Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Ernst Barlach (1870–1938)
Die Laterne, 1917/19

Lithographie auf Papier
Bildmaß 26,10 x 34,90 cm; Blattmaß 33,2 x 42,8 cm

Standort
Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin

1958 erworben durch das Land Berlin

Weitere Werkdaten

Abweichende Titel
Die Laterne (der arme Vetter, Bild XI)

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unten links, Stempel: Probe Druck. / Unverkäuflich!

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: 29/3
Inventar Land Berlin: 271
Hauptverzeichnis Senat: 29/3

Werkverzeichnis-Nummer
Schult II WV 147 / Laur/Probst WV 54.36

Foto: Büttner, Wolfram / CC BY-NC-SA
Provenienz
bis 1958 Karl Morvilius, Berlin Q4
1958 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, Schenkung von Karl Morvilius Q1
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin im Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Bei der Druckgraphik „Die Laterne“ handelt es sich um ein Einzelblatt aus dem Zyklus „Der arme Vetter“, einer Serie von 34 Steinzeichnungen, mit denen Ernst Barlach das 1918 von ihm selbst verfasste gleichnamige Drama illustrierte. Die Lithographien wurden 1919 von Paul Cassirer in Berlin als Buch verlegt. Das Blatt trägt auf der Vorderseite prominent einen auffälligen Stempel mit dem Schriftzug „Probe Druck. / Unverkäuflich!“. Dem Anschein zum Trotz ist die Angabe „Probedruck“ hier jedoch kein Alleinstellungsmerkmal im Sinne eines Vorzugsdrucks. Zahlreiche weitere Exemplare mit der gleichen Stempelung sind auf dem Kunstmarkt sowie in öffentlichen und privaten Sammlungen zu finden, eines davon beispielsweise in der Barlach Stiftung in Güstrow (freundliche Auskunft von Volker Probst, Ernst Barlach Stiftung Güstrow, 30.8.2012). In hoher Auflage produziert, lag je ein Druck der „Laterne“ um 1919 der vierseitigen Verlagsankündigung von Paul Cassirer bei. Die Beigabe der Lithographie sollte potenzielle Käufer für die Mappe „Der arme Vetter“ gewinnen, während der Stempel codiert darauf hinwies, dass es sich um einen Werbedruck handelte.

1958 erhielt die Galerie des 20. Jahrhunderts das Blatt als Schenkung von Karl Morvilius in Berlin. Die Quellen geben keine Auskunft darüber, wo Morvilius diesen und andere von ihm gestiftete Drucke erwarb. Zur Person von Karl Morvilius brachten die Recherchen jedoch umfangreiche Ergebnisse. Morvilius (1883–1960) war ein am Rhein geborener, seit Mitte der 1930er-Jahre in Berlin ansässiger Schauspieler, der vor allem in Filmen der NS-Zeit seine Rollen spielte. Er war kein NSDAP-Mitglied, aber seit 1929 gehörte er der Reichsfachschaft Film und dem Fachverband der Reichsfilmkammer an. Er führte eine kinderlose Ehe mit der Kunstgewerblerin Gretchen Morvilius, geborene Gröting. Als Bühnenschauspieler hatte Morvilius nur zeitweise Engagements (1928–1931 Intimes Theater Nürnberg, 1935–1937 Theater in der Saarlandstraße Berlin, 1938 Deutsches Theater Berlin), dazwischen lagen lange Phasen ohne Verdienst. Während der NS-Zeit befand er sich permanent in Geldnöten und lebte von der Künstlerfürsorge „Spende Künstlerdank“. Da er sich regelmäßig gegen die Reichsfilmkammer wegen mangelnder Bemühungen für ihn auflehnte, wurde er mehrfach aktenkundig. Man sprach ihm die Künstlerdank-Unterstützung mit folgender Erklärung zu: „[Morvilius] befindet sich in außerordentlich schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen, die dadurch besonders erschwert sind, daß er für seine kranke Frau zu sorgen und größere Schulden abzulösen hat.“Q11

Neben seiner schauspielerischen Arbeit scheint Morvilius auch als bildender Künstler tätig gewesen zu sein.Q10 1958 schrieb Adolf Jannasch an die Berliner Kunstbibliothek: „Wie ich Ihnen neulich schon berichten konnte, hat der Maler Karl Morvilius […] der Galerie des 20. Jahrhunderts einige graphische Blätter gestiftet, und da er auch einige japanische Holzschnitte einem Berliner Museum ebenso stiften wollte, habe ich die Kunstbibliothek Herrn Morvilius vorgeschlagen. Herr Morvilius war so freundlich, mir neulich 4 Blätter – und zwar 3 Schauspielerportraits und das Halbfigurenbild einer Frau – für die Kunstbibliothek zu übergeben. Diesen 4 Blättern fügte er noch hinzu eine Radierung nach einer angeblich verschollenen Zeichnung von Lucas Cranach – eine Szene aus dem Leben des heiligen Julianus. Ich übergebe Ihnen hiermit diese Stiftung des Malers Morvilius.“Q8

Im Erwerbungsbuch der Kunstbibliothek verzeichnete Eckart Berckenhagen am 27. Juni 1958 fünf Blatt Graphik als Schenkung – vermittelt durch Dr. Adolf Jannasch Q7 (freundliche Mitteilung von Daniela Kratz, Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek, 4.2.2013).

Recherche: HS | Text: CT

unbezeichnet

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 25.4.1958

Q2 Karteikarte Druckgraphik (West), Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett

Q3 Übergabelisten Kästen Graphik an das Kupferstichkabinett, 1968, Kasten B 6, S. 8, 29/3, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 11-0201-00-001 ff.

Q4 Briefwechsel zwischen Adolf Jannasch und Karl Morvilius, 28.5.–23.6.1958, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II B/Galerie des 20. Jahrhunderts – Land Berlin 6, Bl. 76–81, bes. Bl. 81

Q5 Übersicht der Ankäufe der Galerie des 20. Jahrhunderts, Rechnungsjahr 1958/59, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 10-0302-05-394

Q6 Übergabeliste Kästen Graphik an die Nationalgalerie, 1968, Kasten B 9, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 11-0201-00-053

Q7 Erwerbungsbuch Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin, 27.6.1958, Nr. 29 [Eintrag Eckart Berckenhagen]

Q8 Brief Adolf Jannasch an Günter Arnolds, Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin, 27.6.1958, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II/VA 14127

Q9 Angebotsschreiben Karl Morvilius an die Reichsfilmkammer, 1940/41, Bundesarchiv Berlin, VBS 229, Nr. 2672000202 RK/Filmnachweis, Angebotsschreiben, Film-Nr. RK U 66

Q10 Entnazifizierungsakten Karl und Gretchen Morvilius, Bundesarchiv Berlin, VBS 243, Nr. 2703017349, E

Q11 Personalakte Karl Morvilius, Reichsfilmkammer, Bundesarchiv Berlin, VBS 159, Nr. 2600014117, RK/Fachschaft Film, Film-Nr. RK J74.

Q12 Karteikarte Senat, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin

L1 Friedrich Schult, Ernst Barlach. Das graphische Werk, Hamburg 1958, Nr. II 147

L2 Elisabeth Laur und Volker Probst, Ernst Barlach. Die Druckgraphik, Leipzig 2001, Nr. 54.36

L3 Tanja Frank, Ernst Barlach. Katalog 3. Rückblicke – Ausblicke. Studien zum Werk. Unbekannte Texte aus dem Nachlaß in Güstrow. Druckgraphik 1910–1930 (Ernst Barlach. Werke und Werkentwürfe aus fünf Jahrzehnten, Bd. 3), Berlin 1981, Nr. 366–371, hier S. 50