Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Ernst Barlach (1870–1938)
Der Übergang, 1917

Gips, getönt

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1952 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 2.000 DM

Weitere Werkdaten

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unbezeichnet

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 79
Inventar Land Berlin: 79; 51
Weitere Nummern: 16/6; 11/30

Werkverzeichnis-Nummer
Laur WV 257; Gielow WV 143g; Schult WV 193

Foto: März, Roman / CC BY-NC-SA
Provenienz
1920 Schenkung des Künstlers an Max Hoffmann, Güstrow Q3 L10
um 1945 zur Verwahrung in der Wohnung von Kurt Reutti Q3 Q5
zurück in Familienbesitz Hoffmann, Berlin Q3 Q5
bis 1952 Kurt Hoffmann, Berlin Q1 Q4 Q5
1952 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben von Kurt Hoffmann Q1
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Das Gipsrelief „Der Übergang“ hatte Ernst Barlach 1920 seinem Hausarzt Dr. Max Hoffmann in Güstrow geschenkt.Q3 L10 Über die Beziehung zwischen Barlach und Hoffmann ist nichts Näheres bekannt, doch ist überliefert, dass der Künstler in seltenen Fällen Arbeiten in Gips verschenkte (freundliche Mitteilung von Volker Probst, Ernst Barlach Stiftung Güstrow, 30.8.2012). Max Hoffmann, am 15. April 1864 geboren und evangelischer Konfession, wohnte seit spätestens 1900 in Güstrow. Er war verheiratet mit Toni Opitz, Enkelin des Begründers der „Buch- und Kunsthandlung von Opitz & Co.“, Friedrich Opitz. Toni und Max Hoffmann hatten zehn Kinder, die teilweise adoptiert waren. Mit dem Einmarsch der Roten Armee in Güstrow am 1. und 2. Mai 1945 floh die Familie Hoffmann aus Güstrow und zog nach West-Berlin (freundliche Mitteilung von Uwe Seemann, Güstrow, 24.8.2011).

Vorsorglich hatte die Familie Hoffmann schon vor der Umsiedelung das Gipsrelief vorübergehend zur Verwahrung an Kurt Reutti übergeben. Dies belegt ein Brief, den Reutti 1953 an das Kunstamt beim Berliner Senat schrieb, nachdem das Relief, im Jahr zuvor für die Galerie des 20. Jahrhunderts erworben, bei der Anbringung in der Ausstellung im Schloss Charlottenburg Schaden erlitten hatte: „Mit größtem Bedauern habe ich von der leichtfertigen Aufhängung des Barlach-Reliefs ‚Der Übergang‘ gehört, die zu der weitgehenden Beschädigung führte. Mir war dieses Stück besonders ans Herz gewachsen, weil es wochenlang in meiner Wohnung hing, bevor Herr Hoffmann aus Güstrow fliehen konnte. Ich habe damals bereits geringfügige Beschädigungen restauriert, und Herr Hoffmann hat es auf meine Veranlassung dem Senat zum Kauf angeboten, nachdem die Kunsthalle Bremen den Kauf abgelehnt hatte.“Q3 Auch mit dem Bremer Museum stand Reutti im Zuge dieser Ankaufsüberlegungen im Jahr zuvor in Kontakt: „Ich beschäftige mich z. Zt. mit einem ganz lustigen Gebiet, dem jüngeren Barlach, und muß dazu gelegentlich nach Hamburg fliegen“, schrieb er an Günter Busch, den damaligen Direktor der Kunsthalle Bremen: „Das Barlach-Relief will nun Berlin kaufen, aber ich bemühe mich z. Zt., es dem Nachlaß zu erhalten.“Q5

Das Sterbedatum von Max Hoffmann ist unbekannt. Möglicherweise stand Kurt Reutti schon nicht mehr mit dem Arzt selbst in Kontakt, sondern mit Kurt Hoffmann, vermutlich einem der Söhne, der mit der Verwaltung des Nachlasses betraut war, in dessen Verbleib sich Reutti das Relief wünschte. Reutti war dem Werk Barlachs eng verbunden, nicht nur durch seine Mitarbeit am Werkverzeichnis der Druckgraphik, sondern vor allem auch durch den Auftrag, den er 1947 als Referent der „Zentralstelle zur Erfassung und Pflege von Kunstwerken“ erhielt: die Sicherstellung der Kommissionsbestände „entarteter Kunst“ bei Bernhard A. Böhmer in Güstrow. Da Böhmer bis zu seinem Tod im Mai 1945 als Barlachs Nachlassverwalter tätig war und auf dem Güstrower Grundstück des Bildhauers lebte, lagerte er auch die Beschlagnahmebestände in Barlachs Atelier, mit deren „Verwertung“ er als Kunsthändler seitens der NS-Behörden beauftragt war.L11 Während Reutti die „entarteten“ Werke aus diesem Böhmer-Bestand inventarisierte, um sie gegen Veräußerung oder Verlagerung zu sichern, vertiefte er seine Barlach-Kenntnis.

Recherche: HS | Text: CT/HS

unbezeichnet

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 5.11.1952

Q2 Liste der Kunstwerke, die am 6.6.1968 aus dem Depot der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz übergeben wurden, o. D., Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Bl. 5

Q3 Brief Kurt Reutti an Gläser, Senat, 22.7.1953, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 03-0100-14-421

Q4 Werkfoto mit Rückseitenbeschriftung, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, V/Sammlung Künstler: Barlach, Ernst, 00178/32

Q5 Brief Kurt Reutti an Dr. Günter Busch, Kunsthalle Bremen, 27.10.1952, Archiv der Kunsthalle Bremen, An- und Verkauf II K–Z, 1.9.1952–30.6.1953

Q6 Karteikarte Senat, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Nr. 2

L2 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Nr. 195

L3 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Nr. 216

L4 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Nr. 258

L5 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 343

L6 Carl Dietrich Carls, Ernst Barlach. Das plastische, graphische und dichterische Werk, Berlin 1931, Abb. S. 22

L7 Wolfgang Gielow, Ernst Barlach. Katalog der Plastik, München 1954, S. 24, Nr. 143 g

L8 Friedrich Schult, Ernst Barlach. Das plastische Werk, Hamburg 1960, Nr. 193

L9 Elisabeth Laur, Ernst Barlach. Das plastische Werk, Güstrow 2006, Nr. 257

L10 Elmar Jansen, Ernst Barlach. Katalog I. Plastik 1894–1937 (Ernst Barlach. Werke und Werkentwürfe aus fünf Jahrzehnten, Bd. 1), Berlin 1981, Nr. 45

L11 Dorothee Grafahrend, Sicherung im Dienste der Kunst. Kurt Reutti und die Werke „entarteter“ Kunst in Güstrow und Rostock, in: Meike Hoffmann (Hrsg.), Ein Händler „entarteter Kunst“. Berhard A. Böhmer und sein Nachlass, Berlin 2010, S. 133–146