith sich von ihr trennte, um Gertie Collins zu heiraten (vgl. Eddy Smith, Ausst.-Kat. Galerie Taube Berlin 2001).

Die Liste der Utrillo-Sammler war bereits in der Vorkriegszeit sehr lang. Schon 1927 führte Maurice Raynal zahlreiche Namen auf: „Zamaron, Lepoutre, Paul Guillaume, A. Flament, A. Level, F. Carco, Guillemin, G. Aubry, Bernheim, Bing, A. Tabarant, A. Warnod, Mazaraki, Dorival, Dr. Viard, Decourcellle, Gourgaud, Levasser, Deslignères etc.“ (Maurice Raynal, Anthologie de la peinture contemporaine, Paris 1927). Hinzu kommen für die 1930er-Jahre: Galerie van Leer, Henri Lapuze, Descaves, Mme Marthe Regnier, Fernand Pirola, Alphonse Beller, Gaston Bernheim-Jeune, Pierre Faure, Georges Hilaire, Georges Keller, Georges Martin und J. Netter (vgl. Exposition d’œuvres importantes de Maurice Utrillo, Ausst.-Kat. Galerie André Schoeller Paris 1934 u. a.). Ob „Le Parc St. Maur“ über einen dieser Vorbesitzer, auf direktem Weg oder über andere Pfade in jenen Schweizer Privatbesitz gelangte, aus dem Asta von Friedrichs das Gemälde bezog, bleibt offen.

Recherche: CT | Text: CT

Keilrahmen Ecke oben rechts, Aufkleber mit Nummer: 42-33 [wohl neueren Datums]
Keilrahmen unten Mitte: Rahmenhändler W. Knöll, Zürich
Keilrahmen unten links: teils abgelöster Aufkleber
Rückseitenschutz (Spanholz) oben Mitte, Bleistift: Parc-Saint-Maur / L’Avenue Médici
Rückseitenschutz (Spanholz) unten rechts: Stempel [unleserlich, Wappen nach 1950]

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 8.3.1960 [hier fälschlich: „Öl auf Leinwand“]

Q2 Protokoll der Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen aus den Verwaltungs- und Ausstellungsräumen der Galerie], 5.6.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, S. 2

Q3 Protokoll der Ankaufskommission, 6.11.1959, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II/VA 6754, Bl. 79, und Landesarchiv Berlin, B Rep. 002-11248 sowie B Rep. 014-1893

Q4 Liste Stiftungen Deutsche Klassenlotterie, o. D., Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Ordner B: Vereinigte Kunstsammlungen

Q5 Liste Platten – Kasten IV, Galerie S–Z, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Ordner B: Vereinigte Kunstsammlungen

Q6 Zuwendungsbestätigung Lotto, Zollscheine, Echtheitszertifikat von Paul Pétridès, Paris, 10.12.1959 etc., DE BG Gal 04-0700-15-018

Q7 Weltkunst, Jg. 30, Nr. 7, 1.4.1960, S. 8

Q8 Der Tagesspiegel, 23.2.1969

Q9 Ankaufsbestätigung Adolf Jannasch an die Deutsche Klassenlotterie, 8.7.1960, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0700-15-017

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1960, Nr. 198

L2 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 230

L3 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 218