Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Paul Klee (1879–1940)
verhext-versteinert, 1934

Wasserfarben gewachst und Eiaufstrich auf Sperrholz (weißgrundiert)
50,5 x 50,5 cm

Standort
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

1957 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 50.000 DM

Weitere Werkdaten

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
oben rechts: Klee

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: B 185
Inventar Land Berlin: 185
Weitere Nummern: 23/30; U1

Werkverzeichnis-Nummer
Helfenstein WV 6739

Foto: Anders, Jörg P. / CC BY-NC-SA
Provenienz
1934 bis November 1935 Paul Klee Q6
November 1935 bis 1937 Daniel-Henry Kahnweiler (Galerie Simon), Paris, in Kommission vom Künstler Q6 L6
ab 1937 Karl Nierendorf, New York, erworben von Daniel-Henry Kahnweiler L6
ab 1939 bis maximal 1945 Galka E. Scheyer, San Francisco L6
nach 1945 Berggruen & Cie, Paris L6
bis 1957 Lucie Dellstedt, Berlin L6 Q1
1957 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben aus Mitteln der Deutschen Klassenlotterie von Lucie Dellstedt Q1
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
1933 aus seinem Professorenposten an der Düsseldorfer Kunstakademie entlassen, war Paul Klee in die Schweiz emigriert. Hier entstand das Gemälde „verhext-versteinert“, das Ende 1935 als Leihgabe aus dem Besitz des Künstlers bei einer großen Klee-Ausstellung in der Kunsthalle Basel gezeigt, aber nicht verkauft wurde.Q6 L5 Im Anschluss an die Ausstellung bat Lilly Klee, die Ehefrau des Künstlers, darum, dass das Bild „mit dem Auftrag von der Transportfirma Im Obersteg nach Paris an die Galerie Simon gesandt“ werde.Q6

Mit Daniel Henry-Kahnweiler, dem Inhaber der Galerie Simon, hatte Klee am 24. Oktober 1933, auf dem Weg ins Schweizer Exil, einen Generalvertretungsvertrag abgeschlossen, der der Liquidierung der Galerien Alfred Flechtheims dienlich war. Flechtheim, langjähriger Geschäftspartner Kahnweilers und seit 1927 ein wichtiger Kunsthändler Klees in Deutschland, hatte, der Vereinbarung folgend, auch die Klee-Kommissionsware aus seiner Berliner Filiale nach Paris geschickt. Somit befand sich Mitte der 1930er-Jahre ein größeres Konvolut von Werken Klees bei Kahnweiler, darunter „verhext-versteinert“.

Da Kahnweiler das Bild 1937 noch nicht verkauft hatte, gab er es an Karl Nierendorf in New York weiter. Nierendorf pflegte seit Ende der 1910er-Jahre eine enge freundschaftliche und kunsthändlerische Beziehung mit Klee und hatte seine Kunst ab 1923 regelmäßig in seinen Galerien in Köln, Düsseldorf und Berlin ausgestellt. Da Klee Nierendorfs Galerieprogramm auch in die Emigration begleitete, ließ sich der Kunsthändler „verhext-versteinert“ im November 1937 nach New York schicken – zusammen mit 18 weiteren Arbeiten Klees aus Kahnweilers Bestand, die er allesamt kaufte.Q7 Wenig später, im Februar 1938, vereinbarte Nierendorf mit Kahnweiler, künftig ein Drittel aller Klee-Werke in Kommission zu nehmen; 1938 bis 1947 hielt er die Alleinvertretung Klees an der Ostküste der USA, weshalb man ihn auch „Klee man“ nannte.L7

Ab spätestens 1939 dann befand sich „verhext-versteinert“ im Besitz von Galka Scheyer in San Francisco. Die in München, London und Paris studierte Künstlerin Scheyer (geb. Emilie Ester Scheyer in Braunschweig, 1889–1945) war in Europa mit zahlreichen Künstlern, Kulturschaffenden, Sammlern und Kunsthändlern vernetzt. 1924 gründete sie in Weimar die Künstlergruppe Die Blaue Vier mit Wassily Kandinsky, Alexej von Jawlensky, Lyonel Feininger und Klee, den sie seit 1919 kannte. Sie begann, das Werk der vier Künstler international zu vermitteln, und übersiedelte noch im selben Jahr mit 250 ihrer Arbeiten nach New York; später zog sie nach Kalifornien. Als „marchande amateur“ bekam Scheyer nach 1933 durch Curt Valentin, J. B. Neumann, Karl Nierendorf und andere aus Europa immigrierte Händler zunehmend Konkurrenz auf dem amerikanischen Markt. Vor diesem Hintergrund schloss sie 1936 einen Kooperationsvertrag mit Nierendorf (vgl. u. a. Vivian Endicott Barnett, Die Blaue Vier. Feininger, Jawlensky, Kandinsky, Klee in der Neuen Welt, Köln 1997). Obwohl ihre geschäftliche Beziehung nicht spannungsfrei war, kann man davon ausgehen, dass Klees „verhext-versteinert“ direkt von Nierendorfs in Scheyers Besitz überging.

Für die Galerie des 20. Jahrhunderts wurde das Bild 1957 von Lucie Dellstedt in Berlin erworben – als „einwandfreier Privatbesitz“, wie Adolf Jannasch im Ankaufsgutachten betonte.Q8

Recherche: CT | Text: CT

Mitte, Bleistift: 1934 U1 verhext-versteinert Klee; darunter: bewitched, petrified; am Rand Spuren eines großen abgelösten Aufklebers
Zollstempel, rund: Douanes Françaises, Recette de Paris Est[?]-Villette
Zollstempel, rund: Douanes Françaises, Bureau de Paris, Batignolles
Außenrahmen oben rechts, Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts mit Inv.-Nr.: 23/30
Außenrahmen Mitte rechts, Aufkleber des US-Kunstlagers Cirker’s mit Nummerierung, handschriftlich: # P 4115 # I

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 2.10.1957

Q2 Protokoll der Übergabe der Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Gemälde und Skulpturen aus den Verwaltungs- und Ausstellungsräumen der Galerie], 5.6.1968, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, S. 3

Q3 Liste Stiftungen Deutsche Klassenlotterie, o. D., Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Ordner B: Vereinigte Kunstsammlungen

Q4 Korrespondenz zwischen der New Gallery New York, Adolf Jannasch und Alex Vömel sowie Korrespondenz zwischen der Galerie des 20. Jahrhunderts und dem Zollamt [Deutsche Klassenlotterie, Ankaufsbeschluss, Transport- & Versicherungspapiere, Rechnung], 1957, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0700-21-000

Q5 Übersicht der Erwerbungen, Rechnungsjahr 1957, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 10-0302-05-395

Q6 Akten zur Ausstellung Paul Klee, Kunsthalle Basel, Oktober/November 1935, Staatsarchiv Basel, PA 888 N6 (1) 310 [darin: handschriftlich durch Klee erstellte Leihliste, „Teil 1: Tafelbilder“, o. D.; Brief Lilly Klee an die Kunsthalle, 22.11.1935, mit Transportanweisungen]

Q7 Listen der Sendungen von Klee-Werken der Galerie Simon/Leiris, Paris, an Karl Nierendorf, New York, Archiv Bürgi, Bern, gesichtet von Stefan Frey, vgl. Anja Walter-Ris, Kunstleidenschaft im Dienst der Moderne. Die Geschichte der Galerie Nierendorf. Berlin/New York 1920–1995, Zürich 2003, S. 288, Anm. 138

Q8 Gutachten Adolf Jannaschs für die Deutsche Klassenlotterie, 28.6.1957, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0700-21-048.36

L1 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1958, Nr. 102

L2 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1960, Nr. 109

L3 Die Galerie des 20. Jahrhunderts. Katalog, hrsg. vom Senator für Volksbildung, Berlin 1963, Nr. 129

L4 Verzeichnis der Vereinigten Kunstsammlungen: Nationalgalerie (Preußischer Kulturbesitz) und Galerie des 20. Jahrhunderts (Land Berlin), hrsg. von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1968, S. 108

L5 Paul Klee, Ausst.-Kat. Kunsthalle Basel 1935, S. 6, Nr. 75 (keine Besitzerangabe; zum Verkauf angeboten für 2.100 [Franken])

L6 Paul-Klee-Stiftung Kunstmuseum Bern (Hrsg.), Paul Klee. Catalogue raisonné, Bern 1998, Nr. 6739

L7 Anja Walter-Ris, Kunstleidenschaft im Dienst der Moderne. Die Geschichte der Galerie Nierendorf. Berlin/New York 1920–1995, Zürich 2003, S. 254 ff., 305 ff.