Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin
Ein Provenienzforschungsprojekt


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August Gaul (1869–1921)
Vom Fressen der Tiere, 1918

Mappe mit 25 Lithographien auf Papier, Ex. 25/50
46,4 x 35,8 x 3 cm

Standort
Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin

1952 erworben durch das Land Berlin
Ankaufspreis: 24 DM

Weitere Werkdaten

Bezeichnung an/in Mappe/Buch
je Blatt und Frontispiz unten rechts, Bleistift: August Gaul
Mappenvorsatz Mitte, Exlibris: Bücherei Marie Siemens
rechter Mappenflügel, Außenseite unten links, Bleistift: 1379
unterer Mappenflügel, Innenseite links, Stempel Senator für Volksbildung mit Inventarvermerk: Inventarisiert / #209/52 / (Inhalt 25 Blatt)
unterer Mappenflügel, Innenseite links, Stempel der Galerie des 20. Jahrhunderts, daneben in Rot: Ma 9

Inventarnummern
Staatliche Museen zu Berlin: 209/52 (Ma 9)
Weitere Nummern: 209/52 (Ma 9)

Foto: Büttner, Wolfram / CC BY-NC-SA
Provenienz
Marie von Siemens, Berlin (Exlibris)
1952 Galerie Gerd Rosen, Berlin, 18. Auktion, 25./26.3.1952 L1
1952 bis 1968 Galerie des 20. Jahrhunderts, Berlin, erworben bei der Galerie Rosen Q2
seit 1968 als Dauerleihgabe des Landes Berlin im Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
1918 erschien im Verlag Paul Cassirer August Gauls Graphikmappe „Vom Fressen der Tiere“. Adolf Jannasch erwarb 1952 in der Berliner Galerie Gerd Rosen ein Exemplar, das im Mappenvorsatz das kunstvoll gestaltete Exlibris „Bücherei Marie Siemens“ trägt. Das in Jugendstilornamentik eingebettete Wappen erlaubt eine eindeutige Zuordnung zum Adelsgeschlecht Siemens, dessen Stammreihe bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht. Der wohl berühmteste Vertreter der Familie war der Industrielle Werner von Siemens (1816–1892), der Begründer des gleichnamigen Großkonzerns. Das gleiche Wappen ist integriert in das Exlibris der Bücherei des Bankiers Georg von Siemens (1839–1901), Gründungsmitglied der Theodor-Wiegand-Gesellschaft (freundliche Mitteilung von Peter Proelß, Zentral- und Landesbibliothek Berlin, 24.4.2012). Dessen Tochter Marie von Siemens (1876–1960) war seit 1900 mit dem Archäologen Theodor Wiegand (1864–1936) verheiratet (freundliche Mitteilung von Frank Wittendorfer, Siemens-Archiv München, 10.5.2012).Q3 Das junge Paar lebte nach der Hochzeit zunächst am Bosporus in Konstantinopel und zog 1911 zurück nach Berlin, als Wiegand zum neuen Direktor der Sammlung antiker Bildwerke und Gipsabgüsse der Königlichen Museen zu Berlin berufen wurde.

Von Peter Behrens ließ sich Wiegand 1911/12 ein Haus in Berlin-Dahlem erbauen, heute Sitz der Zentrale des Deutschen Archäologischen Instituts. In diesem Gebäude war ein Raum für die umfangreiche Privatbibliothek vorgesehen,L2 die neben der Gemäldesammlung als wertvollster Besitz durch testamentarische Verfügung Wiegands nach seinem Tod 1936 an Marie von Siemens überging.Q4 In seinem Testament hatte Wiegand den Wunsch niedergeschrieben, dass sie die Bibliothek an das Archäologische Institut in Istanbul verkaufen möge; letztlich jedoch überließ er ihr die freie Verfügung über seine Buchbestände.Q4 Seinem Wunsch zu folgen war Marie von Siemens jedoch aufgrund der politischen Situation nicht möglich. So gab sie schließlich dem Drängen des Buchhandels nach: „Die umfangreiche, sehr sorgfältig gesammelte und gepflegte Bücherei des verstorbenen Präsidenten des Instituts, Staatsrat Wiegand soll aufgrund einer letztwilligen Bestimmung verkauft werden. Verschiedene bekannte Antiquarische Buchhandlungen sind um die Erwerbung dieser Bestände eifrig bemüht“,Q5 erstattete der Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts, Martin Schede, dem Reichs- und Preußischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1937 Bericht. Marie von Siemens entschied sich für das Angebot des Antiquariats Otto Harrassowitz in Leipzig, demzufolge sie 18.500 RM für die Bibliothek ihres Mannes erhalten sollte.Q6

Ob sich unter jenen 1937 verkauften Büchern auch Werke aus ihrer eigenen „Bücherei Marie Siemens“ befanden, ist unbekannt. Auch lässt sich nicht rekonstruieren, ob „Vom Fressen der Tiere“ überhaupt als Erbe ihres Mannes in ihr Eigentum überging. Desgleichen könnte sie die Graphikmappe bereits von ihrem Vater geerbt oder aus eigenem Gefallen selbst erworben haben. Eine persönliche Bekanntschaft des Ehepaars Wiegand mit August Gaul ist jedenfalls naheliegend, da sie sich in den gleichen gesellschaftlichen Kreisen der Stadt bewegten. Auch in der heutigen Bibliothek des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin befinden sich einige Bücher mit dem Exlibris der Marie von Siemens, obwohl sie nach dem Zweiten Weltkrieg komplett neu angelegt wurde: Die historischen Bestände der Institutsbibliothek waren 1943 im Keller des Pergamonmuseums eingelagert und 1945 in die Sowjetunion abtransportiert worden (freundliche Mitteilung von Patricia Rahemipour, Deutsches Archäologisches Institut, 23.7.2012).

Marie von Siemens behielt den Wohnsitz in Dahlem nach dem Tod ihres Mannes zunächst bei. Als das alliierte Bombardement Berlin erreichte, zog sie auf ihr in Schlesien gelegenes Landgut. Auch nach Kriegsende kehrte sie nicht nach Berlin zurück, sondern ließ sich bei ihrem Sohn in Salzgitter nieder. Anfang Dezember 1955 überließ sie das Berliner Haus mit einem Teil der von Behrens entworfenen Einrichtung der Bundesrepublik für die Zentrale des Deutschen Archäologischen Instituts.L5 Zu welchem Zeitpunkt sie sich von Gauls Mappenwerk trennte und auf welchen Wegen es in die Galerie Gerd Rosen gelangte, ist kaum mehr rekonstruierbar.

Recherche: HS | Text: HS

Rückseite
Foto: Zentralarchiv, Staatliche Museen zu Berlin

Q1 Übergabeliste Mappenwerke an das Kupferstichkabinett, 1968, Archiv Berlinische Galerie, DE BG Gal 11-0201-00-002

Q2 Liste ersteigertes Kunstgut lt. Katalog, XVIII. Kunstauktion der Galerie Gerd Rosen, 25./26.3.1952, Landesarchiv Berlin, B Rep. 014-1627

Q3 Todesanzeige Marie von Siemens, in: Der Tagesspiegel, 29.3.1960, Deutsches Archäologisches Institut, Archiv der Zentrale, Biographica-Mappe Theodor Wiegand

Q4 Abschrift des Testaments Theodor Wiegand, o. D., Deutsches Archäologisches Institut, Archiv der Zentrale, Nachlass Theodor Wiegand, Kasten 18

Q5 Brief Martin Schede, Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts, an den Reichs- und Preußischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 2.3.1937, Deutsches Archäologisches Institut, Archiv der Zentrale, Nachlass Theodor Wiegand, Ordner „Nachlass“

Q6 Brief Otto Harrassowitz, Leipzig, an Martin Schede, Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts, 23.3.1937, Deutsches Archäologisches Institut, Archiv der Zentrale, Nachlass Theodor Wiegand, Ordner „Nachlass“

Q7 Nachruf Marie von Siemens, Probst Buchholz, 31.3.1960, Deutsches Archäologisches Institut, Archiv der Zentrale, Biographica-Mappe Theodor Wiegand

L1 Aukt.-Kat. XVIII. Kunstauktion der Galerie Gerd Rosen, 25./26.3.1952, Berlin 1952, Nr. 1379

L2 Robert Breuer, Haus Dr. Wiegand in Dahlem, in: Deutsche Kunst und Dekoration. Illustrierte Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst und künstlerisches Frauen-Arbeiten 34/1914, S. 121–130

L3 Barbara Anna Lutz, Haus Wiegand, in: Klaus Rheidt und Barbara Anna Lutz (Hrsg.), Peter Behrens, Theodor Wiegand und die Villa in Dahlem, Mainz 2004, S. 15–55

L4 Martin Maischberger, Von Konstantinopel nach Berlin. Theodor Wiegands Sammlung antiker Kunst in der Dahlemer Villa, in: Klaus Rheidt und Barbara Anna Lutz (Hrsg.), Peter Behrens, Theodor Wiegand und die Villa in Dahlem, Mainz 2004, S. 57–81

L5 Barbara Anna Lutz, Vom Wohnhaus zum Institutsgebäude, in: Klaus Rheidt und Barbara Anna Lutz (Hrsg.), Peter Behrens, Theodor Wiegand und die Villa in Dahlem, Mainz 2004, S. 161–169