Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Emil Nolde (1867–1956)
Brecher, 1936

Öl auf Leinwand
67,5 x 87 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1949 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 3.500 DM

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Brecher mit roter Wolke; Die Welle; Wellen mit roter Wolke; Nordseebrecher

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unten rechts: Emil Nolde

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 28
Inventar Land Berlin: 28
Weitere Nummern: 6/9

Werkverzeichnis-Nummer
Urban WV 1162

Foto: Anders, Jörg P. / © Nolde Stiftung Seebüll
Provenienz
bis 1937 im Besitz des Künstlers Q19
25.3.1937 bis 15.6.1937 Galerie Ferdinand Möller, Berlin Q19 L6 Q17 Q20
1937 bis 1949 Ottfried (Otto) von Dewitz, Berlin, Jena, erworben bei der Galerie Ferdinand Möller Q5 Q10 Q15 Q17
1949 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben von Ottfried von Dewitz Q1
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
1937 richtete der Berliner Galerist Ferdinand Möller eine Ausstellung mit Gemälden, Zeichnungen und Aquarellen von Emil Nolde aus. Hier war auch das Wellenbild „Brecher“ zu sehen, dessen Verkauf ihm einen Nettoerlös von 2.625 RM erbrachte.L6 Q19 Käufer war der zu jener Zeit in Berlin ansässige Volkswirt und Kunstsammler Ottfried (Otto) von Dewitz (1892–1980).Q17 Q19

Seit 1926 betätigte sich von Dewitz in der Flugzeugindustrie, war zunächst Mitarbeiter der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt, wechselte jedoch 1929 zur Junkers-Flugzeugwerk AG, die 1936 mit der Junkers-Motorenbau GmbH zur Junkers Flugzeug-und Motorenwerke AG fusionierte und im Zuge der Aufrüstung der Wehrmacht zu einem der größten Rüstungskonzerne des Deutschen Reiches ausgebaut wurde. Von Dewitz’ war seit 1936 Vorstandsmitglied. Als er 1939 als Luftwaffenoffizier d. R. in den Innendienst einberufen wurde, hatte er den „Brecher“ mit einigen anderen Nolde-Bildern und Skulpturen Ernst Barlachs aus seiner Sammlung an einen sicheren Ort verlagert, zu dem er möglicherweise eine Halle im Fischereihafen von Bremerhaven erkoren hatte, da in Zusammenhang mit dem Nolde-Bild Zahlungen an eine dort ansässige Firma nachgewiesen sind.Q14 Q16

Im Frühjahr 1946 eröffnete von Dewitz unter dem Namen „Das schöne Gefäss“ in Jena eine Kunst- und Antiquitätenhandlung.Q17 Im Zuge seiner Kunsthandelsaktivitäten unternahm er regelmäßige Reisen nach West-Berlin, die die Aufmerksamkeit der Behörden weckten. Im Juni 1948 wurde er verhaftet und verbrachte die Jahre bis 1955 in sowjetischer Gefangenschaft. Sein Eigentum wurde in seiner Abwesenheit 1948 durch die sowjetische Miliz konfisziert, doch gelang es der Familie, Teile seiner schon durch Ausbombung und Evakuierung stark reduzierten Habe der Ehefrau zuzuordnen, deren Besitz unangetastet blieb.L8 Das Nolde-Gemälde befand sich währenddessen wohl noch in der kriegssicheren Verwahrung. Die finanzielle Bedrängnis nötigte Frau von Dewitz jedoch dazu, sich 1949 von dem Bild zu trennen. Ihr Ehemann berichtete 1976 der Nationalgalerie: „Da die Russen mich von 48 bis 55 in Verwahrung nahmen, war meine Frau in der Zwischenzeit zum Verkauf gezwungen“.Q5 Auch gegenüber Adolf Jannasch hatte von Dewitz beklagt, sich für den Verkauf „aus der gegenwärtigen Notlage heraus […] schweren Herzens“ entschieden zu haben.Q7 Die Recherchen zu den genauen Umständen dieses Verkaufs, der stattfand, kurz bevor sich die Sowjetische Besatzungszone zur DDR konsolidierte, konnten noch nicht endgültig abgeschlossen werden.

Noldes „Brecher“ befand sich 1949 nunmehr in der Obhut des Berliner Künstlers Willy Robert Huth (1890–1977), der es im Auftrag von Dewitz’ aus dem Kriegsdepot zu sich geholt zu haben scheint. Huth war eng mit Jannasch befreundet (freundliche Mitteilung von Alexander Jannasch, 24.2.2012) und genoss offenbar gleichermaßen von Dewitz’ Vertrauen. In Huths Atelier konnte Jannasch das Gemälde besichtigen, um über einen Ankauf zu entscheiden. Ursprünglich wollte von Dewitz 4.200 DM für das Bild erzielen, doch ging er auf Jannaschs Gegenangebot ein und erklärte sich per Telegramm mit 3.500 DM einverstanden,Q15 die wegen des innerhalb West-Berlins einfacheren Zahlungsverkehrs zur Weitervermittlung an von Dewitz auf Huths Konto überwiesen wurden.Q1 Q8

Recherche: HS | Text: HS

unbezeichnet

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 8.7.1949

Q2 Protokoll der Sitzung der Ankaufskommission für Kunstwerke des Magistrats von Gross-Berlin am 8.7.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446

Q3 Protokoll der Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen aus den Verwaltungs- und Ausstellungsräumen der Galerie], 5.6.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, S. 2

Q4 Liste Platten – Kasten III, Galerie M–R, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Ordner B: Vereinigte Kunstsammlungen

Q5 Brief Ottfried von Dewitz an die Nationalgalerie, 18.11.1976, Bildakte Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q6 Brief Adolf Jannasch an Otto von Dewitz, 3.8.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1445

Q7 Brief Ottfried von Dewitz an Adolf Jannasch, 21.7.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1445

Q8 Brief Ottfried von Dewitz an den Berliner Magistrat, 21.7.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1445

Q9 Ankaufsbestätigung Adolf Jannasch an Willy Robert Huth, 9.7.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1445

Q10 Brief Adolf Jannasch an Martin Urban, Nolde-Stiftung, 21.10.1963, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 03-0406-02-054.2

Q11 Liste Platten – Kasten I, Galerie A–K, 25.7.1957, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 02-0204-02-040.1 bis -040.3, Nr. 59

Q12 Protokoll der Ankaufskommission, 9.7.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446

Q13 Zahlungsanweisung (Dringlichkeitsliste) an Willy Robert Huth, 8.7.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446

Q14 Zahlungsanweisung (reduzierte Dringlichkeitsliste) an Otto von Dewitz, 16.8.1949, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446

Q15 Korrespondenz zwischen Ottfried von Dewitz und Adolf Jannasch, 21.6.1949 ff., Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1730

Q16 Nachweisaufstellung der Zahlungsempfänger 1949 bis 1951, 27.4.1951, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1446

Q17 Brief Ottfried von Dewitz an Ferdinand Möller, 14.10.1946, Archiv Berlinische Galerie, Ferdinand-Möller-Archiv, BG-GFM-MF 5314,742

Q18 Sammler-Notizbuch Adolf Jannasch, Privatbesitz

Q19 Wareneingangsbuch der Galerie Ferdinand Möller 1935–1940, Archiv Berlinische Galerie, Ferdinand-Möller-Archiv, BG-Depos.AFM

Q20 Raumaufnahme der Ausstellung Emil Nolde 1937, Galerie Ferdinand Möller, Berlin, publiziert in: Eberhard Roters, Galerie Ferdinand Möller. Die Geschichte einer Galerie für Moderne Kunst in Deutschland 1917–1956, Berlin 1984, S. 133

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1953, Nr. 57

L2 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1958, Nr. 142

L3 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1960, Nr. 155

L4 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 181

L5 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 165

L6 Verzeichnis der Gemälde, Zeichnungen, Aquarelle von Emil Nolde, Ausst.-Kat. Galerie Ferdinand Möller Berlin 1937, Nr. 7

L7 Martin Urban, Emil Nolde. Werkverzeichnis der Gemälde, Bd. 2: 1915–1951, München 1990, Nr. 1162

L8 Adelheid Cramer von Clausbruch, Hinter der Fassade. Späte Annäherung an meinen Vater Ottfried von Dewitz, Münster 2004