Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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Werner Heldt (1904–1954)
Straße mit Kirche und Vordergrundfigur, 1944

Aquarell und Tusche auf Karton
Blattmaß 28,3 x 38,8 cm

Standort
Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin

1966 erworben durch das Land Berlin
Schenkungswert: 5.000 DM (für Sammelmappe, Schenkungskonvolut–Sammlung Evert, (Nr. 45))

Weitere Werkdaten

Bezeichnung Vorderseite / Sichtfläche
unten rechts: WH 44

Inventarnummern
Inventar Land Berlin: ; 879/45

Foto: Büttner, Wolfram / VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Provenienz
bis 1955 Heinrich Evert, Berlin
1955 bis 1966 Gertrud Evert, Berlin, per Erbschaft Q5
1966 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben von Gertrud Evert, Teil des Schenkungskonvoluts Sammlung Evert, wohl Nr. 45, Sammelmappe Q1
1968 bis 1986 als Dauerleihgabe des Landes Berlin in der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (Sammlung der Zeichnungen)
seit 1986 (mit Übergabe der Sammlung der Zeichnungen) als Dauerleihgabe des Landes Berlin im Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Diese markante Tuschezeichnung des Berlin-Chronisten Werner Heldt entstand 1945. Sie gehörte zur Sammlung Evert, die 1966 durch Gertrud Evert, die Witwe des Kunstsammlers Heinrich Evert, der Galerie des 20. Jahrhunderts vermacht wurde (Inv.-Nr. 835 bis 880). Innerhalb der Schenkung Evert wiederum war das Blatt wahrscheinlich Teil einer Sammelmappe (bestehend aus zwei Einzelmappen) mit Arbeiten auf Papier, die im Inventar mit der Nummer 879/45 erfasst ist.Q1 Sie enthielt Arbeiten der 1910er- bis 1950er-Jahre: zwei druckgraphische Mappen von Hans Arp und Willi Baumeister, 14 Zeichnungen (von Richard Haizmann, Werner Heldt, [?] Künkel, Hans Leistikow und Georg Muche) sowie 57 druckgraphische Blätter (von Ernst Barlach, Willi Baumeister, Alexander Camaro, Lovis Corinth, Ernst Fritsch, Frans Haacken, Hans Hartung, Erich Heckel, Werner Heldt, Heinrich Ilgenfritz, Alfred Kubin, Georg Muche, Otto Mueller, Hans Orlowski, Robert Pudlich, Gustav Seitz, Horst Strempel, Mac Zimmermann und sieben Blatt „unbekannter Künstler“).

Die Identifizierung der Werke aus der Sammelmappe Evert und ihres Verbleibs ist nicht leicht, denn weder im Inventar noch in den Schenkungsunterlagen sind die darin enthaltenen Arbeiten mit Titeln aufgeführt, und auch ein Vermerk über den Verbleib fehlt. Die Zuordnung war in einigen Fällen jedoch über andere Quellen möglich, hier eine Übergabeliste der Sammlung der Zeichnungen der Nationalgalerie und eine Karteikarte.Q2 Q3 Sie zeigen, dass die Sammelmappe spätestens zur Umverteilung der Bestände 1968 in Einzelblätter aufgelöst wurde; einzelne Blätter scheinen schon 1966/67 extrahiert und mit einer zusätzlichen Inventarnummer versehen worden zu sein. Mehrere Zeichnungen gelangten in die Sammlung der Zeichnungen an der Nationalgalerie, mindestens zwanzig Graphiken an das Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin. Identität oder Verbleib der restlichen Blätter, darunter neun Graphiken von Heinrich Ilgenfritz, sind heute nicht mehr nachweisbar. Bei mehrfach im ehemaligen Galeriebestand vertretenen Künstlern, etwa Alexander Camaro oder, wie hier, Werner Heldt, bleibt die Zuordnung zu vorhandenen Werken schwierig.

Heinrich Evert (Hannover 1879–1955 Berlin) sammelte in den 1920er- bis 1950er-Jahren Werke deutscher Künstler der Moderne. Ausgebildet an der hannoverschen Kunstgewerbeschule und der Baugewerkschule in Buxtehude sowie den Technischen Hochschulen in Berlin und Hannover hatte er seine Laufbahn im öffentlichen Dienst 1905 als Abteilungsleiter der Hochbauabteilung beim Stadtbauamt Jena begonnen. 1910 wurde er zum Stadtbaurat in Jauer (Jawor, heute Polen) berufen, wo er von 1927 bis 1934 auch das Amt des Bürgermeisters bekleidete. In seiner Zeit dort setzte Evert sich vor allem für kulturelle und soziale Belange ein und wirkte am modernen Siedlungsbau mit. Nach Januar 1933 geriet er „als Nichtparteigenosse und Freimaurer“, wie er sich selbst bezeichnete,Q7 ins Visier der NSDAP; im Oktober 1934 legte er sein Amt in Jauer nieder und siedelte nach Berlin um. Hier war er von 1936 bis 1945 als kommunaler Berater der Wehrkreisverwaltung III tätig und wurde 1946 zum Bezirksrat und Leiter der Abteilung für Bau- und Wohnungswesen im Bezirksamt Berlin-Wilmersdorf berufen. Ab 1951 wirkte Evert als Bezirksstadtrat. Bis zu seinem Tod 1955 wohnte er in der Rudolstädter Straße 100 in Wilmersdorf.

Seine Leidenschaft für aktuelle Kunst ließ Heinrich Evert den Kontakt zu Künstlern seiner Zeit suchen. Durch die Nähe der Stadt Jauer zu Breslau hatte er eine besondere Verbindung zur Breslauer Akademie: Zahlreiche dort tätige Kunstschaffende, darunter Oskar Moll und Georg Muche, waren – oft mit mehreren Werken – in seiner Sammlung vertreten. Hinzu kamen Arbeiten von Kurt Schwitters, Otto Mueller, Alexander Camaro, Karl Schmidt-Rottluff, Werner Heldt und zahlreichen anderen, mit denen den Sammler vielfach eine oft langjährige Freundschaft verband. Die Werke für seine Sammlung erwarb Heinrich Evert zum größten Teil direkt bei den Künstlern. Den persönlichen Kontakt mit Heldt belegen unter anderem einige Schriftstücke aus dem Nachlass Heldts, darunter eine Geburtstagskarte von Evert an Heldt oder ein Brief vom 18. November 1952, in dem Evert (wohnhaft in Berlin-Wilmersdorf) Heldt informiert, dass er die Zeichnung zu dem „neue[n] Bild“ kaufen möchte und den Künstler bittet, sie in seinem Büro in der Ruhrstraße, Zimmer 328, vorbeizubringen (Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, NL Heldt, Werner).

Auch Adolf Jannasch kannte Evert persönlich, wie der Eintrag in Jannaschs Sammler-Notizbuch belegt: „Evert / ‚Bauen und Wohnen‘ / Schwitters, Heldt, Moderne, Müller, Muche, Camaro“.Q6 Diese Bekanntschaft mag Everts Beschluss, der Galerie seine Sammlung anzuvertrauen, bekräftigt haben. So legte der kinderlose Baurat testamentarisch fest: „Ich setze als Erben meiner gesamten Kunstgegenstände (Gemälde, Graphiken, Plastiken, Sammelmappen, kunstgewerbliche Gegenstände und einschlägige Literatur) das Land Berlin ein. Für die Betreuung dieser Kunstwerke soll die Galerie des XX. Jahrhunderts zuständig sein.“Q8 Diesem Wunsch folgend, hinterließ seine Witwe Gertrud Evert, geborene Fangauf, mit ihrem Tod 1966 dem Land Berlin 117 Gemälde, Zeichnungen und graphische Blätter.Q5 Vereinzelte Werke scheint Heinrich Evert auch dem Stadtmuseum Berlin vermacht zu haben.

Recherche: CT | Text: CT

unbezeichnet

Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, erworben Juni 1966

Q2 Liste der Zeichnungen und Aquarelle aus der ehemaligen Galerie des 20. Jahrhunderts, die 1986 aus dem Bestand der Neuen Nationalgalerie (Sammlung der Zeichnungen) an das Kupferstichkabinett (West) übergeben wurden, o. D., Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, o. Nr.

Q3 Karteikarte Sammlung der Zeichnungen (West), Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett

Q4 Bestandsliste Sammlung der Zeichnungen, 1985/86, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie

Q5 Erbvertrag zwischen Gertrud Evert und dem Land Berlin, 1.8.1957, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0601-02-010.1 ff.

Q6 Sammler-Notizbuch Adolf Jannasch, Privatbesitz

Q7 Lebenslauf Heinrich Evert, 14.10.1945, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 02-0204-02-000

Q8 Protokoll für notarielle Beurkundungen, Amtsgericht Berlin-Charlottenburg, 1.8.1958, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 04-0601-02-000