Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Louis Vivin (1861–1936)
Winterlandschaft, um 1900/36

Öl auf Leinwand
50 x 61 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1957 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 5.500 DM

Weitere Werkdaten

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unten links: L. VIVIN

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 184
Inventar Land Berlin: 184
Weitere Nummern: 23/25

Foto: März, Roman / CC BY-NC-SA
Provenienz
„früher Berlin Privatbesitz“ L3
1957 Galerie Gerd Rosen, Berlin Q1
1957 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben bei der Galerie Rosen Q1 Q4
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Louis Vivin, der von 1889 bis zu seinem Tod 1936 durchgehend in der Rue Caulaincourt auf dem Pariser Montmartre wohnte, war seit seiner Jugend als Hobbykünstler tätig. 1923 gab er seinen Dienst als Postbeamter auf und arbeitete fortan ausschließlich als Maler. In seinen Bildern von Szenen in und um Paris, dargestellt in sich über die Jahre kaum änderndem, charakteristisch naivem Stil, finden sich zahlreiche Wintermotive. Vivin datierte seine Bilder selten; auch Titel vergab er nicht immer. Zudem existiert kein Werkverzeichnis und wenig wissenschaftliche monografische Literatur über ihn. Die Identifikation seiner Werke im Zuge von Provenienzrecherchen ist somit oft schwierig.

Im Falle dieser undatierten „Winterlandschaft“ ließ sich bislang keine Klärung der Provenienz vor 1957 erreichen. Nachdem Adolf Jannasch das Gemälde von der Berliner Galerie Rosen für die Galerie des 20. Jahrhunderts angekauft hatte, wurde es in den ersten beiden Galeriekatalogen aufgeführt – ohne eine Erwähnung der Herkunft.L1 L2 Im Katalog von 1963 fügte Jannasch dem Eintrag dann die ergänzende Zeile „früher Berlin Privatbesitz“ hinzu.L3 Offensichtlich hatte er also zwischen 1960 und 1963 erfahren, aus wessen Besitz das Bild stammte, oder aus einem heute nicht mehr nachvollziehbaren Grund erst nach 1960 beschlossen, sein Wissen über den Vorbesitz anonymisiert festzuhalten. Die Akten der Galerie des 20. Jahrhunderts geben jedoch an keiner Stelle Auskunft darüber, um wen es sich bei dem erwähnten Berliner Privatbesitzer handeln könnte oder von wem Gerd Rosen das Gemälde erhalten hatte. Ein Galeriearchiv Rosen existiert nicht.

Als „heiße Spur“ wurde der Berliner Kunstsammler Dr. Werner Möhring identifiziert, der Bilder von Louis Vivin besaß. Thea Sternheim schrieb am 22. Oktober 1932 während eines Berlin-Aufenthaltes in ihr Tagebuch: „Mittagessen bei Flechtheims, Mt Frau Braun, Frau Bernoulli, Herr Lindgens. Ich besuchte mit Agnes den sympathischen Dr. Möhring, der uns die ihm gehörenden seltsamen Bilder von Vivin, Kolle und der Malerin Seraphine zeigt. Frühzeitig zu Bett“ (Thomas Ehrsam und Regula Wyss [Hrsg.], Thea Sternheim. Tagebücher 1903–1971, Göttingen 2002). Zu Möhring ließen sich einige biografische Details ermitteln: Geboren am 22. Februar 1899 in Berlin, war er seit 1926 in Königsberg, Berlin und Frankfurt am Main als Bibliothekar tätig. 1943 ist er in den Berliner Telefonbüchern als „Stadtbibliotheksrat“ verzeichnet. Von 1952 bis 1961/62 leitete er die Stadtbücherei, die Volkshochschule und das Museum in Mülheim an der Ruhr in Personalunion, danach zog er um nach Ebersteinburg bei Baden-Baden, wo er 1974 verstarb (Information aus der Personalakte im Kunstmuseum Mülheim, freundliche Auskunft von Gerhard Ribbrock, März 2013). Er wirkte zeitweise im Präsidium des Deutschen Bibliotheksverbands und war Mitglied des Deutschen Büchereiverbands. Möhring ließ sich 1936/37 ein Haus in Berlin-Frohnau (Senheimer Straße 49 a) von dem Architekten Fritz Winter bauen, gehörte also wahrscheinlich nicht zu einer vom NS-Regime verfolgten Gruppe. Nähere Informationen zu seiner Kunstsammlung, die Aufschluss darüber geben könnten, ob Vivins „Winterlandschaft“ zu ihr gehörte, ließen sich nicht finden.

Auch die forschungsintensiven Versuche, sich der Provenienz des Bildes von seiner Entstehungszeit her zu nähern, blieben fruchtlos. Es ist in keinem Katalog einschlägiger Ausstellungen zum Werk der französischen „modernen Primitiven“ (zu denen Vivin gezählt wird) erwähnt noch taucht es in bislang gesichteten Ausstellungsakten (etwa der Ausstellung „Les Maitres populaires“ Ende 1937 im Kunsthaus Zürich) auf. Paul Westheim besaß zwei Vivins, aber kein Winterbild (vgl. Paul Westheim, Erinnerung an eine Sammlung, in: Das Kunstblatt 8/1918, S. 233–241). Ein wichtiger Förderer Vivins war der in Paris ansässige deutsche Kunsthistoriker Wilhelm Uhde, aber eine Verbindung zu unserem Gemälde ließ sich auch hier nicht herstellen. Die Galerie Bing in Paris, mit der Uhde in engem Kontakt stand, vertrat Vivin bis in die Nachkriegsjahre.

Recherche: CT | Text: CT

Keilrahmen oben Mitte links: Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts
Keilrahmen oben rechts, Bleistift: Sp[…]lart[…]b [unleserlich]
Keilrahmen unten rechts, Bleistift: 1190
Außenrahmen oben Mitte links, Bleistift: Rosen Natur getönt [?]

Rückseite
Rückseitendetail

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 9.7.1957

Q2 Protokoll der Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen aus den Verwaltungs- und Ausstellungsräumen der Galerie], 5.6.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, S. 2

Q3 Protokoll der Ankaufskommission, 6.11.1959, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II/VA 6754, Bl. 122

Q4 Zahlungsanweisung von Adolf Jannasch vom 27.7.1957 an Vbildg I C [Senatsabteilung Volksbildung] bzgl. in der Ankaufssitzung vom 9.7.1957 beschlossenen Erwerbungen mit Bezug auf Rechnungen lt. Anlage, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II/VA 6754, Bl. 162

Q5 Liste Platten – Kasten IV, Galerie S–Z, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Ordner B: Vereinigte Kunstsammlungen

Q6 Übersicht der Erwerbungen, Rechnungsjahr 1957, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 10-0302-05-395

Q7 Ankaufsakten Mai/Juni 1957, Bildakte Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q8 Protokoll der Ankaufskommission, 9.7.1957, Landesarchiv Berlin, B Rep. 002-11248 und B Rep. 014-1893

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1958, Nr. 179

L2 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1960, Nr. 200

L3 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 232