Emil Orlik (1870–1932)
Zuhörer und Zuschauer, 1923
Mappe mit 8 Radierungen auf Büttenpapier in Halbpergamentmappe mit Titel in Steindruck, Ex. 80/100
37,5 x 33 x 1,1 cm
Standort
Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin
1958 erworben durch das Land Berlin
Bezeichnung an/in Mappe/Buch
je Blatt unten links, Bleistift: 80/100
je Blatt unten rechts: Orlik
je Blatt auf dem Passepartout unten in Bleistift: Bildtitel
Mappenvorsatzspiegel oben links: Aufkleber der Galerie des 20. Jahrhunderts
Inventarnummern
Weitere Nummern: 275; 29/9 (Ma 13)
1958 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, Schenkung von Karl Morvilius Q1
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin im Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Orlik hatte nach seinem Studium in Prag und München 1905 eine Professur an der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbe-Museums Berlin übernommen, die 1924 mit der Hochschule für Bildende Künste zu den Vereinigten Staatsschulen für Freie und Angewandte Kunst fusionierte. Orlik leitete dort die Graphik-Klasse, bis er im Juni 1932 emeritierte; kurz darauf verstarb er. Als „Gesellschaftsmaler“ hatte er engen Kontakt zur Berliner Schauspielerszene gepflegt, die auch für sein Mappenwerk „Zuhörer und Zuschauer“ Pate stand. Dies kommentierte Adolph Donath in einer Rezension über die Secessions-Ausstellung „Berliner Bühnenbilder“: „Orlik ist seit drei Jahrzehnten mit dem Theater verwachsen, kennt, wie nur wenige, genau seine ‚Leute‘, Wunder und Geheimnisse.“Q12
1958 erhielt die Galerie des 20. Jahrhunderts Orliks Graphikmappe „Zuhörer und Zuschauer“ als Schenkung des Schauspielers Karl Morvilius in Berlin. In Emil Orliks Verbindung zur Theater- und Filmszene darf also ein Provenienzschlüssel vermutet werden: Es ist wahrscheinlich, dass Morvilius und Orlik sich kannten und die Mappe über einen Direktankauf beim Künstler in Morvilius’ Besitz gelangte.
Zur Person des Vorbesitzers brachten die Recherchen umfangreiche Ergebnisse.Q9 Q10 Q11 Karl Morvilius (1883–1960) war ein am Rhein geborener, seit spätestens 1933 in Berlin ansässiger Schauspieler, der vor allem in Filmen der NS-Zeit seine Rollen spielte. Er war kein NSDAP-Mitglied, gehörte aber seit 1929 der Reichsfachschaft Film und dem Fachverband der Reichsfilmkammer an. Er führte eine kinderlose Ehe mit der Kunstgewerblerin Gretchen Morvilius, geborene Gröting. Als Bühnenschauspieler hatte Morvilius nur zeitweise Engagements (1928–1931 Intimes Theater Nürnberg, 1935–1937 Theater in der Saarlandstraße Berlin, 1938 Deutsches Theater Berlin), dazwischen lagen lange Phasen ohne Verdienst. Während der NS-Zeit befand er sich permanent in Geldnöten und lebte von der Künstlerfürsorge „Spende Künstlerdank“. Da er sich regelmäßig gegen die Reichsfilmkammer auflehnte, der er mangelnde Bemühungen in seiner Sache unterstellte, wurde er mehrfach aktenkundig. Trotzdem sprach man ihm die Künstlerdank-Unterstützung mit folgender Erklärung zu: „[Morvilius] befindet sich in außerordentlich schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen, die dadurch besonders erschwert sind, daß er für seine kranke Frau zu sorgen und größere Schulden abzulösen hat.“Q11
Neben seiner schauspielerischen Arbeit scheint Morvilius auch als bildender Künstler tätig gewesen zu sein.Q10 1958 schrieb Adolf Jannasch an die Berliner Kunstbibliothek: „Wie ich Ihnen neulich schon berichten konnte, hat der Maler Karl Morvilius […] der Galerie des 20. Jahrhunderts einige graphische Blätter gestiftet, und da er auch einige japanische Holzschnitte einem Berliner Museum ebenso stiften wollte, habe ich die Kunstbibliothek Herrn Morvilius vorgeschlagen. Herr Morvilius war so freundlich, mir neulich 4 Blätter – und zwar 3 Schauspielerportraits und das Halbfigurenbild einer Frau – für die Kunstbibliothek zu übergeben. Diesen 4 Blättern fügte er noch hinzu eine Radierung nach einer angeblich verschollenen Zeichnung von Lucas Cranach – eine Szene aus dem Leben des heiligen Julianus. Ich übergebe Ihnen hiermit diese Stiftung des Malers Morvilius.“Q8
Im Erwerbungsbuch der Kunstbibliothek verzeichnete Eckart Berckenhagen am 27. Juni 1958 fünf Blatt Graphik als Schenkung, vermittelt durch Dr. Adolf Jannasch (freundliche Mitteilung von Daniela Kratz, Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek, 4.2.2013).Q7
Recherche: HS | Text: CT
Q1 Inventarverzeichnis für Kunstwerke Berlins in der Nationalgalerie B 3000/306 [Inventar der Galerie des 20. Jahrhunderts (West)], 2 Bde., 1949–1982, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, Eintrag vom 25.4.1958
Q2 Karteikarte Mappen (West), Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett
Q3 Übergabelisten Kästen Graphik an das Kupferstichkabinett, 1968, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 11-0201-00-001 ff., S. 19–23, Ma 13 29/9
Q4 Briefwechsel zwischen Adolf Jannasch und Karl Morvilius, 28.5.1958–23.6.1958, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II B/Galerie des 20. Jahrhunderts – Land Berlin 6, Bl. 76–81, bes. Bl. 82
Q5 Übersicht der Ankäufe der Galerie des 20. Jahrhunderts, Rechnungsjahr 1958/59, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 10-0302-05-394
Q6 Übergabelisten Kästen Graphik an das Kupferstichkabinett, 1968, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 11-0201-00-004
Q7 Erwerbungsbuch Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin, 27.6.1958, Nr. 29 [Eintrag Eckart Berckenhagen]
Q8 Brief Adolf Jannasch an Günter Arnolds, Kunstbibliothek, 27.6.1958, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, II/VA 14127
Q9 Angebotsschreiben Karl Morvilius an die Reichsfilmkammer, 1940/41, Bundesarchiv Berlin, VBS 229, Nr. 2672000202 RK/Filmnachweis, Angebotsschreiben, Film-Nr. RK U 66
Q10 Entnazifizierungsakten Karl und Gretchen Morvilius, Bundesarchiv Berlin, VBS 243, Nr. 2703017349, E
Q11 Personalakte Karl Morvilius, Reichsfilmkammer, Bundesarchiv Berlin, VBS 159, Nr. 2600014117, RK/Fachschaft Film, Film-Nr. RK J74.
Q12 Adolph Donath, Berliner Bühnenbildner. Ausstellung in der Sezession, o. D. [ohne Quellenangabe], Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, V/Sammlung Künstler: Orlik, Emil
L1 Margret Schütte, Emil Orlik. Graphik im Berliner Kupferstichkabinett, Berlin 1983, Nr. 135–142